Der zweite Versuch
Doch das Schicksal hat es noch einmal gut gemeint, denn während Libényi auf den Kaiser zulief, erfasste eine Passantin, deren Name nie eruiert werden konnte, die Situation und schrie laut auf. Durch die Schreie irritiert, drehte sich Franz Joseph ruckartig um – und wehrte dadurch das zweischneidige Messer ab. Die Waffe zerschnitt den Uniformkragen, drang aber nur wenige Zentimeter in den Nacken ein. Die schnelle Bewegung hat des Kaisers Leben gerettet.
Doch Libényi setzt an, um ein zweites Mal zuzustechen. Oberst O’Donell brüllt „Hilfe, Mörder, ein Attentat!“ und versucht, den Schneider zu überwältigen. Noch ist der Ausgang des Zweikampfs ungewiss, da eilt der zufällig des Wegs kommende 53-jährige Fleischermeister Josef Ettenreich zu Hilfe. Er wirft den Attentäter zu Boden und entreißt ihm das Messer. Jetzt strömen auch andere Passanten zum Tatort und schlagen auf den Schneider ein. Die meisten von ihnen wissen nicht, dass das Opfer des Anschlags der Kaiser ist.
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Ärztliche Versorgung
Während der Attentäter von herbeieilenden Polizisten festgenommen wird, bringt eine Kutsche den verletzten Kaiser zum nahen Palais des Erzherzogs Albrecht – der heutigen Albertina –, in dem Franz Joseph ärztlich versorgt wird. Eine erste Untersuchung ergibt, dass der Kaiser am Hinterhauptbein verletzt wurde.
Viel bedrohlicher ist aber die Tatsache, dass die Klinge des Messers, das der Täter erst vor wenigen Tagen auf einem Trödelmarkt erworben hatte, unsauber war, weshalb die Wunde zu eitern begann – damals eine gefährliche Komplikation. Ein Jahr lang litt der Kaiser unter Schwindelanfällen und Sehstörungen, man befürchtete sogar, dass er sein Augenlicht verlieren könnte.
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Eine Mitleidswelle
Als bei Hof der erste Schock überwunden ist, registriert man eine Begleiterscheinung des Attentats, mit der niemand gerechnet hat. Der in seinen jungen Jahren alles andere als beliebte Franz Joseph gewinnt nach dem Mordanschlag – unterstützt von einer gewaltigen Mitleidswelle – zusehends die Sympathien seiner Völker.
Der in Ungarn geborene János Libényi gibt als Grund für das Attentat Rache an, weil der Kaiser die ungarische Revolution 1848/’49 niederschlagen und Aufständische hinrichten ließ. Libényi wird zum Tod verurteilt und endet nur acht Tage nach dem Anschlag am Galgen des Richtplatzes bei der Spinnerin am Kreuz. 50.000 Menschen kommen, um den Attentäter hängen zu sehen.
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O’Donell und Ettenreich, die beiden Lebensretter Kaiser Franz Josephs, werden hoch dekoriert, der Fleischer sogar als Josef Ritter von Ettenreich in den erblichen Adelsstand erhoben, und in der Vorstadt Favoriten wird eine Gasse zur Ettenreichgasse benannt.
Franz Josephs jüngerer Bruder Maximilian – der spätere Kaiser von Mexiko – regt den Bau einer Gedächtniskirche an, „als Votivgabe der Völker für die Rettung unseres Kaisers“, woran heute noch eine Tafel in der Votivkirche erinnert. Beim Wettbewerb zum Bau des Gotteshauses liefen 75 Projekte ein, von denen das des erst 25-jährigen späteren Stararchitekten Heinrich Ferstel gewann. Finanziert wurde der gewaltige Sakralbau durch eine groß angelegte Spendenaktion, an der sich 300.000 Menschen aus allen Teilen der Monarchie beteiligten. Die neugotische Votivkirche wurde nach 23-jähriger Bauzeit am 24. April 1879 anlässlich der Silberhochzeit des Kaiserpaares an der neu gestalteten Ringstraße geweiht.
Der Platz vor der Kirche
Kein Wiener Platz hatte im Lauf seiner Geschichte so viele Namen wie jener vor der Votivkirche. Er hieß ursprünglich Maximilianplatz, nach dem Ende der Monarchie Freiheitsplatz, ab 1934 Dollfußplatz, vier Jahre später Hermann-Göring-Platz, 1945 wieder Freiheitsplatz und ein Jahr danach – bis zum heutigen Tag – Rooseveltplatz.
Aber genannt haben ihn die Wiener weder so noch so. Sondern immer Votivplatz.
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