Leibfriseur im Frack: Die Geschichte des Figaros
Vom berühmten Wiener Schauspieler Fritz Kortner wird erzählt, dass er eines Tages von einem Friseurmeister gefragt wurde: „Wie soll ich Ihre Haare schneiden, Herr Kortner?“ Worauf dieser kurz von seiner Zeitung aufsah und antwortete: „Schweigend!“
Ja, in den Frisiersalon geht man nicht nur, um sich die Haare schneiden zu lassen, er ist auch Ort der Begegnung und des Gedankenaustauschs (was Herrn Kortner wenig erfreute). Umso schlimmer waren die vergangenen Wochen, da uns der Eintritt zum Coiffeur unseres Vertrauens verwehrt blieb. Einerseits standen uns die Haare zu Berge, andererseits ist man auch um seinen Tratsch gekommen. Doch seit gestern ist die barbarisch-barbierlose Zeit vorbei.
Friseur und Zahnarzt
Haare und Bärte mussten naturgemäß immer schon gepflegt und gestutzt werden. Aufgrund von Gräberfunden wissen wir, dass die Ägypter bereits um 4000 v. Chr. ihre Haare mit Messern, Haarnadeln und Elfenbein-Kämmen versorgt haben. Im Mittelalter, aber auch viel später noch, waren Bader und Barbiere nicht nur Haarschneider, sondern auch Chirurgen und Zahnärzte. (Bei aller Liebe zu meinem Stammfriseur: Einen Zahn oder den Blinddarm möcht ich mir doch nicht von ihm ziehen lassen).
In fast allen Kulturen gingen die Frisuren mit der Mode einher. Die Haarpracht hat sich im Lauf der Geschichte immer wieder radikal verändert, und sie war – passend zur Kleidung – immer Ausdruck ihrer Zeit. Trugen Damen im üppigen Barock turmhohe Frisuren und Herren aufwendig gesteckte Perücken, so setzte man während der französischen Revolution mit langer, wilder Mähne ein Zeichen des Protests. Ähnlich war‘s in den 1960er-Jahren, als die „Beatles“ mit ihren „Pilzköpfen“ Akzente setzten. Junge Männer wollten die Haare ebenso lang haben, um so gegen das Establishment zu protestieren.
Elvis Presley
Prinzessin Diana
Jacqueline Jackie Kennedy
Brigitte Bardot
Marilyn Monroe
Elisabeth, Kaiserin von Österreich
Der Leibfriseur kam täglich um halbsechs Uhr früh zu Kaiser Franz Joseph
Der „Bubikopf“
In dieser Zeit machten auch Marilyn Monroe, Brigitte Bardot, Elvis Presley und Jackie Kennedy ihre Frisuren zu ihrem unverwechselbaren Markenzeichen, etwas später dann Prinzessin Diana. In den 1920er-Jahren wiederum zeigten Frauen mit kurz geschnittenem „Bubikopf“, dass sie im Zeitalter der Emanzipation angekommen waren.
Der Berufsstand des Friseurs im heutigen Sinn bildete sich erst im 19. Jahrhundert. Und gerade da nahm die Wiener Friseurkunst eine dominierende Stellung in der Welt ein. Coiffeur Hans Bundy, der einer alten Friseurdynastie entstammt, erzählt, dass sein Urgroßvater mütterlicherseits als Barbier damals noch die Berechtigung hatte, sowohl Haare zu schneiden als auch Zähne zu ziehen.
Einen Tag Haare waschen
Die berühmteste Haarkünstlerin ihrer Zeit hieß Fanny Feifalik und war die Leibfriseurin der Kaiserin Elisabeth, die einen regelrechten Kult um ihr kastanienbraunes Haar trieb. Niemand sonst wandte für die Pflege ihrer Haarpracht so viel Zeit und Geduld auf wie Sisi. Ihr sonst kunstvoll geflochtenes Haar reichte, wenn sie es offen trug, bis zu den Fersen und wurde von Fanny Feifalik alle drei Wochen einen ganzen Tag lang (!) gewaschen und täglich drei Stunden frisiert. Fanny erhielt laut Brigitte Hamanns Elisabeth-Biografie das Gehalt eines Universitätsprofessors. Kein Wunder, die Kaiserin ließ sich nur von ihr frisieren und weigerte sich, bei einer offiziellen Veranstaltung zu erscheinen, wenn Fanny Feifalik einmal krank war.
Der Leibfigaro des Kaisers hieß Josef Sennhofer und veröffentlichte seine Memoiren, weshalb wir auch über die Haar- und Bartgepflogenheiten Franz Josephs bescheid wissen. „Es war im Jahr 1902, als ich den Kaiser zum ersten Mal bediente“, schreibt Sennhofer. „Er war mit mir zufrieden und ich wurde Kammerfriseur. Mein Dienst begann täglich um halbsechs Uhr früh.“ Sennhofer berichtet, dass er im Frack zu erscheinen hatte, wann immer er den Kaiser einseifte.
Wer rasiert den Kaiser?
Bei Ausbruch des Ersten Weltkriegs war Josef Sennhofer gerade mit Franz Joseph in Bad Ischl, wo er die Einberufung zum Militär erhielt. Der spätere Kaiser Karl fragte bestürzt: „Ja, wer wird denn jetzt den Kaiser rasieren?“ Das Problem wurde österreichisch gelöst: Josef Sennhofer blieb vormittags Leibfriseur und musste sich an den Nachmittagen in der Kaserne einfinden. „Am Sterbetag des Kaisers, dem 21. November 1916 rasierte ich um sechs Uhr früh zum allerletzten Mal meinen Herrn.“
Die Haarmode in der Nazizeit wurde vom „Führer“ beeinflusst. So trugen damals viele Männer den Scheitel wie Hitler auf der rechten Seite. Der ebenfalls einen Leibfriseur hatte: August Wollenhaupt wurde nach dem Krieg als minderbelastet eingereiht. Wohl nicht weil er als „Friseur des Führers“ auf den etwas eigenartigen Fall seiner Strähnen zu achten und seinen Schnurrbart zu stutzen hatte, sondern weil er seit 1937 Mitglied der NSDAP war. Der „Führer“ war übrigens knausrig. Wie uns August Wollenhaupt hinterließ, gab er nur zwei Mark Trinkgeld.
Die Hochzeit des Figaro
Wie wichtig der Berufsstand des Friseurs ist, beweist nicht nur, dass er zwei der bedeutendsten Opern seinen Titel verlieh: Mozarts „Die Hochzeit des Figaro“ und Rossinis „Der Barbier von Sevilla“. Die Bedeutung des Coiffeurs und Bartschneiders geht auch aus einer Begebenheit hervor, von der Friedrich Torberg in seiner „Tante Jolesch“ berichtet: Der Wiener Fabrikant Thorsch hatte seinem Raseur Langer, der jahrelang zu ihm ins Haus kam, so lange mit allen erdenklichen Launen zugesetzt, bis diesem der Kragen platzte. Langer hörte mitten im Einseifen auf, packte wortlos sein Zeug zusammen und verschwand. Thorsch versuchte es mit anderen Raseuren, von denen aber keiner über Langers Qualitäten verfügte. Eines Tages verließ Thorsch in formeller Besuchskleidung das Haus und sagte zu seinem Sohn: „Im Leben eines jeden Mannes kommt einmal der Tag, an dem er entweder um Entschuldigung bitten oder sich selbst rasieren muss. Ich geh mich entschuldigen.“
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