Flüchtlingshilfe: "Die Perchtoldsdorfer können nicht wegsehen"
Um kurz vor neun wird es fast ein wenig hektisch im Pfarrheim Perchtoldsdorf, Bezirk Mödling. Frauen und Familien geben sich die Türklinke in die Hand, in den Räumen der Pfarre finden immer mehr Grüppchen ihren Platz. Man will pünktlich mit den Deutschkursen starten. Gleich fünf werden gleichzeitig abgehalten.
„Wir mögen die Österreicher. Sie sind lustig“, sagt die 15-jährige Angelina. Sie und ihr Bruder Vasil sind von ihrer Mama, einer ukrainischen Pflegerin, zum lernen „verdonnert“ worden. Die beiden machen gute Fortschritte. Doch eigentlich wollen sie wieder heim, in die Ukraine.
So gehe es vielen Menschen, erzählt Patricia Blaas vom Flüchtlingsnetzwerk Perchtoldsdorf. Manche würden nach wenigen Wochen weiterziehen, andere wollen ein Jahr im Ort bleiben.
Seit Ausbruch des Krieges haben in der Gemeinde im Wiener Umland rund 170 Flüchtlinge aus der Ukraine ein neues oder vorübergehendes Heim gefunden; etwa 30 Kinder besuchen die örtlichen Schulen und Kindergärten.
Mehr als 100 Helfer
Mehr als 100 Freiwillige helfen, um die Menschen aufzunehmen und zu unterstützen. „Die Perchtoldsdorfer sind einfach nett, die können nicht wegschauen, wenn es Not gibt“, sagt Blaas.
Das Engagement der Zivilgesellschaft ist enorm - und weckt Erinnerungen an das Jahr 2015, als tausende Flüchtlinge aus Syrien und Afghanistan über die Grenze kamen. Es war kurz vor Weihnachten 2014, da rief die Perchtoldsdorferin Inge Schedler das Flüchtlingsnetzwerk mit sieben Privaten und 40 Unterstützern ins Leben.
„Ich habe mir gedacht, wir können doch nicht frohe Weihnachten verbringen, ohne aktiv etwas zu tun“, erzählte sie damals. Um rund 200 Menschen nahmen sich die Ehrenamtlichen in den folgenden Jahren an, die Kommune wurde 2015 sogar zur KURIER-Integrationsgemeinde gewählt. Noch immer leben etwa 50 Flüchtlinge von damals in Perchtoldsdorf.
Über die Jahre blieb der harte Kern des Flüchtlingsnetzwerks aktiv. „Vor zwei Jahren haben wir überlegt, es auslaufen zu lassen“, sagt Vorstandsmitglied Claudia Buchanon. Glücklicherweise entschied man sich dagegen.
Denn nach Ausbruch des Kriegs in der Ukraine dauerte es nur wenige Tage, bis die Zivilgesellschaft erneut einsprang. Dutzende Menschen meldeten sich mit Wohnungen und Hilfe für die Deutschkurse oder vermittelten Jobs. So gibt es mittlerweile unter anderem knapp 30 Deutschlehrer, zehn Dolmetscher, 20 Familienbetreuer und 30 Vermieter.
Gute Zusammenarbeit
Die Gemeinde und die Pfarren engagierten sich ebenfalls von Anfang an, schrieben Briefe baten um Spenden und Unterstützung. Die Zusammenarbeit ist gut. So gibt es etwa eine gemeinsame Google-Liste, in der alle Institutionen gemeldete Unterkünfte eintragen und damit verwalten können. „Innerhalb weniger Tage haben wir unsere Strukturen aufgebaut und uns mit anderen Initiativen der Region ausgetauscht“, sagt Blaas.
Mit 1. April lebten 10.569 Ukrainer in Niederösterreich. Aktuell befinden sich 9.200 Vertriebene in der Grundversorgung.
1.900 Kinder aus der Ukraine besuchen derzeit in NÖ eine Bildungseinrichtung.
Laut dem Büro von Asyl-Landesrat Gottfried Waldhäusl (FPÖ) gibt es in NÖ für die Unterbringung Geflüchteter derzeit 2.000 freie private Plätze, sowie 260 Plätze in sogenannten Ankunftszentren.
Nicht nur in Perchtoldsdorf wollen Menschen helfen. Zur Koordinierung der Hilfsangebote für die Ukraine und die flüchtenden Menschen hat das Land die Plattform „Niederösterreich hilft“ eingerichtet.
Und so sitzen nun neben den Ukrainern auch fünf Freiwillige im Pfarrheim und vermitteln die deutsche Sprache. „Es ist eine Bereicherung für jemanden, der in Pension ist“, erklärt etwa Gertrude Payer ihr Engagement. Die ehemalige Managerin unterrichtet seit 2016 durchgehend ehrenamtlich Deutsch. Mit den Ukrainern kamen einfach neue Flüchtlinge dazu.
Der Unterschied zu früher: Viele haben einen hohen Bildungsstandard, sind Logistikerinnen, Pharmazeutinnen oder Mathematikerinnen. Leicht ist es für die Menschen trotzdem nicht. „Viele haben am Anfang geweint“, erzählt die Christine Huber, die ebenfalls ehrenamtlich Deutschkurse gibt. „Ich versuche sie zwei Stunden vergessen zu lassen, was sie erlebt haben.“
Auch im Lerncafe, dass das Netzwerk organisiert, treffen sich die Flüchtlinge, tauschen sich aus. Tagesstrukturen, erklärt Blaas seien wichtig. Und Abwechslung – wie für Angelina, ehe sie wieder vor den eigenen Laptop muss. Der Schulunterricht geht für die junge Ukrainerin auch jetzt noch online weiter.
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