Bürgermeister-Amt: Wer tut sich das noch an?
Otto Auer legt noch schnell seine rote Trachtenkrawatte ab, bevor er sich hinsetzt. Der Mann im Bauernjanker wirkt gestresst, er kommt gerade von seinem anderen Job als Vizepräsident der niederösterreichischen Landwirtschaftskammer. Jetzt aber geht es um seinen zweiten Beruf als Bürgermeister, besser gesagt seinen dritten. Denn Auer ist auch noch Landwirt.
Seit 15 Jahren ist der 53-Jährige Ortschef der 1.250-Einwohner-Gemeinde Höflein, einem Dorf zwischen Windrädern und Weinbergen im Industrieviertel Niederösterreichs. Er wirkt wie der Prototyp eines ÖVP-Kommunalpolitikers: bodenständig, redselig und mit einem Porträt von Niederösterreichs Landeshauptfrau Johanna Mikl-Leitner an der Wand gleich neben seinem Schreibtisch am Gemeindeamt.
Bürgermeister Höflein
365 Tage im Jahr
Viel Freizeit hat Auer nicht. „In so einer Gemeinde bist du 24 Stunden am Tag Bürgermeister, 365 Tage im Jahr“, erzählt er. „Wenn ich mit dem Traktor durch den Ort fahre, hält mich immer jemand auf, um mir zu sagen, was er braucht.“ Oder im Wirtshaus. Oder am Sonntag nach der Kirche.
Dankbar würden sich die wenigsten zeigen. „Wenn man nicht geschimpft wird, ist das Lob genug“, sagt Auer. Hinzu kämen jede Menge Zuständigkeiten: von Pensionsanträgen über Baubewilligungen bis zu Mediationen bei Grenzstreitigkeiten. Nicht zu vergessen: das im Vergleich zu anderen Politikern hohe Klagsrisiko aufgrund der Haftung. Besonders absurd war etwa jener Fall des Bürgermeisters von Hofstetten-Grünau, der über 14.000 Euro Schmerzensgeld zahlen musste, da ein Kind in einem See im Ort vom Hecht gebissen wurde und das Gericht ihn als Tierhalter einstufte. Stellt sich also die Frage: Wer tut sich dieses Amt noch an?
Am 26. Jänner 2020 schreiten 1,46 Millionen Niederösterreicher im Zuge der Gemeinderatswahlen an die Wahlurnen. Dann wird sich entscheiden, ob die ÖVP ihre Vormachtstellung im größten Bundesland Österreichs – auch aufgrund des Höhenflugs der Partei im Bund – noch weiter ausbauen wird. 2015 konnten sich die Schwarzen bereits die Bürgermeistersessel in einst roten Bastionen wie Wiener Neustadt, Gmünd und Gänserndorf holen. Die Politologen Katrin Praprotnik von der Donau-Uni Krems und Flooh Perlot von der Uni Graz meinen, man könne von Nationalrats- nicht auf Gemeinderatswahlen schließen. „Es sind lokale Wahlen, die von lokalen Themen und Personen dominiert werden“, sagen sie. Vorteil der ÖVP sei zwar, dass sie in Niederösterreich auf eine „sehr gut organisierte Partei“ zurückgreifen könne und dementsprechend auch auf Geld und Personal. Dennoch seien es „567 Einzelwahlen“.
Dass sich hingegen immer schwerer Kandidaten für das Bürgermeisteramt finden, können die Politikwissenschafter bestätigen. „Die Ursachen sind eine geringe Attraktivität des Amtes: relativ geringes Einkommen, hoher Zeitaufwand und große rechtliche Verantwortung.“ Früher sei man im Amt hauptsächlich mit der Verwaltung der Gemeinde beschäftigt gewesen, führt Alfred Riedl, Präsident des niederösterreichischen Gemeindebundes, aus. Heutzutage sei man Manager, Mediator, Problemlöser und Ansprechpartner für alle Sorgen. Bei einer aktuellen Befragung von Bürgermeistern gaben 73 Prozent an, dass die Verantwortung im Amt deutlich zugenommen habe.
Bürgermeisterin St. Valentin
Otto Auer ist dabei noch in einer recht dankbaren Situation. Denn 2015 holte die ÖVP hundert Prozent der Stimmen, er konnte also die vergangenen fünf Jahre ohne Opposition regieren. Und er hat natürlich die Gunst des ÖVP-regierten Landes.
