AMS-Projekt: Die neuen Arbeitslosen von Marienthal
„Ich habe mein Leben lang gearbeitet und will nicht zu Hause sitzen, sondern wieder einen Job haben. Aber 1.200 Bewerbungen waren erfolglos“, erzählt Helmut Belanyecz, während er Schrauben in ein Werkstück dreht.
Die vergangenen Jahre waren für den 59-Jährigen schwer. Zuerst verlor er den Job, wo er lange tätig war, dann erlitt er kurz vor Corona einen Herzinfarkt. Jetzt geht es ihm besser und ein AMS-Projekt in Gramatneusiedl (Bezirk Bruck/Leitha) gibt neue Hoffnung.
Aktuell ist Belanyecz in der Werkstatt mit dem Upcyceln von Holzmöbel beschäftigt. „Das Medium Holz finde ich interessant“, sagt er. Als Nächstes steht eine Bestellung von Hochbeeten an. „Es macht Freude, wenn man etwas Produktives machen kann“, meint er.
Sprungbrett in neue Zukunft
Auch in weitere Ausbildungsbereiche wie Digitalisierung will er noch „reinschnuppern“. Und hofft, dass das Beschäftigungsprojekt für ihn ein „Sprungbrett“ in eine neue Jobzukunft wird.
Belanyecz befindet sich dabei auf historischem Boden, denn wo der sozialökonomische Betrieb Jobwerk ihm und 26 weiteren Langzeitarbeitslosen heute neue Perspektiven geben will, befand sich früher die Textilfabrik Marienthal, die durch die Studie „Die Arbeitslosen von Marienthal“ von 1933 berühmt geworden ist.
- „Was wissen wir über Arbeitslosigkeit?“ Der einleitende Satz der 1933 publizierten Studie über die sozialpsychologischen Auswirkungen der Arbeitslosigkeit weist auf den Pioniercharakter des Forschungsvorhabens hin.
- Von November 1931 bis Mai 1932 untersuchte ein Forschungsteam rund um Marie Jahoda und Paul Lazarsfeld die Situation der Bewohner von Marienthal in Gramatneusiedl. 1929 hatte die dortige Textilfabrik aufgrund der Weltwirtschaftskrise geschlossen, 1.300 Menschen verloren ihren Job.
- Die Arbeitslosenunterstützung betrug nur ein Viertel des bisherigen Einkommens. Die Arbeitslosigkeit führte zu Vereinsamung und Resignation. In Gramatneusiedl gibt ein Museum dazu Einblicke.
- 2020 startete das AMS das Projekt MAGMA – Modellprojekt Arbeitsplatzgarantie Marienthal. 108 Langzeitarbeitslose nahmen an dem auf drei Jahre angelegten Projekt teil. Im aktuellen Projekt wird der ehemalige MAGMA-Standort mit Holzwerkstatt und Büros genutzt. Itworks Personalservice, die schon MAGMA betreut hat, nutzt dabei ein zu Firmen und gemeinnützigen Kooperationspartnern aufgebautes Netzwerk.
Dass das neue Beschäftigungsprojekt für Langzeitarbeitslose hier etabliert wurde, hat aber keine historischen Gründe. Fast jeder zweite Langzeitarbeitslose in NÖ lebt im Industrieviertel. Und derzeit verheißt der Trend nichts Gutes.
"Weiter steigende Arbeitslosigkeit"
„Wir gehen von einer weiter steigenden Arbeitslosigkeit aus. Mit intensiver Beratung und Vermittlung haben wir im ersten Halbjahr für 999 Langzeitarbeitslose in Niederösterreich zwar wieder eine Beschäftigung gefunden, aber gegenüber dem Vorjahr ist dieser Bereich um 16,5 Prozent gestiegen“, sagt dazu AMS NÖ-Chefin Sandra Kern.
Befristeter Dienstvertrag
Mit April dieses Jahres hat das Projekt Jobwerk in Gramatneusiedl mit 27 Transitarbeitsplätzen den Betrieb aufgenommen. Die AMS-Geschäftsstellen Bruck/Leitha und Schwechat vermitteln langzeitarbeitslose Kundinnen und Kunden.
Hier erhalten sie einen befristeten Dienstvertrag und bereiten sich, begleitet von den Jobwerk-Trainern, auf den beruflichen Wiedereinstieg vor. Dafür investiert das AMS NÖ bis Ende Juni 2025 knapp 1,5 Millionen Euro.
Arbeitsmarktforscherin Trude Hausegger von Prospect Research & Solution betont: „Je problematischer die Ausgangssituation, desto zielgerichteter muss man fördern.“ Bei Langzeitarbeitslosen, die aus dem Arbeitsprozess herausgefallen sind und den Weg zurück nicht mehr finden, müsse eine langfristige Ausgrenzung vermieden werden. Und: „Es braucht sinnvolle Beschäftigung.“
Stärken erkennen
Im Projekt bestehen Kooperationen mit Betrieben und gemeinnützigen Arbeitgebern – etwa Gemeinden – in der Region. Grünraumpflege, Digitalisierung von Dokumenten, Holzarbeiten oder Renovierungsarbeiten sind Beispiele.
Dabei wird im Rahmen einer Kompetenzanalyse nicht nur geschaut, was der oder die Arbeitslose bisher beruflich gemacht hat, sondern auch auf andere Stärken geachtet, so Gudrun Höfner von Itworks: „Bei einem 55-Jährigen, der lange am Bau tätig war, haben wir gesehen, dass er privat viel in seinem Garten getan hat.“ Dieses Potenzial wurde gefördert und „im September fängt er in einer Gärtnerei an.“
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