Die Straße, die direkt in den Himmel führt
Man spaziert an schönen, von Weinbergen umgebenen Villen vorbei und ist nach einer 20-minütigen Wanderung im Paradies angelangt, das tatsächlich „Am Himmel“ heißt. Hier, in der Himmelstraße in Wien-Grinzing wohnten zwei Bundespräsidenten, zwei Bürgermeister, weltberühmte Komponisten, ein Dirigent, prominente Architekten, die populärste Schauspieler-Dynastie des Landes und eines der größten Mathematikgenies aller Zeiten. Dass hier so viel Prominenz lebt, muss einen Grund haben. Ich versuchte ihn durch eine Wanderung über die Himmelstraße zu erforschen.
Was kann der Sigismund
Sie beginnt vor dem Haus Nr. 7, in dem der Komponist Ralph Benatzky wohnte. Unsterblich durch sein Weißes Rössl, für das er Melodien wie Im Salzkammergut da kann man gut lustig sein, Was kann der Sigismund dafür dass er so schön ist oder Es muss was Wunderbares sein von dir geliebt zu werden schuf.
Man sagt, Benatzky hätte die eine oder andere Melodie „gestiebitzt“, was den Schriftsteller Anton Kuh zu der Bemerkung veranlasste: „Der Komponist Benatzky sollte seinen Namen in Benutzky umändern.“
Das Haus Nr. 24 ist eine viel bestaunte Attraktion der Stadt: die Villa der Schauspieler-Dynastie Hörbiger-Wessely, die hier acht Jahrzehnte zu Hause war. Paula Wessely hat das 480 m2 große Haus samt 5.000 m2 Garten 1935 erworben und hier mit ihrem Mann Attila Hörbiger und ihren Töchtern Elisabeth Orth sowie Christiane und Maresa Hörbiger gelebt. Die Villa, deren Vorbesitzer die Industriellenfamilien Schoeller und Krupp waren, besteht aus einem biedermeierlichen Winzerhaus und einem Zubau der Jahrhundertwende.
Attila Hörbiger bewohnte das Parterre, die Wessely den ersten Stock, Kinder und Personal waren im Dachgeschoß untergebracht. Das Ehepaar Hörbiger-Wessely lebte hier bis zu seinem Tod. Die jüngste Tochter Maresa verkaufte das Haus 2015 an eine zypriotische Firma, die es äußerlich nicht veränderte. Maresa Hörbiger sagte beim Eigentümerwechsel: „Meine Mutter hätte es verstanden, dass ich es verkaufe. Bei meinem Vater bin ich mir da nicht so sicher, der ist sehr an dem Haus gehangen und hat immer gesagt, dass er einmal von hier ,hinausgetragen werden will’. Wir konnten ihm diesen Wunsch erfüllen, er ist in diesem Haus gestorben.
Nicht minder prominent waren die Bewohner des benachbarten Anwesens. Das Haus Himmelstraße 26 stand den beiden ersten Bundespräsidenten der Zweiten Republik als Amtsvilla zur Verfügung. Karl Renner ließ sich von hier aus jeden Tag in die Hofburg chauffieren und verzichtete darauf, dass alle Verkehrsampeln, die er passierte, auf Grün geschaltet wurden, wie er auch eine gepanzerte Dienstlimousine als Sicherheitsmaßnahme ablehnte.
Mit Tränen vor dem Radio
Renner erlitt in seiner Dienstvilla zu Weihnachten 1950 einen Schlaganfall, fiel in ein Koma und starb am 31. Dezember. Stunden später übertrug der Rundfunk seine kurz zuvor aufgenommene Neujahrsansprache, Halb Österreich saß mit Tränen vor den Radioapparaten, wissend, dass er mittlerweile verstorben war.
Nach Renner wurde die Villa Theodor Körner zur Verfügung gestellt, der ebenfalls hier – am 4. Jänner 1957 – starb. Erst nach Körners Tod stellte sich heraus, dass die Präsidentenvilla aus „arisiertem“ Vermögen stammte und restituiert werden musste.
Malerakademie
Das Haus Nr. 30 ist viel größer als die Villen in der Himmelstraße. Heute ein elegantes Wohnhaus mit Erker, wurde es 1911 als Malerakademie Delug errichtet. Benannt nach dem Maler Alois Delug, der erzählte, dass Adolf Hitler 1907 bei ihm einen Studienplatz zu erhalten versuchte, aber wegen unzulänglicher Leistungen nicht aufgenommen wurde. Manche meinen, die Weltgeschichte hätte anders ausgesehen, wäre Hitler von Delug akzeptiert worden.
Größer als die Villen hier ist auch das prächtige Doppelzinshaus Himmelstraße 41-43, das Politikern, Künstlern und einem genialen Wissenschafter als Wohnadresse diente, wie mir der Grinzing-Kenner Franz Luger anvertraute, der mich auf meinem Spaziergang über die Himmelstraße begleitete. Hier lebte Karl Seitz, der ab 1923 als Bürgermeister das Wohnprogramm des „Roten Wien“ durchzog. Viel später wohnten in diesem Haus der Dirigent Karl Böhm und sein Sohn Karlheinz Böhm. Während an den Vater eine Marmortafel an der Hausfassade erinnert, fand sich für den ob seiner Sissi-Filme nicht minder berühmten Junior bisher kein Platz für einen sichtbaren Gedenkstein.
