Mein Niederösterreich: Was das Bundesland so speziell macht
Im größten Bundesland Österreichs wird gewählt. Aber wie ist es, dort zu leben oder aufgewachsen zu sein? Sechs persönliche Betrachtungen zu Niederösterreich:
Waldviertel: Wer hier lebt, muss sich warm anziehen
Hier sagen sich nicht Fuchs und Hase gute Nacht. Hier sagen nur manchmal Fuchs und Reh guten Morgen, während man vom Homeoffice in den Gemüsegarten blickt. Ein Privileg – mein Dorf hat schnelles Internet. Das Leid mit dem Empfang kenne ich nur, wenn es mich in so manch anderes Dorf verschlägt – natürlich mit dem Auto. Öffis gibt es auch, aber ich will ja nicht übernachten in dem Dorf, das dem eigenen so ähnlich ist. Mindestens einen Verein gibt es, einen Spielplatz, eine Kapelle, deren Glocken dreimal am Tag läuten, ein Feuerwehrhaus – die Raiffeisenbank gibt es gar nicht in jeder Ortschaft. Und auch kein Wirtshaus, das gab es nicht einmal früher.
Steige ich aus meinem Auto, werde ich gegrüßt, auch von denen, die ich noch nie gesehen habe. Wer nicht grüßt, dem ist das Fegefeuer gewiss (hier bei uns ist der Glaube an einen strafenden Gott weit verbreitet). Aber Grüßen tut nicht weh. Sorgen, dass man in ein Gespräch verwickelt wird, braucht man sich nicht zu machen. Der Waldviertler zeigt kein Interesse am Unbekannten. Zumindest kein offensichtliches. Später fragt er dann lieber im bekannten Kreise nach. Man wird doch wohl noch fragen dürfen.
Die Herzlichkeit der Menschen ist es nicht, die einen hier wärmt. Es ist die dicke Jacke, die man sich zugelegt hat, jeder weiß, dass das Klima hier rauer ist. Dafür ist die Luft auch klarer. Hier kann man durchatmen. Ausschauen tut es auch so, wie es die Prospekte versprechen: viel Wald, viele Steine – mystisch. Und kommen tun nur die, die wirklich da sein wollen – dank nie gebauter Autobahn.
Marlene Penz
Mostviertel: Um die Birne, in die Birne – und überall der Fudschijama
Ein Lieblingshobby der Mostviertler ist das „Baumblütenschauen“ im Frühling. Man sitzt dann stundenlang im Auto oder auf dem (E-)Rad und erfreut sich der blühenden Birnbäume, die die Heimat für wenige Tage in eine weiße Pracht verwandeln. Meistens dauert es nicht lange, bis der Satz „Schen is’ scho bei uns“ fällt. Was ja durchaus stimmt.
In der Regel führen diese Ausfahrten – zumindest in meiner Familie – über die Mostviertler Höhenstraße, die so etwas wie der Mulholland Drive von Niederösterreich ist. Hoch oben schlängelt sie sich vorbei an Hügeln, für die das Wort „sanft“ erfunden wurde, schmucken Vierkantern und weidenden Kühen. Am Horizont thront der Fudschijama, so nennen meine Schwester und ich den Ötscher mit seiner schneebedeckten Spitze. Auf ihn sind wir Flachländler besonders stolz – daher muss man auch jedes Mal „Schau, da Ötscher!“ sagen, wenn die Sicht gut genug ist. Als wäre er nicht immer schon da gewesen.
Jede Panorama-Fahrt endet früher oder später in einem Landgasthaus, bei Mostschaumsuppe, Mostviertler Schofkas und Mostbratl. Zum Dessert essen wir nicht einfach Kuchen, nein, wir ertränken diesen in gezuckertem Most und nennen das Ganze „Mostpudding“. Danach noch ein Stamperl Schnaps. Um die Birne, in die Birne (wobei in diesem Fall der Kopf gemeint ist).
Apropos: „Um die Birne“ ist im Mostviertel mehr als ein Trinkspruch, schließlich begrüßt einen gleich der erste Kreisverkehr nach der Autobahnabfahrt Amstetten West (nicht zu verwechseln mit Ost!) mit vier riesengroßen Kunststoffbirnen. Mehr Niederösterreich geht nicht.
