Fünf Listerien-Tote: Protokoll eines (Hygiene)-Versagens

Fünf Listerien-Tote: Protokoll eines (Hygiene)-Versagens
Schwere Mängel in Käserei Gloggnitz über Jahre festgestellt. Am Dienstag begann der Prozess gegen den Firmenchef des insolventen Betriebs.

Andreja P. (44) kann von Glück sprechen, noch am Leben zu sein. Der frühere Bauarbeiter und begeisterte Rennradfahrer wird sein Leben lang schwer gehandicapt und an den Rollstuhl gefesselt sein. Eine Listerieninfektion hat bei dem Sportler eine Hirnhautentzündung samt irreparabler Hirnschäden, schwere Sehstörungen und eine Gesichtslähmung ausgelöst, bestätigt sein Anwalt Markus Reinfeld. Ernährt werden muss der 44-Jährige über eine Sonde, weil er nicht mehr schlucken kann.

➤ Mehr lesen: Strafantrag im Fall Käserei Gloggnitz eingebracht

Fünf Opfer sind tot, andere erlitten schwere Folgeschäden. Eine Frau bekam wegen einer Listeriose eine Frühgeburt, das Baby musste nach einer lebensbedrohlichen Sepsis künstlich beatmet werden. Alle Opfer sollen sich über eine mit Listerien verseuchte balkanische Käse-Spezialität namens Kajmak aus einer Käserei in Gloggnitz (NÖ) eine schwere Infektion eingefangen haben. „Mangelnde Hygiene kostete fünf Menschen das Leben, sechs weitere wurden schwer geschädigt“, brachte es Staatsanwältin Silke Pernsteiner zum Prozessauftakt am Landesgericht Wiener Neustadt auf den Punkt.

Fünf Listerien-Tote: Protokoll eines (Hygiene)-Versagens

Andreja P. (re.) ist seit der Listerien-Infektion ein Pflegefall. Sein  Anwalt Markus Reinfeld verlangt Schmerzensgeld 

Der frühere Chef der insolventen und inzwischen geschlossenen Käserei ist wegen grob fahrlässiger Tötung in fünf Fällen und grob fahrlässiger Körperverletzung angeklagt. Der 39-jährige Serbe bekennt sich nicht schuldig, dabei lesen sich Anklage und Sachverständigengutachten wie ein Protokoll des (Hygiene)-Versagens.

➤ Mehr lesen: Bekannte Käserei aus Niederösterreich ist insolvent

Weil sein Onkel in Serbien eine Käserei betrieb, sei der 39-Jährige auf die Idee gekommen sich mit einer Balkan-Molkerei selbstständig zu machen. Zu diesem Zweck wurde eine alte Fleischerei umgebaut, allerdings mit baulichen Mängeln, wie es vor Gericht heißt. 2017 wurde der Betrieb eröffnet und ein Jahr später begannen bereits die Beanstandungen des Lebensmittelinspektors.

Schwere Mängel seien verspätet oder gar nicht behoben worden, einer mehrmals vorgeschriebenen gründlichen Reinigung des Betriebes sei man „nur schleppend nachgekommen“. „Die Hygienemaßnahmen haben einfach nicht gepasst“, sagt Pernsteiner.

Rattenjagd

Bereits 2018 wurden laut den Prüfberichten Listerien in Gullyproben nachgewiesen. Das tat der Angeklagte sinngemäß so ab: „Es war ja nur im Gully“. Im Dezember 2021 ging es mit Schwarzschimmel und einem „muffigen Geruch“ weiter. Schutzgitter gegen Ungeziefer fehlten. Laut einer Angestellten gab es eine regelrechte „Rattenjagd“ im Betrieb.

Internationale Datenbanken

Nach Erkrankungen und Todesfällen in Wien verfolgte die Agentur für Lebensmittelsicherheit (AGES) 2022 die Spuren nach Gloggnitz zurück. Der festgestellte Listerienstamm sei nur in der Käserei und bei den Erkrankten nachweisbar gewesen. Ein Abgleich internationaler Datenbanken zeigte, dass der spezifische Erregerstamm nirgendwo sonst auftrat. Der Angeklagte und sein Anwalt Elmar Kresbach ziehen das in Zweifel. Die Beweise bezeichnet Kresbach als „wackliges Konstrukt“.

➤ Mehr lesen: Käserei in Gloggnitz als Verursacher bestätigt

Im Zeugenstand sagte am Dienstag ein weiteres Opfer aus. Die 73-jährige Frau lag 2021 nach dem Verzehr einer Semmel mit Käse neun Tage lang im Krankenhaus. Seitdem leide sie etwa zwei- bis dreimal pro Monat an Übelkeit nach dem Essen, berichtete die Pensionistin. Ihr Anwalt schloss sich mit einer Forderung von 5.000 Euro dem Verfahren an.

Angeklagter sah keine Probleme

Wie der Angeklagte auf Nachfrage von Richterin Birgit Borns erklärte, habe es - ganz im Gegensatz zu den Ermittlungsergebnissen - nie Hygieneprobleme in seiner Firma gegeben. Die Beanstandungen der Organe hätten die Gerätschaften betroffen, erzählte der 39-Jährige. „Es gab schon Phasen, als es nicht möglich war, alles zeitgerecht zu lösen, weil die Maschinen aus dem Ausland kamen“, sagte der Beschuldigte laut Dolmetscher.

Wie der Prozess zu Tage brachte, mangelte es dem Serben auch an der nötigen Ausbildung zur Führung einer Käserei. Der Mann war zuvor jahrelang für die Maschinenwartung bei einem fleischverarbeitenden Betrieb tätig. Er bestritt dort zwar Fortbildungen in Sachen Hygiene, entsprechende Zeugnisse oder Ausbildungsnachweise blieb er aber schuldig.

Der Prozess wird am 23. November fortgesetzt. Bei diesem Termin sollen weitere Zeugen sowie ein Sachverständiger zu Wort kommen.

Kommentare