Koalitionspoker in NÖ: Der riskante Wechsel von Rot zu Blau
Der 9. März 2023 könnte in die Polit-Historie des Landes Niederösterreich eingehen – als jener Tag, an dem die Weichen für eine schwarz-blaue Koalition im größten Bundesland gestellt wurden. Begleitet wurde diese Entscheidung aber auch von Ablösegerüchten rund um die wohl mächtigste Politikerin Österreichs: die ÖVP-Landeshauptfrau Johanna Mikl-Leitner.
Verlust der absoluten Mehrheit
Dabei sah alles vor einigen Wochen noch nach einer ausgemachten Sache aus. Zwar verlor die Volkspartei bei der Landtagswahl Ende Jänner die absolute Mehrheit (jene im Landtag und in der Regierung, Anm.), doch in der Partei war man sich sicher, dass man mit den Sozialdemokraten ganz entspannt in den Hafen einer großen Koalition schaukeln werde.
Die Brautschau verlief aber anders als geplant. Sven Hergovich, der neue Chef der Sozialdemokraten in Niederösterreich, legte den Schwarzen sechs Forderungen auf den Tisch.Wie ernst er es damit meinte, betonte er in der deutschen Wochenzeitung Die Zeit: „Bevor ich ein Übereinkommen unterzeichne, in dem nicht alle diese Punkte enthalten sind, hacke ich mir die Hand ab“, sagte Hergovich.
„Standortschädlich“
In der ÖVP sorgte der Sager für große Aufregung, als „standortschädlich“ bezeichnete Mikl-Leitner die Bedingungen der Gegenseite – unter anderem Wärmepreisdeckel, kostenlose Ganztagsbetreuung im Kindergarten und eine flächendeckende Lkw-Maut.
Hergovichs Sager war vielleicht auch der letzte Anstoß, die Gespräche mit den Roten zu stoppen.
Zerrüttet
Nun stehen die Zeichen also auf eine schwarz-blaue Zusammenarbeit. Das Problem daran: Die Beziehung ist bereits zerrüttet, bevor noch die Ringe ausgetauscht werden können.
Das liegt auch daran, dass der niederösterreichische FPÖ-Chef Udo Landbauer schon im Wahlkampf klar gemacht hat, dass seine Partei Johanna Mikl-Leitner keinesfalls wählen werde. Landbauer bezeichnete die ÖVP-Politikerin zudem als „Mutter der Impfpflicht“ und betonte, dass in Sachen Korruptionsvorwürfen „das System der ÖVP gebrochen“ werde müsse.
Mit Argwohn wurde in der Volkspartei zudem die Aussagen Landbauers zur finanziellen Hilfe aus Österreich für die Erdbebenopfer in der Türkei registriert. Der Freiheitliche hatte diese massiv kritisiert und dafür sogar Kritik aus der eigenen Partei erhalten.
Putsch-Gerüchte
Aus dieser Gemengelage entstanden am Donnerstag jene Putsch-Gerüchte, die sich gegen Mikl-Leitner richteten. Denn die Frage, die sich einige stellen, lautet: Wenn die FPÖ nicht mit Mikl-Leitner kann, vielleicht kann sie dann mit ihrem Stellvertreter Stephan Pernkopf?
Der Mostviertler, der Chef des mächtigen Bauernbundes mit etwa 100.000 Mitgliedern ist, wischte aber jede Gelüste auf den Chefsessel im Regierungsviertel vom Tisch. „Wir lassen uns nicht auseinanderdividieren“, betonte der Politiker bei einer Sitzung des ÖVP-Klubs am Mittwoch. Er meinte die verschiedenen Bünde und seine Zusammenarbeit mit Mikl-Leitner.
Klar ist auch, dass man mit den bislang bekannten Forderungen der FPÖ in der Volkspartei ganz gut leben kann. Diese heißen unter anderem: volle Ressortverantwortung für jeden Landesrat – also auch für die Finanzen und das Personal im jeweiligen Bereich, die Verhandlungen sollen zudem „offen und transparent“ geführt werden.
Hoher Einsatz
Ganz abschreiben darf man die Sozialdemokraten, die mit hohem Einsatz im Koalitionspoker spielen, freilich noch nicht. Denn nach dem Aus der Gespräche wollen die Roten die Türe ihrerseits nicht zuschlagen. „Der ÖVP steht es völlig frei, ihren Regierungspartner selbst zu wählen. Wir stehen selbstverständlich weiterhin jederzeit für konstruktive Verhandlungen mit der ÖVP bereit“, betont Hergovich.
Die Zeit drängt jedenfalls, denn bis zum 23. März muss die neue Regierung in Niederösterreich stehen. Hört man sich auf den weiten Fluren in den Politbüros des Regierungsviertels in St. Pölten um, vernimmt man dieser Tage manchmal auch ein Wort, das allerdings niemand laut aussprechen will: Neuwahlen.
Davon würde aber vor allem eine Partei profitieren: die FPÖ. Die Pokerrunde wird also weitergeführt.
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