Julia Pfligl
St. Pölten: Leben in der Landeshauptstadt - eine Verteidigung
Ich kenne jeden Witz über St. Pölten. Ich höre das Gejohle im Fernseher, wenn Stermann & Grissemann in „Willkommen Österreich“ über St. Pölten lästern, ich lese auf Twitter mit, wenn sich Viertelprominente über die angebliche „Schnarchstadt“ abhauen.
Manchmal lache ich darüber sogar noch, wenn ich in den Keller gehe, mir mein Rad schnappe und zu den Viehofner Seen fahre. Da bin ich in etwa zehn Minuten dort, der Weg führt an großen Bäumen und an der Traisen entlang. Im Rathaus wird sogar behauptet, dass man, egal von welchem Punkt in St. Pölten aus gesehen, innerhalb von fünf Minuten im Grünen sei. Ich habe das zwar noch nicht ausprobiert (vielleicht dann in der Pension), aber es könnte stimmen.
St. Pölten ist auch keine kulturelle Einöde. Wir haben das Festspielhaus, das Landestheater, Kinos, die Bühne im Hof (Dirk Stermann hat sich für den 25. Februar angesagt) und ein Beisl, in dem ausschließlich Metal gespielt wird und das Cappy-Wodka vergleichsweise günstig ist.
Einmal im Jahr landet eines der größten Festivals bei uns, das „Frequency“ verdoppelt sogar für ein paar Tage die Einwohnerzahl. Hören Sie sich einmal um: Wo kann und darf man denn noch direkt am Fluss campen, Kräuterzigaretten rauchen und abends mit den Imagine Dragons oder Kraftklub feiern? David Bowie war übrigens auch einmal da.
Natürlich hat St. Pölten auch Defizite. Wenn wir von der Clubszene sprechen, meinen wir eher Tennis- oder Fußballvereine. Kulinarisch befinden wir uns auch erst in der Aufholphase, mexikanisches Essen müssen wir uns selbst kochen, da gibt es kein Angebot.
Dafür liegt die Landeshauptstadt total klasse. Wer will, ist in 20 Minuten in der Wachau, nach Wien dauert es ebenfalls nicht länger. Sogar das Wohnen ist halbwegs günstig geblieben.
Gar nicht schlecht, oder?
Johannes Weichhart
Speckgürtel: Im Schatten des Anninger - es ist kompliziert
Der Beziehungsstatus von uns Speckgürtlern lautet: Es ist kompliziert. Eigentlich fühlen wir uns als Wiener, würden das aber nie zugeben. Und gleichzeitig fühlen wir uns als Niederösterreicher, würden das aber genauso wenig zugeben.
Genau genommen sind wir Klosterneuburger, Perchtoldsdorfer, Schwechater, Badener oder Purkersdorfer. Ihr Autor ist Mödlinger, dabei wohnt er in Wiener Neudorf, aber ... wie gesagt, es ist kompliziert. Heimat ist, wenn ich auf der Südautobahn zum ersten Mal den Anninger sehen kann.
Wenn wir zur Arbeit fahren – viele von uns arbeiten in Wien –, dann merken wir gar nicht, dass wir eine Landesgrenze überschreiten. Wien und sein Umland sind ein geschlossenes Gebiet. Wer durch die Ketzergasse geht, kann sich entscheiden: Auf der einen Seite ist Perchtoldsdorf, auf der anderen Wien.
Das heißt nicht, dass wir vaterlandslose Gesellen wären. Wir lieben es, in Niederösterreich zu wohnen. Wir haben Wald und Feld vor der Haustüre, wir lieben die Natur, die gute Luft, das Gefühl, jederzeit am Land sein zu können, wenn wir es denn wollen. Wir lieben aber auch das Gefühl, Großstädter sein zu können, wenn uns die Sehnsucht nach Theater, Kino, Einkaufsstraßen, Restaurants überkommt. Ja, manchmal mögen wir auch Lärm und Hektik, denn wir wissen: Schlafen gehen werden wir wieder im Schatten des Anninger. Was uns auf die Nerven geht, ist der Verkehr – ich sage nur: Südosttangente! – dabei wissen wir genau, dass wir selbst der Verkehr sind.
