Kunst oder Krempel? Die Quadratur des Kreisverkehrs
Was haben ein Abfangjäger, ein Dinosaurier, eine Zwiebel und eine Braut gemeinsam?
Eigentlich nichts. Außer sie sind in der Mitte eines Kreisverkehrs platziert. Jene Verkehrslösung, die für Niederösterreich steht wie für kein anderes Bundesland, die Karikaturisten beflügelt und Ästheten zeitweise zur Verzweiflung bringt. Ist die Gestaltung Kunst oder Krempel? Die Frage kann Gemeinden spalten, wenn die – hm , Dinge? – erst einmal aufgebaut sind.
Alleine in Niederösterreich gibt es auf Bundes- und Landesstraßen 434 Kreisverkehre. „Die Anzahl von guten künstlerischen Gestaltungen kann man an zwei Händen abzählen“, sagt Katharina Blaas-Pratscher. Sie war viele Jahre lang Leiterin von „Kunst im öffentlichen Raum“ in Niederösterreich, das zum Amt der Landesregierung gehört. Aber alle müssen auch nicht künstlerisch wertvoll sein. „Man kann nicht überall Plätze mit Gegenwartskunst bespielen“, erklärt sie.
Überhaupt sei diese nur dort sinnvoll, wo auch Interesse dafür bestehe. Und viele Gemeinden wollen bei den Vorbeifahrenden schlicht Aufmerksamkeit für ihre Attraktionen wecken.
Tulln – Beiname Gartenstadt –, etwa. Es betreibt das mit seinen immerhin 27 Kreisverkehren höchst professionell. Seit 2014 können Gartenbaubetriebe Pflegepatenschaften übernehmen. Der Gewinn für die Firmen: Das Logo an dem gestalteten Verkehrsknotenpunkt. Auch andere für die Stadt wichtige Bereiche sind in Kreisverkehren angerissen: ein Zuckersilo (Agrana), ein eingemotteter Drake (Flugplatz Langenlebarn) oder auch ein Boot (Donau).
Sicher ist sicher
Ob Kreisverkehre mehr Verkehrssicherheit bringen, ist im Gegensatz zur ästhetischen Frage schnell beantwortet: ja. Die Unfallzahlen an neuralgischen Kreuzungen, die zu Kreisverkehren umgebaut wurden, seien um bis zu 80 Prozent geringer, erklärt Gerhard Fichtinger vom nö. Straßendienst. Und die Unfallschwere sei vehement zurückgegangen. Gut sind – hm, Dinge? – in der Mitte des Kreisverkehrs, weil man den Blick aufs Wesentliche, nämlich nach links, richtet und nicht auf den Gegenverkehr.
Einen Nachteil gibt es aber: Der Kreisverkehr ist nur gut für Autofahrer. Viele der wenigen Unfälle (300 pro Jahr in ganz Österreich) passieren mit dem Moped. Auch Radfahrer haben es nicht leicht. Und: Fußgänger müssen Umwege in Kauf nehmen, sagt Klaus Robatsch vom Kuratorium für Verkehrssicherheit.
In Hollabrunn wurde ein Kreisverkehr vor sechs Jahren zum schlechtesten Verkehrsprojekt Österreichs gewählt. Er sei auto- und nicht menschenfreundlich gestaltet. Und laut Kritikern auch nicht professionell geplant worden. Auch bei der Ästhetik war man sich uneins.
Verehrer
Ob kunstvoll oder nicht. Kreisverkehre sind bei Autofahrern nicht unbeliebt. Einige verehren sie sogar. Die Mitglieder der „Gesellschaft zur Würdigung des Kreisverkehrs“ aus Großbritannien, zum Beispiel. Ihr Präsident, Kevin Beresford, hat hunderttausende Stück Kreiselkalender verkauft. „Für mich ist ein Kreisel eine Oase in der Asphaltwüste, er verschafft mir während der Autofahrt einen kleinen Glücksmoment“, sagte er einmal Spiegel online. Ampel regen ihn auf, weil man zum Stehen gezwungen werde. „Ein Kreisel aber entspannt, er spricht nicht in einem Befehlston mit mir, sondern gönnt mir einen zen-artigen Augenblick.“
Geschichte Ende des 19. und zu Beginn des 20. Jahrhunderts gab es bereits Kreisverkehre. In New York wurde 1904 am Columbus Circle ein Kreisverkehr errichtet, in Paris 1907 rund um den Arc de Triomphe. Der vermutlich erste Kreisverkehr wurde in Deutschland gebaut: 1899 auf dem Brautwiesenplatz in Görlitz. Der ersten Kreisverkehre in Wien: 1927 auf dem Michaelerplatz und auf dem Praterstern.
