Poker um den Wahltermin in Niederösterreich
Sie machte das Victory-Zeichen, stieß einen Jubelschrei aus und umarmte Erwin Pröll, ihren Vorgänger. Am 28. Jänner 2018 fuhr Johanna Mikl-Leitner für die ÖVP in Niederösterreich die absolute Mehrheit ein. Zwar verpasste sie hauchdünn die 50-Prozent-Marke, die Macht im Land blieb aber bei der Volkspartei.
Im kommenden Jahr werden rund 1,3 Millionen Wahlberechtigte (Zweitwohnsitzer dürfen nicht mehr wählen, Anm.) im größten Bundesland wieder ihre Stimme abgeben. Die Vorzeichen sind diesmal allerdings völlig andere. Denn aktuelle Umfragen sehen die ÖVP derzeit bei etwas über 40 Prozent, andere sogar darunter. In der ansonsten so erfolgsverwöhnten und dominanten Partei gibt man sich in Sachen Wahlziel deshalb plötzlich ganz bescheiden. „Der Vierer ist der neue Fünfer bei uns“, sagt ein Parteistratege.
Corona-Maßnahmen, dann die Inflation, enorme Energiepreise – die Stimmung in der Bevölkerung ist angespannt, das schlägt sich auch auf die Umfragewerte nieder. „Diese Themen sind für Amtsinhaber immer ein Nachteil. Ganz egal, um welche Partei es sich handelt. In Niederösterreich betrifft es eben die ÖVP“, erklärt Politikwissenschaftler Peter Filzmaier.
Diese Entwicklung sorgt dafür, dass ein Tag immer stärker in den Focus der Überlegungen rückt: der Wahltermin. Aus der Volkspartei heißt es, dass der 29. Jänner favorisiert werde. Es wäre auch der (mittlerweile) früheste Termin, der späteste ist der 19. März 2023.
Taktik
Aber die Sorge bei Funktionären ist groß, dass im Jänner in Sachen Teuerung alles noch viel schlimmer sein könnte, der Unmut bei den Bürgern weiter anwächst. „Die einzige Möglichkeit für die ÖVP in Niederösterreich wäre es hier gewesen, bereits im heurigen September wählen zu lassen und somit Schadensbegrenzung zu betreiben“, meint Filzmaier. Doch den Überraschungscoup, den einige Polit-Beobachter schon vorausgesagt hatten, gab es nicht. Einerseits habe man, so der Politologe, zeitlichen Abstand zu der von Korruptionsvorwürfen gebeutelten Bundespartei gewinnen wollen, andererseits komme es in der Bevölkerung weniger gut an, wenn aus taktischen Gründen früher gewählt werde. „Man muss dafür schon einen guten Grund haben, dem auch die Wähler zustimmen.“
„Die absolute Stimmen- und Mandatsmehrheit könnte für die ÖVP womöglich schon außer Reichweite sein."
In den kommenden Monaten wird die ÖVP jedenfalls eine Aufholjagd starten. Zu hören ist, dass nach der Energieprämie und dem Schulgeld weitere Entlastungspakete für die Niederösterreicher auf den Weg gebracht werden sollen.
Zudem ist ein möglicher Machtverlust relativ zu betrachten. Denn in NÖ gibt es das Proporzsystem. Das heißt, dass jede Partei ab einem bestimmten Mindestanteil von Stimmen je nach Wahlergebnis automatisch Regierungsposten (Landesräte) zugesprochen bekommt. Weil im nö. Proporz Kleinparteien keinen solchen Rechtsanspruch auf das Mitregieren haben, kann es rechnerisch durchaus sein, dass die ÖVP auch mit nur knapp über 40 Prozent der Stimmen noch fünf von neun Regierungsmitglieder – also die absolute Mehrheit – stellt.
Kommentare