„Psychotherapie darf kein Privileg sein“

Angst und Unsicherheit
Psychisch kranke Kinder- und Jugendliche warten monatelang auf Hilfe. Nicht alle bekommen die Versorgung, die sie brauchen.

Ein Dreivierteljahr hat Lix auf einen Psychotherapieplatz warten müssen. Die damals 14-Jährig war depressiv, hatte zuvor eine Angststörung entwickelt. Der Krankheit war jahrelanges Mobbing in der Schule vorausgegangen.

Bereits in der Volksschule hatte das Mädchen Selbstmordgedanken. Immerhin hatte Lix Unterstützung.

Als ihre Mutter ihren Zustand schließlich realisierte, setzte die Alleinerzieherin alle Hebel in Bewegung, um für ihre Tochter einen Kassenplatz zu ergattern. „Man braucht Worte oder Geld“, formuliert es Lix.

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Bei der psychiatrischen Versorgung von Kinder- und Jugendlichen gibt es in Österreich gravierende Lücken. Seit der Pandemie hat sich das Problem verschärft. Es gibt zu wenige Therapieplätze auf Kassenkosten, in den Psychiatrien fehlen Betten und Personal.

Jedes fünfte Kind braucht professionelle Hilfe

Gleichzeitig sei jedes fünfte Kind psychisch so krank, dass es professionelle Hilfe benötigt, sagt Judith Noske, Leiterin der Kinder- und Jugendpsychiatrie (KJPP) am Standort Hinterbrühl, Bezirk Mödling.

„Neun Prozent der Jugendlichen haben Suizidgedanken. Mehr als die Hälfte der Akutvorstellungen bei uns sind wegen akuter Gefährdung.“

30 Betten

Die Mitarbeiter in der Kinder- und Jugendpsychiatrie versorgen das Industrieviertel sowie das nördliche Burgenland. Das ist ein Einzugsgebiet von 150.000 Kindern und Jugendlichen.

Aktuell gibt es 30 Betten für den stationären Aufenthalt ab sechs Jahren. Dazu kommen 20 Plätze in der Tagesklinik sowie ein dislozierter Standort in Wiener Neustadt.

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Der Bedarf, sagen die Mitarbeiter, sei doppelt so hoch. Die aktuelle Gesundheitskrise zeige sich auch im KJPP. Erst im November des Vorjahres wurde eine Wohngruppe zugunsten einer zweiten Akutgruppe aufgelassen.

Mit 15 in die Psychiatrie

Immer häufiger geht die Akutversorgung zulasten der längerfristigen therapeutischen Versorgung, die sich wieder mehr in den niedergelassenen Bereich verlagern muss.

Auch Lix kam schließlich mit 15 als Akutpatientin in die Psychiatrie. Zuerst eine erschreckende Erfahrung. „Man wird durchsucht und einem alles weggenommen“, erinnert sie sich.

Gegenstände, mit denen man sich und andere verletzen kann, haben in den Akutgruppen nichts verloren. Die Tage verbrachte sie mit vielen Therapiegesprächen, lesen und schlafen.

Auch ihre Mama war – im Unterschied zur Therapie im niedergelassenen Bereich – in die Behandlung eingebunden. Letztendlich habe sie sich in der Psychiatrie gehört gefühlt, sagt Lix.

„Psychotherapie darf kein Privileg sein“

Kein Platz

Mittlerweile geht es der 17-Jährigen besser, nächstes Jahr will sie maturieren, Medizin studieren. Mit den Aktivistinnen und Aktivisten der Initiative „Change for the Youth“ traf sie am Freitag im KJPP Sozialminister Johannes Rauch zum Austausch.

Die Jugendlichen fordern Verbesserungen bei der Versorgung. Sie selbst hätten miterleben müssen, wie suizidgefährdete Freunde keinen Platz auf einer Psychiatrie bekamen – und danach versucht hätten sich umzubringen.

„Das ist schlimm für die Betroffenen und die, die diese Entscheidungen treffen müssen. Wir sehen das Ressourcenproblem dahinter“, sagt Hannah.

Die Isolation und der fehlende körperliche Kontakt zu Gleichaltrigen während der Pandemie hätten die Probleme verschärft.

Psychotherapieplatz auf Kassenkosten

Die Aktivisten fordern einen Psychotherapieplatz auf Kassenkosten für jeden, der einen braucht. „Psychotherapie soll kein Privileg, sondern ein Recht sein“, sagt Aktivistin Mimi.

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Zugleich wünschen sie sich bei der Verschreibung von Medikamenten mehr Zurückhaltung. Bei Eltern und Lehrern sollte mehr Aufklärungsarbeit über psychische Probleme geleistet werden, um etwaige Alarmsignale zu erkennen.

Schulsozialarbeiter fehlen

Und es brauche mehr Schulsozialarbeiter. Zudem müsse auch eine gute Versorgung nach dem 18. Geburtstag sicher gestellt sein.

„Es kann nicht sein, dass 18-Jährige genauso wie 60-Jährige behandelt werden“, sagt Lix. Davor hätten viele Betroffene Angst.

Generell brauche es mehr Geld. Etwas, das auch die Experten so sehen.

Die Belastungen des Personals steige, diagnostische Abklärungen dürften immer weniger Zeit brauchen, sagt KJPP-Leiterin Noske.

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