Palliativmedizin: Leises Jubiläum für wichtige Errungenschaft

Eine der Palliativ-Pionierinnen: Oberärztin Birgit Kum-Taucher auf der Terrasse ihrer Abteilung im Klinikum Scheibbs
In zwei Jahrzehnten wurde die Palliativmedizin vom Tabuthema zum wichtigen Angebot in der Spitalsversorgung. Auch viele junge Patienten nutzen sie, junge Ärzte haben viel Interesse daran. Bei der Zahl der Betten liegt NÖ deutlich vorne

Nicht nur weil sie die einzige ihrer Art in der Region ist, gehört die Palliativstation im Landesklinikum Scheibbs zu den Herzstücken der Spitalsinfrastruktur im westlichen Niederösterreich. Genau vor 20 Jahren gegründet, ist die Station mit acht Betten und 30 fixen medizinischen Mitarbeitern ein Musterbeispiel für die flächendeckende positive Entwicklung im Umgang mit Sterbenskranken.

„Ich brauche einen eigenen Raum, Zeit und Personal.“ Oberärztin Birgit Kum-Taucher kann sich noch wörtlich an ihre Antwort an die Spitalsleitung erinnern, als man sie 2001 fragte, was sie zum Start eigener Palliativ-Aktivitäten in Scheibbs benötige. Die junge Internistin hatte gerade erste Fortbildungen zu dem damals noch viel geringer bewerteten Thema absolviert.

Ein Schlüsselerlebnis, bei dem sie im Krankenzimmer dabei war, als eine Familie in Harmonie und mit Musikbegleitung die sterbende Großmutter begleitete, weckte das Interesse der Ärztin. „Da war nichts Furchtbares, es gab keine Bestürzung, es herrschte harmonische Ruhe. Ich sagte mir, so muss es sein“.

Palliativmedizin: Leises Jubiläum für wichtige Errungenschaft

Niederösterreich bietet 123 der 481 österreichweiten Palliativ- und Hospizbetten an

Mittlerweile versuchen sie und ihr Team seit Jahren, die Palliativpflege weiterzuentwickeln und den Patienten den bestmöglichen, vor allem schmerzfreien Aufenthalt in deren härtesten Lebenstagen zu bieten. „Symbolisch wollen wir ein Hafen sein, in dem ein von Stürmen auf hoher See durchgerütteltes Boot anlegen kann“, beschreibt sie die Situation von Patienten, denen nach erschütternden Diagnosen, ein Ort der Ruhe, der Selbstfindung und der Hilfe geboten wird.

Spezialausbildung

2020 wurde die Scheibbser Palliativ Care geadelt. Die Station, die im Jahresschnitt zu 85 Prozent ausgelastet ist, wurde als Spezialisierungsstätte für die ärztliche Ausbildung zertifiziert. „Eine eigene Palliativ-Facharzt-Ausbildung gibt es noch nicht“, sagt Kum-Taucher. Das sei sicher ein Zukunftswunsch. Eine Ärztin ist in Scheibbs auch gerade dabei, die Spezialisierung abzuschließen. Generell, so die Stationschefin Kum–Taucher, stoße Palliativmedizin bei jungen Ärzten auf viel Interesse.

Im Klinikum Scheibbs herrscht mit den anderen Abteilungen, wie Onkologie oder Chirurgie ein reger interdisziplinärer Austausch. Oft sind die Schmerzspezialisten der Palliativ-Station an Betten anderer Abteilungen zu finden. Genauso seien andere Fachärzte, darunter auch Psychologen, zusätzlich zu den Spezialisten für Physiotherapie, Ernährungsmedizin oder den Musik- oder Hundetherapeuten oft auf ihrer Station anzutreffen, schildert Kum-Taucher den Betrieb.

Offene Natur

Froh und stolz ist man auf der Abteilung über den guten Zugang zu Frischluft und viel Grün auf einer Terrasse oder im Spitalspark. Kleine Balkone bei jedem Zimmer ermöglichen Patienten und ihren Angehörigen in schweren Stunden jederzeit Zugang zu frischer Luft.

Was hat sich nun in 20 Jahren im sensiblen Arbeitsbereich verändert? Kum-Taucher hat dazu sofort eine Antwort parat: „Zu uns kommen auch sehr viele junge Patienten. Das gab es früher nicht.“ Auch die medikamentösen Möglichkeiten in der Schmerzbehandlung haben sich massiv verbessert. Längst habe die Abteilung den Nimbus der Sterbeabteilung abgelegt. „Viele kommen, um frische Kraft zu schöpfen, und fahren wieder nach Hause“, so die Oberärztin. Bewusst mache man den Zugang zu Palliativ Care so niederschwellig wie möglich. Eine zentrale Aufgabe haben dabei die jederzeit erreichbarn mobilen Palliativ-Teams, die in Scheibbs und Amstetten stationiert sind.

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Oberärztin Kum-Taucher sieht bei Jungärzten großes Interesse an der Palliativmedizin

„Legt ein Boot von unserem Ufer wieder ab und fährt heim, sind wir am glücklichsten“, nutzt die Stationschefin ihren Vergleich nochmals.

Zahlen zu Hospiz- und Palliativangebot

Bei der Palliativ- und Hospizversorgung bezeichnet sich NÖ als Pionier unter den Bundesländern. Sieben Palliativstationen in Baden, Hochegg, Mistelbach Waidhofen/Thaya, Scheibbs, Krems und Lilienfeld/St. Pölten gibt es. Österreichweit gibt es 43 Spitalsabteilungen. Hospizstationen in Pflegeheimen gibt es in NÖ sieben von österreichweit 13. Sie sind in Horn; Melk, Mistelbach, Mödling, St. Pölten, Tulln und Wiener Neustadt zu finden. Bei den Stationsbetten befinden sich 47 von 365 Palliativbetten in NÖ, bei den Hospizbetten sind es 76 von 116.

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