"Gleich niederspritzen": Protokolle des Schreckens aus Pflegeheim in NÖ
Wer in den Wohngruppen "Sonne" und "Welle" im SeneCura-Sozialzentrum in Sitzenberg-Reidling im Bezirk Tulln betreut wird, kann sich gegen einen Angriff nicht mehr wehren. Die Patienten leiden oftmals an schwergradiger Demenz oder an anderen Erkrankungen, ohne Hilfe können sie das Bett nicht mehr verlassen.
Wozu sie auch nicht mehr in der Lage sind: mit der Polizei zu sprechen. Dabei hätten die Ermittler des Landeskriminalamtes Niederösterreich (Gruppe Leib und Leiben) viele Fragen an sie gehabt.
Denn zumindest 19 Frauen und Männer des Pflegeheimes sollen Opfer von teils brutalen Übergriffen geworden sein. Unter Verdacht stehen vier ehemalige Pflegekräfte, drei Frauen und ein Mann, die sich kommende Woche in der Landeshauptstadt St. Pölten vor Gericht verantworten müssen.
Die Vorwürfe der Staatsanwaltschaft wiegen schwer: Es geht um das Verbrechen der fortgesetzten Gewaltausübung, um das Quälen von Personen und um sexuellen Missbrauch. Das Quartett, das unter anderem von dem bekannten St. Pöltner Rechtsanwalt Stefan Gloß verteidigt wird, streitet die Vorwürfe ab. Es soll lediglich zu "verbalen Entgleisungen" gekommen sein, heißt es.
Erinnerungen an den Fall Kirchstetten
Dem KURIER liegt nun die Anklageschrift in der Causa vor. Das Schriftstück beinhaltet Protokolle des Schreckens, der Fall erinnert an den Pflegeheimskandal in Kirchstetten. Die Übergriffe hatten damals für österreichweite Schlagzeilen gesorgt.
Die Details sind jedenfalls kaum zu ertragen: Glaubt man der Anklage, dann soll einem Patienten das Mittagessen weggenommen worden sein. Anschließend, so schreibt es die Staatsanwaltschaft, schlug eine 33-jährige Pflegerin auf das Opfer ein, sprühte dem Mann Parfum in den offenen Mund und drückte schließlich für mehrere Sekunden einen Kopfpolster gegen sein Gesicht.
Eine andere Szene erinnert an die brutalen Verhörmethode "Waterboarding" der CIA, die der amerikanische Geheimdienst bei Terror-Verdächtigen angewandt hatte. So soll die 33-Jährige einer Patientin den Kopf überstreckt, die Nase zugehalten und Wasser in den Mund geschüttet haben. Die Frau, so berichten es Zeugen, geriet derart in Panik, dass sie mit dem Kopf gegen das Bett schlug.
Der 36-jährige Pfleger, der sich kommende Woche ebenfalls vor Gericht verantworten wird müssen, soll einen Duschschlauch vom Duschkopf abmontiert und einer wehrlosen Patientin in den After eingeführt haben.
Immer wieder ist auch davon die Rede, dass stark sedierende Schlaf- und Beruhigungsmittel missbräuchlich verwendet worden sein sollen, um unliebsame Bewohner "ins Koma zu versetzen". Betroffene sollen "gleich niedergespritzt werden" ist in Nachrichten zu lesen, die sich das Quartett geschrieben haben soll.
Verräterische Chats
Woher diese Zitate stammen? Die Kripo konnte den Inhalt der WhatsApp-Chatgruppe "DaVarrucktn" sicherstellen. Zwar hatten drei der Angeklagten die Chats vor Beginn der Ermittlungen noch gelöscht, die vierte Verdächtige jedoch nicht.
Zu den Chats schreibt die Staatsanwaltschaft St. Pölten: Die Mitglieder tauschen sich dabei über ihre berufliche Tätigkeit aus und versendeten auch Fotos. Es wurde dabei in äußerst menschenverachtender Art und Weise kommuniziert, Bewohner herabgewürdigt, herabwürdigende Fotos und Videos von diesen zur Belustigung ausgetauscht.
Keine lückenlose Kontrolle
Zu den angeblichen Übergriffen soll es zwischen März 2020 und März 2021 gekommen sein. Warum die mutmaßlichen Täter ein Jahr lang die Patienten quälen und erniedrigen konnten, hat laut Anklageschrift einen Grund: So soll eine betreuende Ärztin nur bei jenen Patienten Visiten durchgeführt haben, die durch die Pflegekräfte vorstellig gemacht wurden.
Während der Corona-Lockdowns soll die Ärztin gleich gar nicht erschienen sein.
Die vier Beschuldigten wurden nach dem Aufkommen der Vorwürfe übrigens sofort entlassen und eine interne Untersuchung eingeleitet. SeneCura betont, dass es keine Anklage gegen das Unternehmen selbst gibt.
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