Karl May dreht sich im Grab um
Ja, er kann nicht anders als sich im Grabe umzudrehen, der „Vater“ von Winnetou und Old Shatterhand. Weil diese Woche, mehr als 100 Jahre nach seinem Tod, zwei Begleitbücher zu einem neuen Winnetou-Film aus den Regalen genommen wurden. Kommt man jetzt erst drauf, dass im Wilden Westen vieles anders war als Karl May es beschrieben hat?
Er war jedenfalls nicht der Held, der er zu sein vorgab. Karl May war nicht Old Shatterhand, und er kannte auch den Wilden Westen nicht, als er ihn so lebensecht beschrieb, obwohl er kaum je aus seiner sächsischen Heimat herausgekommen war.
Riesige Fangemeinde
Karl May hat ein abenteuerliches Leben geführt – aber in ganz anderer Weise als er es seiner riesigen Fangemeinde vorgegaukelt hat. Schon seine Kindheit und Jugend hätten dramatischer nicht sein können, waren geprägt von Armut, Blindheit und Gefängnisaufenthalten.
Karl May wurde 1842 in der Kleinstadt Ernstthal in Sachsen als fünftes von 14 Kindern einer Weberfamilie geboren, die so arm war, dass neun seiner Geschwister an Unterernährung starben. Er selbst behauptete, dass er sein Augenlicht durch Vitaminmangel verloren hat und erst mit fünf Jahren sehen konnte.
Als einzig überlebender Sohn durfte er eine höhere Schule besuchen. Karl May absolvierte eine Lehrerakademie, stand aber mehrmals wegen Betrugs, Diebstahls und Hochstapelei vor Gericht. Die ganze Misere hatte damit begonnen, dass er als 19-Jähriger – was nie nachgewiesen wurde – eine Taschenuhr gestohlen haben soll, wofür er sechs Wochen ins Gefängnis musste.
Sieben Jahre Haft
Die wohl zu Unrecht verhängte Strafe hatte fatale Folgen. Karl May verlor seine Lehrbefugnis und blieb kriminell oder besser gesagt: Jetzt wurde er es wirklich. Er bestellte einen Maßanzug, den er nicht bezahlte, verkaufte gestohlene Pelze und andere Waren, gab sich als Polizist aus, wurde steckbrieflich gesucht. Insgesamt verbrachte er sieben Jahre in Haft, die durch eine abenteuerliche Flucht unterbrochen wurden.
Nach seiner endgültigen Freilassung im Jahr 1874 besann sich der nunmehr 32-Jährige eines Besseren, fing an Kriminal- und Liebesgeschichten zu schreiben und wurde als Zeitungsredakteur angestellt. Es folgten „Reiseromane“ von Destinationen, die er nie gesehen hatte, deren Inhalte aber „der Wahrheit entsprechen“ würden, wie er sagte. Inklusive des Kampfs, den er mit einem Grizzlybären geführt hätte. Spätestens 1892, als seine Erzählungen erstmals in Buchform erschienen, war der Name Karl May in Deutschland ein Begriff.
Mit Winnetou gekämpft
Nun entstanden innerhalb weniger Wochen die ersten Romane über Winnetou und Old Shatterhand, von denen ihr Schöpfer behauptete, dass sie wirklich leben würden. Nicht genug damit, erklärte Karl May, dass er selbst Old Shatterhand sei und gemeinsam mit seinem Freund, dem Indianerhäuptling Winnetou, im Wilden Westen für Frieden und Gerechtigkeit gekämpft hätte.
Mit keinem Fuß betreten
Dass das nicht der Wahrheit entsprach, flog Karl May vor wenigen Tagen bereits zum zweiten Mal um die Ohren, diesmal posthum: Als der Ravensburger Verlag die Bücher zum Film „Der junge Häuptling Winnetou“ einzog, weil der Stoff „nichts mit dem tatsächlichen Leid der indigenen Bevölkerung zu tun“ hätte, und somit verharmlosend und „rassistisch“ sei. Dabei sind der Apache Winnetou und der weiße Old Shatterhand bei Karl May Blutsbrüder.
Zum ersten Mal waren Karl May seine Schwindeleien 1899, schon als weltberühmtem Schriftsteller, zum Verhängnis geworden. Als die Frankfurter Zeitung aufdeckte, dass er „die fremden Länder, die er so anschaulich schildert, mit keinem Fuß betreten hat“. Die Folge waren zahlreiche Leserbriefschreiber, die sich von ihrem Idol hereingelegt fühlten. Gleichzeitig wurde Karl May von seiner Vergangenheit eingeholt, als Zeitungen aufrollten, dass er die „verlorenen Jahre“ seiner Biografie nicht auf Abenteuerreisen in Amerika oder im Vorderen Orient, sondern in Haftanstalten zugebracht hatte.
Auflage: 200 Millionen
Nach dem ersten Schock sahen ihm seine Leser das frühere Fehlverhalten nach: Wer einmal Karl-May-Fan war, der blieb es auch, bis heute gingen 200 Millionen Bücher, in 40 Sprachen übersetzt, in Druck.
Karl May war reich, seine beiden Ehen blieben kinderlos. Übrigens wurde der einstige Hochstapler im Alter „rückfällig“, als er Zeitungsartikel als „Dr. Karl May“ zeichnete – ohne je einen Doktorgrad erworben zu haben.
Die späten Reisen
Im Alter unternahm er dann doch noch eine Orient- und eine Amerikareise. Und mag sich gewundert haben, wie es in den Ländern wirklich aussah, die er bis dahin nur in seiner Fantasie kannte.
Seine letzte Reise führte ihn nach Wien, wo er am 22. März 1912 einen Vortrag mit dem sonderbaren Titel „Empor ins Reich der Edelmenschen“ hielt. Unter den Zuhörern im Sofiensaal (den heutigen Sofiensälen) befanden sich zwei so unterschiedliche Personen wie die Friedensnobelpreisträgerin Bertha von Suttner und der arbeitslose Maler Adolf Hitler.
Nach dem Vortrag reiste der 70-jährige Karl May heim nach Radebeul bei Dresden, wo er acht Tage später, am 30. März 1912, vermutlich an den Folgen einer Bleivergiftung, starb. Sein Grab befindet sich am Friedhof von Radebeul.
In dem er jetzt einen Anlass fand, sich umzudrehen.
georg.markus
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