Rekordhalter Eine 16.000-Einwohner-Stadt, 27 Kreisverkehre: Tulln gilt als die Kreisverkehr-Hauptstadt Österreichs. Die beiden größten Kreisverkehre Österreichs sind der Praterstern und der Verteilerkreis Favoriten in Wien mit einem Umfang von circa 700 Metern.
Frankreich besitzt die Hälfte aller weltweiten Kreisverkehre. Der größte der Welt befindet sich in Putrajaya, Malaysia. Sein Umfang: 3,4 Kilometer.
Skulpturen gestohlen Es scheint, als würden manche Menschen die Kunst im Kreisverkehr gerne bei sich zu Hause haben. In Deutschland montierten vor Kurzem Unbekannte eine Reh-Skulptur ab.
Bitte kein Sex im Kreisverkehr Die norwegische Straßenverwaltung warnte 2018 vor Sex im Kreisverkehr. Der Hintergrund: Norwegische Maturanten feiern das Ende ihrer Schulzeit mit Mutproben, die oft in Zeitungen veröffentlicht werden. Vor drei Jahren war auf einer Liste „Sex auf allen drei Kreisverkehren“ im Ort Ringsaker zu finden. Man wolle kein Spielverderber sein, so die Straßenverwaltung, aber das könnte die Autofahrer doch überraschen und ablenken.
Um einen Fan zu finden, muss man gar nicht über den Ärmelkanal. Es reicht Hirtenberg. Josef Köröcz hat – vor dem Drohnen-Zeitalter – besondere Exemplare mit hohem Stativ von oben abgelichtet und 2012 im Buch „Kreisverkehre in Niederösterreich – Kennen Sie den?“ abgedruckt. Er findet, Orte sollten sich in Kreisverkehre mit ihren Eigenheiten präsentieren.
Übrigens: Wenn Gemeinden Kunst wollen, hilft ihnen in NÖ „Kunst im öffentlichen Raum“ weiter: „Für uns stehen Marketing und touristische Agenden nicht an erster Stelle. Uns sind künstlerische Fragestellungen und die freie Interpretation inhaltlicher Vorgaben wichtig“, sagt Leiterin Katrina Petter. „Im Optimalfall finden sich gute Lösungen, die der künstlerischen Gestaltung die nötige Freiheit gewähren und dem Standort Unverwechselbarkeit verleihen.“
Umsichtig
Die Gestaltung sei ohne Frage eine Herausforderung: Sie sollte sowohl auf Fern-, Nah- als auch auf Rundumsicht funktionieren. „Es handelt sich um einen vom Verkehr definierten Raum, mit dem sehr viele verkehrstechnische Auflagen einhergehen. So kann die Fläche auch nicht betreten, können die skulpturalen Setzungen nicht aus der Nähe betrachtet werden.“ Trotz allem sei es für Künstler reizvoll, „sich diesen Herausforderungen zu stellen, diese spezifische Fläche innerhalb eines Kreisverkehrs zu nutzen“. Als Alternative biete sich eine künstlerische Gestaltung in den Zentren der Gemeinden an, wo eine Interaktion stattfinden könne und der Raum nicht von Autos definiert werde.
Eigentlich funktionieren Kreisverkehre gut. Aber sie könnten es noch besser: Wenn, ja wenn, alle beim Verlassen des Kreisverkehrs blinken würden. Ein Drittel tut das gar nicht und neun Prozent betätigen den Blinker zu spät, ergab eine Studie des Kuratoriums für Verkehrssicherheit im Jahr 2018.
Das kostet den Anlagen Leistungsfähigkeit. Das heißt: Bei viel Verkehr kann es zu Verzögerungen kommen.
Die Regeln im Kreisverkehr:
Ein- und Ausfahren Beim Einfahren wird nicht geblinkt, sehr wohl aber beim Ausfahren.
Vorrang In Österreich wird der Kreisverkehr wie eine normale Kreuzung behandelt. Der an sich bestehende Rechtsvorrang wird bei den meisten Anlagen durch das Verkehrszeichen „Vorrang geben“ aufgehoben. Gibt es das Schild nicht, gilt Rechtsvorrang des Einfahrenden.
Einordnen Eine Herausforderung sind mehrspurige Kreisverkehre mit vielen Ausfahrten. Wer eine der ersten Ausfahrten nehmen möchte, sollte sich möglichst weit rechts einordnen. Müssen Sie den Kreisverkehr gerade überfahren, hilft es, sich in der Mittelspur zu positionieren.
Und was ist, wenn Kreisverkehre – wie bei vielen Autobahn-Auf- und Abfahrten ohne Schmuck bleiben? „Das kann nix“, sagt Kreisel-Experte Köröcz. Ohne Draken, Saurier, Zwiebel und Braut gibt es nichts zum Schauen und nichts zum Meckern. Und das wäre auch fad.
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