Als Feuerwehrmann und Bürgermeister gegen die Flut: "Jeder hatte Angst"
Die verheerende Flut 2002 bekämpfte Heinrich Becker als verantwortlicher Feuerwehroffizier. Als Bürgermeister rüstete er nun seine Gemeinde für die nächste Katastrophe.
Sandsäcke, wohin man blickt. Dichte Reihen entlang von Feldrainen und Bachufern, angehäuft vor Haustoren und Kellerfenstern mitten im Ort. In Hadersdorf-Kammern im Kamptal ist der Alarmzustand seit drei Tagen aufgehoben. Schlamm, Schotter und Absperrungen, dort und da ein Bagger, Einsatztrupps der Feuerwehr und viele Lkw in den Siedlungsstraßen zeigen: Hier hat sich ein dramatischer Kampf gegen das Hochwasser abgespielt.
Erinnerungen an den August 2002, als der Kamp in zwei Wellen den Ort verwüstete, werden wach. „Nein, mit dieser Katastrophe kann man die Situation Gott sei Dank nicht vergleichen“, sagt Bürgermeister Heinrich Becker (ÖVP).
Viele Faktoren, vor allem die Disziplin der Gemeindebürger, die gezielte stabsmäßige Vorbereitung auf die Überflutung, „die millionenschweren Investitionen in Schutzmaßnahmen nach 2002“ und auch ein zum Glück niedrigerer Kamp-Pegel als damals hätten sich ausgezahlt, analysiert der 57-Jährige.
Dem KURIER sitzt einer gegenüber, der das Herz auf der Zunge trägt, Dinge beim Namen nennt, den Kaffee schwarz, stark und ohne Zucker trinkt, sodass „der Löffel in der Tasse steht“. Auch Humor kommt bei Becker nicht zu kurz.
Doch wenn es um den Schutz der Bevölkerung geht und klare, auch harte Entscheidungen als Einsatzverantwortlicher zu fällen sind, versteht der Ortschef wenig Spaß. Das Hochwasser 2002, als fast 90 Prozent der Häuser der 2.000-Einwohner-Gemeinde überflutet worden waren, bekämpfte er als Vize-Kommandant der Feuerwehr.
Dieses Mal war er als Bürgermeister Einsatzleiter und Hauptverantwortlicher. Nebenbei ist Heinrich Becker auch Rotkreuz-Mann, Bezirksverantwortlicher des Zivilschutzes und mit „Herzblut“ Obmann des Fußballklubs. Ein Ehrenamtlicher durch und durch, aber zugleich ein resoluter Profi im Organisieren und Entscheiden.
Hunderte Anrufe
Das Handy hat Becker stets bei der Hand, gefühlt alle zwei, drei Minuten klingelt es während des KURIER-Interviews. Hunderte Anrufe und noch viel mehr Whatsapp-Nachrichten habe er in den kritischen Tagen bekommen. „Was soll ich machen, jeder hier hat meine Nummer. Ich hab’ jedes Mal abgehoben, zurückgerufen oder geantwortet“, versichert er.
Jedem habe er reinen Wein eingeschenkt, aber auch sofort versucht zu helfen. „Evakuieren zu lassen war die schwerste Entscheidung. Da machst du dich nicht beliebt“, erzählt Becker. 400 Menschen aus zwei Siedlungen mussten, als es brenzlig wurde, für eine Nacht ihre Häuser verlassen.
Bei der heute noch immer allgegenwärtigen Katastrophe von 2002 war Evakuieren gar nicht möglich. Dieses Ereignis habe jeden geprägt, der es erlebt hat. „Es war unbeschreiblich. 800 Liegenschaften verwüstet, viele fast gänzlich zerstört mit zwei Meter Wasserstand in den Wohnräumen. Existenzen wurden zerstört. Das vergisst man nicht“, erinnert sich Becker.
Stellt sich die Frage, was war dieses Mal anders? „Es herrschte eine unglaubliche Disziplin. Die Leute haben Säcke gefüllt, Häuser abgedichtet und sich gegenseitig geholfen,“ erzählt Becker stolz. Als Feuerwehrleute am Fluthöhepunkt zu einem Hotspot wegmussten, übernahmen kurzerhand Anrainer das Befüllen von Big Packs mit Sand mithilfe von Betonmischwägen.
Es herrschte eine unglaubliche Disziplin. Die Leute haben Säcke gefüllt, Häuser abgedichtet und sich gegenseitig geholfen.
von Heinrich Becker
über seine Gemeinde
„Beim Feuerwehrhaus holten die Leute 7.000 Sandsäcke ab. Man hat es gesehen, sie waren angespannt, einige haben geweint. Jeder hatte Angst, aber niemand hat aufgedreht“, so Becker. 2002 hätten die Leute vor Angst und Verzweiflung geschrien und geschimpft.
Katastrophenhilfe
Dieses Mal gaben auch die vor der Flut bereits aufgetauchten Katastrophenhilfszüge der Feuerwehr aus NÖ, OÖ und der Steiermark Sicherheit. Becker: „Dazu ist der Black Hawk des Bundesheeres zwei Tage lang geflogen und hat mit Big Packs den Dammbruch beim Gschinzbach geflickt“. Der fliegende Gigant hat mit über 300 Kubikmeter Dichtmaterial das riesige Loch im unzugänglichen Gelände gestoppt. „Die Siedlung, in der die Jungen erst ihre neuen Häuser bezogen und viele kleine Kinder haben, wurde evakuiert. Aber wir konnten die Überschwemmung dort verhindern“, schildert der Bürgermeister. Bezirks- und Landesführungsstäbe hätten unterstützt, wo sie konnten.
Vom Kamp, dem Kanal „Mühl-Kamp“, der Mühlen im Unterlauf antreibt, und vom Gschinzbach sei Hadersdorf an „drei Fronten attackiert“ worden. Trotz der Sandsackwälle und sündteurer Pumpwerke habe man auch Schäden, so Becker. Rund 85 Häuser und 60 Wohnungen, etliche Betriebe, das Reitzentrum, das Freibad und das Fußballstadion sind betroffen und teilweise zerstört. „Fußballspiele wirds heuer nicht mehr geben“, kränkt sich der Kickerpräsident Becker. Aber: „Wichtig ist, dass niemandem etwas geschehen ist. Nicht weit von hier sind in Dörfern nur zehn Häuser von ein paar Hundert unbeschädigt. Dort müssen große Hilfsaktionen hin“, fordert er.
Beckers Lehre aus der Flut 2024: „Bereitet euch vor. Das entlastet am Tag X die Einsatzkräfte enorm und gibt einem selbst Sicherheit. Eigentlich sagt das der Hausverstand.“
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