Eltern erschlagen: Sohn spricht von Überforderung und Geldsorgen

m Haus in Perchtoldsdorf soll Gerald B. am Dienstag seine Eltern getötet haben.
Über den 48-Jährigen wurde die U-Haft verhängt. Mehr Hilfe für pflegende Angehörige gefordert.

Nach dem Doppelmord an einem pflegebedürftigen Ehepaar in Perchtoldsdorf hat der tatverdächtige Sohn in den Einvernahmen bei der Polizei und vor dem Haftrichter mehr über die Hintergründe der Bluttat gestanden. Er dürfte nicht nur mit der Pflege seiner gehörlosen und bettlägrigen Eltern überfordert gewesen sein, sondern auch aus finanziellen Gründen jede Hilfe ausgeschlagen haben.

Wie vom KURIER berichtet, hatte Gerald B. (48) Dienstagfrüh den Polizei-Notruf gewählt und mitgeteilt, dass er seine Eltern ermordet hatte. Im Haus fanden die Beamten die Leichen von Wilfried, 85, und Hannelore B., 75 – erschlagen mit einem Baseballschläger. B. sitzt nun in U-Haft.

Laut Staatsanwaltschaft hat Gerald B. ausgesagt, dass ihn die intensive Pflege seiner Eltern überfordert habe. Seine Anwältin geht von einer Affekttat aus. Der Mann habe sich von klein auf um seine gehörlosen Eltern gekümmert und seine Bedürfnisse immer hintan gestellt. Noch am Tag vor der Tat hatte sich der 48-Jährige an das Hilfswerk NÖ gewandt. Eine Pflegefachkraft war im Haus und hatte dem Sohn eine mobile Betreuung der Eltern vorgeschlagen. Laut den Einvernahmen habe sich der Mann jedoch finanziell überfordert gefühlt.

Hilfe für Angehörige

Knapp 460.000 Menschen in Österreich beziehen Pflegegeld. 80 Prozent aller Pflegeleistungen werden von Angehörigen erbracht, ein Drittel ist dabei noch berufstätig. "Ohne die Angehörigen würde die Pflege in Österreich zusammenbrechen", sagt Klaus Schwertner, Generalsekretär der Caritas. Doch die psychische Belastung ist hoch. "Viele schämen sich, Hilfe anzunehmen." Auch Druck durch die Pflegebedürftigen selbst spielt laut Experten eine Rolle.

Mitunter würden die Angehörigen die Pflege auch keinem Fremden überlassen wollen, sagt Martin Nagl-Cupal, Vize-Vorstand des Instituts für Pflegewissenschaft der Uni Wien. Dazu komme ein Informationsproblem: "Betroffene wissen oft nicht, was es für Angebote gibt." Dabei gibt es laut Experten viele Möglichkeiten, sich Unterstützung zu holen – für die Pflege, die Beratung sowie Nothilfe. Neben Pflegegeld besteht eventuell auch Anspruch auf Sonderleistungen. "Das setzt aber voraus, dass der Mensch sich eingesteht, dass er Hilfe braucht", betont Christoph Gleirscher, Geschäftsführer des Hilfswerk NÖ. Er ist auch überzeugt, dass es bei der Pflege von Angehörigen immer wieder zu Gewalt kommt. "Das hängt mit Macht aber auch mit Überforderung zusammen."

Experten fordern, dass das Angebot für pflegende Angehörige ausgebaut wird. "Der Schlüssel wäre mehr im Bereich der zugehenden Hilfe", so Nagl-Cupal. Etwa in Form einer "Familiengesundheits-Schwester", wie es sie in Deutschland gibt. "Die hätte die Legitimation, einmal anzuklopfen, ohne dass gleich Misstrauen erweckt wird." Auch NÖ-Patientenanwalt Gerald Bachinger hält eine "Gemeindeschwester" für sinnvoll. Primärversorgungszentren könnten künftig diese Aufgabe übernehmen. "Es ist auch ein Appell an die Gesellschaft und die Politik, Angebote auszuweiten", betont Sabine Zankl von der psychosozialen Angehörigenberatung der Caritas. Beim Hilfswerk NÖ plädiert man zudem für den Ausbau sozialer Dienste. Das Sozialministerium hat zuletzt eine Studie zur Situation pflegender Angehöriger ausgeschrieben.

Im November 2016 hatten laut dem Hauptverband der Sozialversicherungsträger 457.229 Personen Anspruch auf Pflegegeld. Die meisten davon - 118.206 - sind mit Pflegestufe 1 eingestuft und erhalten monatlich 157,30 Euro. Bei der höchsten Pflegestufe 7 beträgt das Pflegegeld 1688,90 Euro. Insgesamt wurden 2016 rund 2,5 Milliarden Euro für das Pflegegeld aufgewendet.

Zu 25 Prozent ist es die Tochter, die ihre Angehörigen pflegt. In 19 Prozent der Fälle ist es der Sohn. Die meisten "Pflegekarrieren" starten ab dem 50. Lebensjahr. Ein Drittel der pflegenden Angehörigen ist berufstätig.

Unterstützung

Neben dem Pflegegeld können nahe Angehörige eines pflegebedürftigen Menschen eine zusätzliche finanzielle Zuwendung erhalten, wenn sie etwa seit mindestens einem Jahr die Pflege überwiegend erbracht haben und wegen Krankheit, Urlaub oder anderen Gründen an der Pflege verhindert sind. Voraussetzung ist der Bezug eines Pflegegeldes ab der Stufe 3. (Bei dementen Pflegebedürftigen udn Kindern ab Stufe 1.)

Um Kinder und Jugendliche sowie Personen mit Demenzerkrankung noch besser zu unterstützen, wurde mit 2017 die jährliche Höchstzuwendung um 300 Euro erhöht, heißt es aus dem Sozialministerium.

Dazu gibt es einen Rechtsanspruch auf Pflegekarenzgeld

Laut Sozialministerium werden pro Jahr 20.000 Hausbesuche zur Beratung, Unterstützung und Hilfestellung pflegender Angehöriger durchgeführt. Dies dient auch zur Überprüfung, ob die pflegebedürftige Person ordnungsgemäß betreut wird.

Zur Entlastung von pflegenden Angehörigen werden zudem kostenlose Angehörigengespräche angeboten. Insbesondere in Fällen, bei denen eine psychische Belastung vorliegt.

Dazu bieten die sozialen Dienste Beratungen und Informationen zu mobiler Pflege, Besuchsdiensten, Essenszustelldienste sowie zur Stunden-Betreuung an.

Um die Anliegen der Angehörigen bemüht sich auch die "Interessengemeinschaft pflegender Angehöriger".

Link zum Sozialministerium

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