Fitnesstracker für gute Milch: "Robo-Bauer“ im modernen Kuhstall
Der Blick aufs Handy gehört für Lukas Jetzinger zum Joballtag, das Mobiltelefon ist sein wichtigstes Arbeitswerkzeug. Heutzutage nicht ungewöhnlich, aber Jetzinger ist weder IT-Techniker noch PR-Profi – er ist Landwirt. Und was er da ganz genau im digitalen Blick hat, sind seine Milchkühe. In einem der modernsten Ställe Österreichs.
Auf den ersten Blick ist der Hof von Lukas Jetzinger in Ardagger (Bezirk Amstetten) einer der typischen, schönen Vierkanthöfe in der idyllischen Landschaft des Mostviertels im westlichen Niederösterreich. Mit ganz viel Tradition.
Seit 1865 befindet sich der Hof in Familienbesitz, erzählt die Mutter und fügt hinzu: "Ich bin schon sehr froh, dass er den Betrieb übernommen hat.“
"Aufhören oder investieren“
Diese große und lange Tradition fortzusetzen, das sei schon auch ein gewisser Druck gewesen, gibt Jetzinger zu. "Vor allem muss man es gerne machen, sonst tut man sich das nicht an und es funktioniert auch nicht“, betont er. Neben dem emotionalen Aspekt gab es für ihn aber vor der Übernahme vor vier Jahren auch viele rein rationelle Überlegungen: Er wollte einen neuen Weg beschreiten, und zwar voll und ganz: „Nebenberuflich war für mich nie ein Thema. Entweder aufhören oder investieren“, sagt er.
Die Wahl fiel auf Zweiteres. 1,35 Millionen Euro steckte Jetzinger in seinen Bauernhof. "Viel Geld, aber ich glaube, man muss investieren, denn – um einen alten Spruch zu bemühen – wenn man nicht mit der Zeit geht, geht man mit der Zeit.“
Herausgekommen ist der wohl modernste Stall Österreichs. Vieles, was früher mit viel Zeit- und Arbeitsaufwand erledigt werden musste, erfolgt nun automatisch: Das merkt man schon, wenn man den Stall betritt. Kein aufgeregtes Muhen, sondern – entspannte Ruhe. Denn die Kühe bringen das Erscheinen ihres "Chefs“ nicht mit Futter in Verbindung.
Das erledigt ein automatisches Fütterungssystem, sechsmal täglich gibt es ein frisches "Menü“, ein Roboter schiebt das Futter immer wieder mundgerecht zusammen. Von oben rieselt aus Behältern auf Schienen frisches Einstreu, ein "Staubsauger“ fährt am Boden umher und macht sauber.
2010 gab es noch 6.618 Milchlieferanten in NÖ, im Vorjahr waren es nur mehr 3.731. Österreichweit schaut die Entwicklung ähnlich aus: Beim EU-Beitritt 1995 zählte man noch mehr als 100.000 Bauern, zuletzt waren es rund 23.000.
Um die Milchversorgung muss man sich trotzdem keine Sorgen machen. Die Menge ist seit Jahren leicht steigend und liegt in NÖ bei rund 700.000 Tonnen. 20 Prozent der österreichischen Milch kommen damit aus NÖ. 99 Prozent der von den Betrieben an ihre Verarbeiter angelieferte Kuhmilch erreichen die höchste gesetzliche Güteklasse. Mit mehr als 100.000 Stück steht jede fünfte Milchkuh in Österreich in einem Stall in NÖ.
Der Weltmilchtag wird einmal jährlich (meistens am 1. Juni) gefeiert, um international für den Konsum von Milch zu werben. Er wurde von der Ernährungs- und Landwirtschaftsorganisation der Vereinten Nationen (FAO) und dem Internationalen Milchwirtschaftsverband 2001 ins Leben gerufen und wird in über 30 Ländern veranstaltet. Milch soll als natürliches und gesundes Getränk weltweit und für alle Altersstufen beworben werden.
"Die jungen Bäuerinnen und Bauern sind bereit, Verantwortung zu übernehmen, und wollen die Familienbetriebe weiterentwickeln“, betont Vizepräsidentin Andrea Wagner von der Landwirtschaftskammer NÖ die Wichtigkeit von Rahmenbedingungen und Planungssicherheit. "Neue Technologien sind eine große Chance. Sie ermöglichen es uns, Ressourcen effizienter einzusetzen, aber auch Kosten zu sparen. In der Milchviehhaltung sind Digitalisierung und Automatisierung weit fortgeschritten. Die persönliche und sorgsame tägliche Betreuung ist durch die Technik aber nicht ersetzbar, das wollen wir auch gar nicht.“
Zentrale Einheit ist der Melkroboter. Er erkennt jede Kuh, mittels Kameras wird optimal "an- und abgezapft“. Wann sich die Kühe melken lassen, ist ihnen überlassen. Wie auch, wann sie fressen, sich zu einer Ruhepause hinlegen oder herumgehen. "Jede hat ihren eigenen Rhythmus“, sagt Jetzinger.
Automatisch geht die Beleuchtung an, wenn es zu dunkel sein sollte, automatisch gehen Vorhänge runter, wenn der Wind zu stark pfeift. Und jede der 70 Kühe ist mit einem "Fitnesstracker“ ausgestattet. Informationen kommen direkt aufs Smartphone, herannahende Krankheiten können so frühzeitig erkannt werden.
Lebensqualität
Arbeit bleibt noch genug, aber während seine Eltern schon frühmorgens im Stall werken mussten, kann Lukas Jetzinger entspannt um halb sieben aufstehen und mit einem kurzen Blick aufs Handy checken, ob alle Kühe gut versorgt und gesund sind. "Ich hab jetzt ein Viertel der Arbeit“, meint er.
Es geht aber nicht nur um bessere Arbeitsbedingungen, sondern um Tierwohl und Wirtschaftlichkeit. 60 bis 100 Arbeitsstunden jährlich pro Kuh ohne moderne Technik bringen Familienbetriebe an und über ihre Grenzen. Und erst ab einer gewissen Größe macht ein Bauernhof wirtschaftlich auch Sinn. Ohne moderne Helferlein kaum mehr machbar.
Nicht wenige holen sich im "Kuhstall 2.0“ Anregungen für ihre eigenen Betriebe. Zu Besuch war mit dem KURIER auch die nö. Milchkönigin Sophia Stiegler. Die 25-Jährige möchte bald den elterlichen Betrieb voll übernehmen. Derzeit arbeitet sie "neben“ der Landwirtschaft in einem Büro, aber "ich freu mich jedes Mal, wenn ich nach Hause komme und in den Stall gehen kann.“
Und sie bemerkt, dass diesem "Lifestyle“ immer mehr etwas abgewinnen können – auch die Jungen. In der Landwirtschaft sind halt moderne Zeiten angebrochen.
Kommentare