Die Arbeitslosen von Wien über sich und das AMS
17 Euro. Er zögert mit der Antwort. Weil sie ihm unangenehm ist. Dann sagt er: „17 Euro.“ So viel Geld hat er noch in seinem Geldbörsel – und es sind noch acht Tage bis zur Auszahlung des Arbeitslosengeldes.
Helmut, 60, kommt gerade von seinem Termin beim AMS für den 21. Bezirk in der Nähe des Bahnhofs Wien-Floridsdorf. Seine chronische Lungenkrankheit setzt ihm sichtlich zu. Mit den 1.000 Euro, mit denen er ein Monat lang auskommen muss, hat er hingegen leben gelernt: „Ich habe vorgekocht. Gibt es halt drei Mal Hascheehörnchen hintereinander, und zwei Mal ein Kartoffelpüree mit einer Waldviertler.“
Helmut ist ein gelernter Wiener Mechaniker, er war Leiharbeiter bei Siemens in der Leberstraße: „Vier Kündigungswellen hab’ ich dort eh überlebt, aber irgendwann gab es auch für mich keine Arbeit mehr.“
Zufrieden zeigt sich der ältere Langzeitarbeitslose mit der Arbeit seiner AMS-Betreuerin: „Sie macht mir keinen Druck. Heute hat sie mir gezeigt, wie ich eine Befreiung von der Rezeptgebühr beantragen kann.“
Die Monatskarte für die Wiener Linien hat er zuletzt gekündigt („ich bin ja alleine, fahre nirgendwo mehr hin“). Und mit der Ersparnis für die aufgelöste Rechtsschutzversicherung zahlt er jetzt einen Teil seiner Miete.
„Weiterhin ohne Arbeit“
Auch „Sunny“, wie die Bürokauffrau in ihrem Freundeskreis genannt wird, bestätigt nach ihrem Besuch beim AMS in Floridsdorf eine Umfrage, die zur Wochenmitte vom Arbeitsmarktservice mit Genuss präsentiert wurde: Demnach waren die Kunden noch nie so zufrieden mit den erbrachten Leistungen: 81 Prozent der Arbeitsuchenden und 79,5 Prozent der Firmen gaben dem AMS die Note Sehr gut oder Gut.
- Die Weltwirtschaftskrise im Jahr 1929 und deren Folgen rief Wiener Sozialforscher auf den Plan. Ihre Studie über die „Arbeitslosen von Marienthal“ sollte das Team rund um das Ehepaar Paul Felix Lazarsfeld und Marie Jahoda sowie Hans Zeisel in akademischen Kreisen weltberühmt machen.
- Detailliert zeichnen die Wissenschafter auf, wie sich Langzeitarbeitslosigkeit auf das Gemüt der Betroffenen auswirkt, wie sie allmählich ermüden, wie sie lethargisch werden, wie selbst ihre Schrittlängen kürzer werden.
- Die Nazis haben dann mit ihrer Vorbereitung ihres Horrorkriegs kurzfristig den Arbeitslosen Arbeit gegeben, zeitgleich die Sozialforscher aus Wien vertrieben.
- Nach dem Zweiten Weltkrieg musste Österreich wieder aufgebaut werden. In den 1970er-Jahren begann Arbeitslosigkeit ein Thema zu werden. Bundeskanzler Bruno Kreisky betonte noch mit dem Brustton sozialdemokratischer Überzeugung: „Mir sind ein paar Milliarden Schilling Schulden lieber als ein paar hunderttausend Arbeitslose.“
- Doch das Gespenst, das in den 1930er-Jahren einen Bürgerkrieg und totalitäre Regime nach sich zog, ließ sich nicht mehr abschütteln. Überall, auch in Wien, wurden die gefürchteten Ämter für Arbeitslose eingerichtet. Eher traurige Berühmtheit erlangte das Arbeitsamt in der Herbststraße in Ottakring mit dem angeschlossenen „Arbeiterstrich“, wo Baufirmen und auch Häuslbauer billige und nicht ordnungsgemäß angemeldete Arbeitskräfte in ihre Autos einsteigen ließen.
Die negative Stimmung auf diesen Ämtern sorgte für weitere schlaflose Nächte bei jenen, die sich für ihre Arbeitslosigkeit genierten. Sie ging nicht alleine von den dort Beschäftigten aus, sondern auch von einer Minderheit, die sich auf Kosten der Allgemeinheit ein sorgenfreies arbeitsloses Leben leisten wollte.
- Die Wirtschaftskrise 2008 und die Pandemie ab 2020 ließen auch in Wien die Arbeitslosenzahlen wieder in die Höhe schnellen. Zeitgleich wurden österreichweit die Arbeitsämter Filialen des Arbeitsmarktservice. Wer heute dort zu tun hat, wird als „Kunde“ angesprochen. PS.: Das wird auch von Betroffenen goutiert.
Was „Sunny“, die seit Februar Arbeit sucht, aber auch sagt: „Meine Betreuerin ist durchaus kompetent, aber was hilft mir das am Ende, wenn ich keine Arbeit finde.“ Sie hat zig Bewerbungen abgeschickt und an langwierigen Auswahlverfahren teilgenommen: „Am Ende des Tages stehe ich weiterhin ohne Arbeit da.“
Die Erfahrung der 38-Jährigen, die „so schnell wie möglich wieder arbeiten“ will, deckt sich mit einem weiteren Befund der AMS-Umfrage. Der wird irgendwo in der Mitte der Jubel-Aussendung relativ gut versteckt: „Bei der Zufriedenheit mit Stellenvorschlägen hat das AMS lediglich 44,8 Prozent erzielt.“
Lob für die Arbeit des Arbeitsmarktservice kommt heute auch von Tanja Berber, die nach einem Termin beim AMS-Floridsdorf die Geschäftsstelle durchaus zufrieden verlässt. Berber leitet einen sozialökonomischen Betrieb der Caritas Wien und kooperiert seit mittlerweile 20 Jahren mit dem AMS. Die Kommunikation sei eigentlich gut. Wenn sie sich etwas wünschen dürfte, „dann, dass es so bleibt“.
Als positiv bewertet die Caritas-Mitarbeiterin auch, dass das AMS direkt in die Unternehmen geht.
Ein Job, von dem sie auch leben kann
Helmut und „Sunny“ konnten sich davon noch nichts kaufen. Für den COPD-Patienten stellt sich derzeit auch mehr die Frage, ob er aufgrund seiner Krankheit eventuell früher in Pension gehen könnte: „Ich habe bei der Siemens schwer heben müssen. Das geht heute längst nicht mehr.“
Und die Bürokauffrau würde sich über ein Jobangebot freuen, „von dem ich auch leben kann“.
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