Wer 1886 bei der Zigarren-Herstellung in der Tabakfabrik Krems-Stein einen Fehler macht, muss mit Abzügen vom ohnehin schon kargen Lohn rechnen. Als eine Mitarbeiterin gegen diese Vorgangsweise Einspruch erhebt, wird sie nach 20 Dienstjahren entlassen – ganz zum Unmut ihrer Kolleginnen.
Arbeiterinnen protestierten lautstark
Die Arbeiterinnen protestieren durch „schreien, fluchen, poltern und aufschlagen mit den Werkzeugen“, wie Zeitungen damals berichten.
„Der Umstand, dass diese Frauen aufstehen, war damals Coverstorys wert“, erklärt Christian Rapp, wissenschaftlicher Leiter des Hauses der Geschichte im Museum Niederösterreich. Durch die gut dokumentierte Berichterstattung genieße dieser Aufstand durchaus Seltenheitswert, so Rapp.
Denn längst nicht alle Proteste, die im ländlichen Raum Niederösterreichs ihren Ursprung hatten, verliefen derart laut und heftig wie jener in Krems-Stein.
Leise und subtil verlief etwa der Widerstand von Dienstboten im 19. Jahrhundert. Statt auf die Straße zu gehen, kämpfte man mit sogenannten „Dienstentweichungen“, wozu etwa das Verlassen des Dienstorts ohne Kündigung, aber auch Diebstahl zählten.
Wie Protest entsteht
Proteste unterscheiden sich aber nicht nur in ihrer Organisationsform, sondern auch in ihrer Entstehungsgeschichte: Während sich etwa die Mostviertler Bauernschaft nach dem Ersten Weltkrieg spontan gegen die Requirierung von Lebensmitteln wehrte, war der erste Generalstreik des Landes in Neunkirchen im Jahr 1896 schon länger geplant.
Insgesamt 16 Kapitel der niederösterreichischen Streikgeschichte zeigt das Museum NÖ nun in der neuen Sonderschau „Aufsässiges Land“. „Mit dieser Ausstellung wirken wir einer Geschichtsschreibung entgegen, die den ländlichen Raum als politisch passiv betrachtet“, so Rapp.
Weltgeschichte aus NÖ
Dabei schrieben niederösterreichische Protestbewegungen sogar Weltgeschichte, wie Schriftsteller Michael Prinz in langwierigen Recherchen herausfand. So hatte etwa 1905 der Streik in einer Rüstungsfabrik in Traisen (Bezirk Lilienfeld) indirekte Auswirkungen auf den russisch-japanischen Krieg, für den die Produktion bestimmt war.
Zeitlich beginnt „Aufsässiges Land“ mit der Geschichte nach dem Revolutionsjahr 1848. Danach schlängelt sie sich bis in die 1980er-Jahre weiter: „Endpunkt ist die Verhinderung des Kraftwerks in Hainburg, wodurch der Archetypus einer neuen Protestform geschaffen wurde“, erklärt Rapp.
Bei einer interaktiven Station werde aber auch die Brücke zu aktuellen Protestbewegungen geschlagen.
Lücken der Sozialgeschichte schließen
Auf 250 Quadratmetern Ausstellungsfläche sollen diese lokalen Einzelfälle laut dem Kuratoren-Team – Maren Sacherer, Benedikt, Vogl, Andrea Thuile gemeinsam mit Jessica Richter vom Institut für Geschichte des ländlichen Raums, Schriftsteller Martin Prinz und Illustrator Lenz Mosbacher – Lücken der allgemeinen Sozialgeschichte schließen.
Laut Mosbacher lohne es sich aber, genauer hinzusehen und die Geschichten dahinter zu erzählen. Auf vielen Tafeln hat er die einzelnen Streik- und Protestbewegungen in Bildern und passenden Texten dargestellt.
Exponate zur Auflockerung
Dazwischen lockern Exponate die Ausstellung auf. Zu sehen ist etwa ein sogenannter „Wildererstutzen“ – also ein Gewehr mit abgesägtem Lauf. Dieses erzählt die Geschichte eines Wilderers aus Gutenstein (Bezirk Wr. Neustadt), der sich mit Gendarmen ein größeres Gefecht liefert, nachdem seine Art zu jagen 1849 kriminalisiert wurde.
Die Ausstellungseröffnung von „Aufsässiges Land“ findet am heutigen Freitag statt. Ab dem morgigen Samstag, 18. Februar, ist die Schau dann noch bis 21. Jänner 2024 im Haus der Geschichte zu sehen. www.museumnoe.at
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