Mathematikgenie
Sehr wohl aber für Kurt Gödel, der von 1937 bis 1939 als einer der bedeutendsten Mathematiker seiner Zeit in der Himmelstraße 41-43 zu Hause war. Gödel wurde vom Time-Magazin unter die 100 wichtigsten Personen des 20. Jahrhunderts gereiht, er galt als größter Logiker seit Aristoteles und hat durch seine Erkenntnisse die Entwicklung des Computers maßgeblich mitgeprägt. Von Einstein geschätzt und mit ihm befreundet, lieferte Gödel auch wesentliche Beiträge zur Relativitätstheorie.
Auch bedeutende Architekten waren und sind in der Himmelstraße zu Hause. Die neugotische Ziegelbauvilla auf Nr. 45 wurde 1863 von Heinrich von Ferstel als Sommerresidenz für sich und seine Familie errichtet. Ihm verdankt Wien auch die Votivkirche, die Universität und das Palais Ferstel samt Café Central.
Einzigartige Lage
Auch heute wird die Villa in der Himmelstraße von einem Architekten und direktem Nachfahren Ferstels bewohnt, von Markus Spiegelfeld, der u. a. das Wiener Museumsquartier und zuletzt das Horten-Museum baute. „Das Besondere an der Himmelstraße“ ist für Spiegelfeld „die einzigartige Lage zwischen Grinzinger Ortskern, Heurigengegend und Wienerwald“.
Nur ein paar Schritte weiter, auf Nr. 47, lebte der Architekt Gustav Peichl, auch als Karikaturist Ironimus eine Berühmtheit. „Ich war ein junger Architekt und habe keinen Auftrag bekommen, ein Haus zu bauen“, erzählte Peichl, „da hab ich mir gedacht, baust dir halt selber eines“. So entstand seine Villa in der Himmelstraße, in der er 57 Jahre lebte, ehe er hier 2019 mit 91 Jahren starb.
Grinzing als Inspiration
Das alte Haus in der Himmelstraße 69 gibt es nicht mehr. Umso berühmter war sein Bewohner Robert Stolz, der hier mit Ehefrau Einzi von 1964 bis zu seinem Tod lebte. „Robert Stolz und meine Mutter hatten eine Stadtwohnung und das einfache Holzhaus in der Himmelstraße“, erzählt Clarissa Henry, die Tochter von Einzi Stolz. „Während Einzi das Gesellschaftsleben in der Stadt bevorzugte, war Robert lieber in Grinzing, weil er die Natur liebte und als Inspiration für seine Arbeit gebraucht hat.“
Was für ein Zufall, dass mit Robert Stolz der zweite Komponist in der Himmelstraße lebte, der zum Welterfolg des Weißen Rössls beitrug: Mit Melodien wie Mein Liebeslied muss ein Walzer sein und Die ganze Welt ist himmelblau.
Dagmar Koller spazierte als junge Sängerin gerne über die Himmelstraße, weil sie hier die Ruhe fand, Rollen zu lernen. „Ich hatte immer den Traum, hier eine Wohnung zu besitzen“, erzählt sie. „Eines Tages wurde ein neues Mehrfamilienhaus gebaut, ich hatte gerade mein erstes bisschen Geld gespart und kaufte eine kleine Wohnung im Erdgeschoß. Das war 1974, kurz danach lernte ich Helmut Zilk kennen. Da wurde die Himmelstraße unser Liebesnest, an das ich mit Freude zurückdenke. So ist in der Himmelstraße mein Traum in Erfüllung gegangen.“
Schloss Bellevue
Apropos Traum. Ziemlich weit oben in der Himmelstraße, auf Nr. 115, gleich beim Cobenzl, befand sich das Schloss Bellevue, in dem Sigmund Freud oft Urlaub machte. So auch im Juli 1895, als das Schloss durch ihn zu einer historischen Stätte wurde, denn hier kam Freud durch einen Traum zur Erkenntnis, dass Träume nicht sinnlos sind, sondern reale Wunschvorstellungen erkennen lassen. Es war eine Revolution für die Traumdeutung.
Fünf Jahre später wohnten die Freuds wieder im Hotel Bellevue. Und da schrieb der „Vater der Psychoanalyse“ an einen Freund: „Glaubst Du eigentlich, dass an dem Hause dereinst auf einer Marmortafel zu lesen sein wird: ,Hier enthüllte sich am 24. Juli 1895 dem Dr. Sigm. Freud das Geheimnis des Traumes.’“
Traum hat sich erfüllt
Das Haus gibt es nicht mehr, die Marmortafel sehr wohl, sie wurde 1977 genau dort aufgestellt, wo sich einst das Schloss Bellevue befand. Auf der Marmortafel ist wortwörtlich der von Freud formulierte Satz eingraviert. Ein Wunsch-Traum Freuds ist in Erfüllung gegangen. Damit wurde in der Himmelstraße ein Stück Tiefenpsychologie geschrieben. Und einmal mehr konstatiert, dass die Himmelstraße ein einziger Traum ist.
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