Was ihn am Amt reize, sei die Herausforderung, mit seiner Politik alle Höfleiner zufrieden zu stellen. „Für mich hat sich die Frage gestellt: Lasse ich es wen anderen machen, bei dem wir vielleicht darum kämpfen müssen, dass es so passiert, wie wir es gerne hätten oder mache ich es selbst. Und ich habe es nicht bereut.“
Auf Rückenwind von Land und Bund braucht Kerstin Suchan-Mayr nicht zu hoffen. Die 44-Jährige ist seit zehn Jahren SPÖ-Bürgermeisterin von St. Valentin, das mit rund 9.300 Einwohnern siebeneinhalb Mal so groß ist wie Höflein und am anderen Ende des Landes liegt. Die westlichste Stadtgemeinde Niederösterreichs ist wichtiger Bahnknotenpunkt, von der Industrie geprägt und aufgrund der vielen Arbeiter eine der wenigen verbliebenen SPÖ-Bastionen des Landes. Und sie wird es – vertraut man auf die Meinung der St. Valentiner – auch nach der Wahl Ende Jänner bleiben. Die ruhige, beinahe zurückhaltende Art von Suchan-Mayr, die hier von allen „Frau Bürgermeister“ genannt wird, kommt offenbar gut an. 2015 holte sie 60,78 Prozent.
Unpopuläre Beschlüsse
Auch sie kennt die Schwierigkeiten des Amtes. „Manche verstehen nicht, dass ich als Bürgermeisterin in gewissen Belangen rechtlich so handeln muss“, erklärt Suchan-Mayr, die für das Bürgermeisteramt ihren Job als Sozialpädagogin aufgegeben hat. Damit spielt sie etwa auf die Errichtung eines Hühnermaststalls in ihrer Gemeinde an, dem sie als Baubehörde die Bewilligung erteilt hat, der aber bei der Bevölkerung auf massiven Widerstand stieß.
Darauf, dass sie rund um die Uhr im Amt ist, hat sie sich schon eingestellt: „Ich nehme mir zum Einkaufen immer mehr Zeit, weil sicher jemand mit mir reden will.“ Ebenso wie auf Beschwerden, wenn sie eine Veranstaltung im Ort nicht besuchen kann. „Manchmal hört man: Dort war sie und da war sie nicht.“ Doch Suchan-Mayr geht es taktisch an und besucht dann im Jahr darauf jene Veranstaltungen, die sie auslassen musste. Dennoch habe sie es nie bereut, sich für das Bürgermeisteramt entschieden zu haben. Es sei das Gefühl „nicht ohnmächtig“ zu sein. „Ich kann Dinge umsetzen, wie etwa die plastikfreie Gemeinde. Man kann gestalten, wenn man Ideen hat.“
Schon lange abgelöst wurde die SPÖ hingegen in Leobersdorf bei Baden. Allerdings nicht von der ÖVP, sondern von einer Bürgerliste mit dem Namen „Liste Zukunft Leobersdorf“. Seit Mitte der 90er Jahre haben sich Listen als dritte politische Macht im Land neben ÖVP und SPÖ etabliert. FPÖ-Bürgermeister gibt es in Niederösterreich keinen. Die Liste formierte sich, weil sich die frühere SPÖ-Gemeindeführung bei der Einführung eines Christkindlmarkts wenig kooperativ zeigte. „Der damalige Bürgermeister hat gesagt, wenn ihr es besser machen wollt, dann müsst ihr selbst kandidieren“, schildert der nunmehrige Bürgermeister Andreas Ramharter. Und das taten sie. Seit 25 Jahren stellt die Liste nun schon den Ortschef in der knapp 5.000-Einwohner-Gemeinde, zuletzt kam sie sogar auf 56,3 Prozent der Stimmen. Der Grund des Erfolgs? „Wir sind unparteiisch und wollen den Ort gestalten“, meint der 58-jährige Ramharter, seit acht Jahren im Amt und im Hauptberuf Manager eines Consulting Unternehmens.
Bürgermeister Leobersdorf
Er kritisiert vor allem die schwere Vereinbarkeit des Amtes mit dem Beruf. „Das führt dazu, dass vermehrt Menschen ins Amt drängen, die einen Rückfahrschein ins Land oder in den Bund haben. Weil was macht jemand, der nach 15 Jahren nicht mehr gewählt wird?“ Wenn sich aber gute Leute in der Politik engagieren sollen, müsse man ein faires Umfeld schaffen. Das sieht Riedl vom Gemeindebund ähnlich. Deshalb verlangt er sozialversicherungs- und pensionsrechtliche Zugeständnisse seitens des Bundes, um das Amt zu attraktivieren. „Zudem müssen Bürgermeister auch eine Arbeitslosenversicherung bekommen“, sagt Riedl.
Dennoch ist Ramharter leidenschaftlich gerne Bürgermeister. Und zwar aufgrund hoher Ansprüche an sich selbst: „Ich war begeisterter Pfadfinder. Da gab es den Spruch, dass man die Welt besser hinterlassen soll als man sie vorgefunden hat“, sagt er.
Ob ÖVP, SPÖ oder Bürgerliste, Stadt oder Dorf: Es scheint so, als wäre es das gewisse Stück Idealismus, das sie im Amt hält. Und manchmal kommt dann doch etwas zurück, wie ÖVP-Ortschef Auer erzählt: „Die Leute fragen mich jedes Jahr, wann ich auf Urlaub fahre, damit sie ihre Feiern so planen, dass ich dabei sein kann. Das ist positiv.“
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