Wiener nennen Niederösterreicher gern abfällig „G’scherte“. Niederösterreicher revanchieren sich, indem sie über die Wiener das gleiche sagen (G’scherte erkennt man daran, dass sie nicht Auto fahren können).
Aber wann immer wir dieses Wort hören, wissen wir: Wir sind es nicht.
Guido Tartarotti
Weinviertel: Der Wein ist immer und überall. Sogar im Namen
Namenswitze sind in der Medienbranche ja eigentlich streng verboten. Aber sagen Sie das einmal dem Kollegen, der meinte: Die Reibenwein soll was über das Weinviertel schreiben.
Jetzt kann er sagen: Okay, die Autorin ist im Weinviertel aufgewachsen. Hat er ja Recht, genau genommen in einer Kleinstadt. Klein genug, um die relevanten Neuigkeiten (Eheschließungen, Geburten, Todesfälle) beim samstäglichen Einkauf zu erfahren.
Das Weinviertel ist reich. An Landschaft zum Beispiel. Und an Wein natürlich – der DAC ist ein Nationalheiligtum. Und vergessen Sie mir nicht die Geschichte. Sogar Napoleon war da. Er lieferte sich nicht unweit der Heimatstadt eine Schlacht. Die ging zwar gar nicht gut aus für das Weinviertel – für eine Inschrift am Arc de Triomphe in Paris (Selfie-Fixpunkt für jeden Parisreisenden aus der Kleinstadt!) und einen Gedenkstein an der alten Bundesstraße (von hier postet niemand Selfies) hat es gereicht. Und auch dafür, dass die Oma den Gehsteig noch Trottoir nannte. Und den Sessel Fauteuil.
Außenstehenden kann das Weinviertel ein bisschen herb vorkommen. Wie auch die Bewohner. Aber sicher nicht der Wein. Jetzt sind wir schon wieder bei dem Thema gelandet . . .
Aber um das noch einmal mit dem Namen richtig zu stellen. Er ist eigentlich ein Schreibfehler. Ein Vorfahr muss wohl genuschelt haben. Oder der Pfarrer hat schlecht gehört. Jedenfalls trug er einen falschen Namen ein. Und plötzlich wurde aus Reinwein Reibenwein. Aber das ist schon wieder eine andere Geschichte.
Michaela Reibenwein
Industrieviertel: Volles Programm in einem Viertel
Industrieviertel, der Name war einmal Programm, weil die Industrialisierung hier schneller war als in anderen Regionen. Industrie gibt es noch, aber in der namensgebenden Form halt nicht mehr. Schon lange nicht, sie hat sich verändert. (Den geflügelten Satz von den rauchenden Schloten und rauchenden Köpfen erspare ich uns an dieser Stelle.)
Was nie gelungen ist: Den Namen zu ändern. Dazu ist er uns zu sehr ans Herz gewachsen, warum auch immer. Und die Namen, die dem Viertel zustehen würden, sind vergeben. Beim Most und der Apfelblüte können unsere Obstbauern in der Buckligen Welt jederzeit mit dem Mostviertel mithalten. Die Weine aus Carnuntum reichen dem Weinviertel gut und gerne das Wasser, weiß und rot, pur oder gespritzt.
Waldviertel? Wälder so weit das Auge reicht, selbst wenn der Wienerwald dem Speckgürtel zugerechnet werden soll.
Selbstredend, dass sich der höchste Berg des Landes aus den Weiten des Steinfeldes erhebt. Der Schneeberg ist auch der höchste Berg jener Alpen, die den Namen der Bundeshauptstadt tragen. Und wer in Wiener Neustadt lebt, weiß: Die einzig wirklich urbane Stadt des Landes müsste auch die Hauptstadt sein. Immerhin residierten Kaiser Friedrich III. und sein Sohn Maximilian I. in Wiener Neustadt – ein historischer Führungsanspruch. Seit der Landesausstellung sollte das im ganzen Land anerkannt sein.
(Zu) übertrieben selbstbewusst sollen wir sein, zumindest wird uns das hie und da nachgesagt. So sind wir gar nicht. Nur gut aufgehoben dort, wo wir aus dem Vollen schöpfen können.
Josef Kleinrath
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