Endstation Groß-Enzersdorf: Wohin einst der 317er fuhr
Heute zu Gast in Niederösterreich. Als Kind der 1970er-Jahre konnte man zu dem Schluss gelangen, dass dieses Groß-Enzersdorf ein Außenposten der Stadt Wien ist.
Ließen doch die Wiener Verkehrsbetriebe (so nannte man zu jener Zeit die Wiener Linien) ihren Autobus 26A dorthin rausfahren. Außerdem spielte zu jener Zeit der SC Groß-Enzersdorf in einer der unteren Ligen des Wiener Fußball-Verbands.
Die blau-gelbe Tafel mit dem großen N für Niederösterreich kurz vor der Abzweigung zum einst legendären Autokino zeigt es an: Seit dem Jahr 1954 gehört Groß-Enzersdorf nicht mehr zur Großstadt Wien, sondern zum nö. Bezirk Gänserndorf.
„Stichlinie“ ins Marchfeld
Final parkt sich der 26A auf dem Josef-Reither-Ring ein. Ein rot-weißes Haltestellenschild mit der Aufschrift Wiener Linien ist ein dezenter Hinweis darauf, dass es sich bei diesem landesgrenzüberschreitenden Autobus um eine „Stichlinie“ handelt. So wie bei den Bussen 70A und 71A, die von Wien nach Kledering bzw. nach Schwechat fahren.
Dreißig Minuten benötigt der Autobus 26 vom Donauzentrum bis zur Endstation, die in Groß-Enzersdorf auch „Busbahnhof“ genannt wird. Es ist mit rund 11 Kilometern eine der fünf längsten Linien der Wiener Linien.
Wird die Transportleistung für das andere Bundesland im Verkehrsverbund Ost, kurz VOR, gegenverrechnet? Es ist Sommerzeit. Derjenige, der diese Frage bei den Wiener Linien beantworten könnte, ist derzeit auf Urlaub.
Zubringer zum Zentrum Wiens
An den 317er, er war bis zum Groß-Enzersdorfer Kirtag am 30. August 1970 als Tram unterwegs, erinnert heute nicht mehr viel. Seine Endstelle hatte er seinerzeit am Ortsausgang in der Nähe vom Hotel am Sachsengang. Immerhin haben ihm der Historiker Herbert Kovacic und der Schriftsteller Herbert Eigner eine Monografie gewidmet (erschienen in der Edition Winkler-Hermaden).
In der Serie „Endstation“ fahren wir mit Bim oder Bus bis zur jeweiligen Endstation und halten fest, was es dort zu entdecken gibt.
Dort erfährt man unter anderem, dass der 317er den Alltag und die Mobilität der Menschen in den ehemaligen Marchfeld-Dörfern Kagran, Hirschstetten, Aspern, Essling sowie Groß-Enzersdorf prägte. Als Zubringer führte er die Marchfelder näher an das Zentrum Wiens heran.
Auch heute gehen die Semmeln in der Bäckerei auf dem Busbahnhof wie die warmen Semmeln weg. Im Cafébereich erzählt ein älterer Gast dem anderen länger als eine Melange lang, wo es ihn überall zwickt. Der andere will auch etwas sagen, doch er kommt nicht zu Wort. Er fügt sich seinem Schicksal.
Der fremde Taxifahrer
Dass ein Taxler mit Wiener Kennzeichen gegen die Einbahn fährt, muss in der Sekunde lautstark kommentiert werden. Schnell weg und die Lobaustraße runter. Sie führt nicht überraschend in Richtung Donau-Au. Nach zwei Kilometern taucht man dort in eine luftigere Sphäre ein.
Ganz in der Nähe beginnt eine weitere Besonderheit von Groß-Enzersdorf: der Donau-Oder-Kanal, eines der unzähligen Bauprojekte der Nazis, die unvollendet blieben. Heute dient er etlichen Anrainern als ruhiges Wohn- und Freizeitparadies. Hier können die Leute aus ihren Gärten direkt ins kühlende Nass springen.
Gewöhnungsbedürftig sind nur die Flugzeuge, die ihnen hier nur knapp über die Ohren fliegen, um auf der anderen Seite der Donau, in Schwechat, zu landen.
Der SC Groß-Enzersdorf ist in der Zwischenzeit im FC Marchfeld Donauauen aufgegangen. Nur mehr wenig erinnert am heutigen Sportplatz an seine Vergangenheit im Wiener Unterhaus.
Vor der Heimfahrt nach Wien noch kurz Statistisches: Von sechs Busfahrern, die in Groß-Enzersdorf für ein paar Minuten Station machen, sind fünf männlich. Von den fünf Männern rauchen sich drei eine Zigarette an. Alle sechs lesen auf ihrem Mobiltelefon.
In der Serie „Endstation“ fahren wir mit Bim oder Bus bis zur jeweiligen Endstation und halten fest, was es dort zu entdecken gibt. Alle bisher erschienenen Serienteile können Sie auf kurier.at nachlesen.
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