Kaum Grenzen für Gewalt im Netz

Kaum Grenzen für Gewalt im Netz
Die Exekutive kann Problem-Videos wie das aktuelle Prügelvideo von Jugendlichen melden, das letzte Wort haben aber Facebook & Co.

Das Handyvideo verstört. Vier Jugendliche schlagen einem Mädchen abwechselnd heftig ins Gesicht. Die 15-Jährige lässt das Martyrium scheinbar freiwillig über sich ergehen; zeigt keinerlei Abwehrreaktion, richtet sich die Haare, nickt ihren Peinigern sogar zu (der KURIER berichtete). Bis Montagnachmittag wurde das Video auf Facebook mehr als 3,5 Millionen Mal angeklickt. Obwohl die Exekutive dessen Löschung beantragt hat. "Wir setzen alles daran", sagt Karl Wurzer, Sprecher der Staatsanwaltschaft St. Pölten.

Sind die österreichischen Behörden also überhaupt in der Lage, die Verbreitung gewaltverherrlichender Inhalte im Netz einzudämmen – oder steht man den Betreibern sozialer Netzwerke machtlos gegenüber?

Im Innenministerium beantwortet man Letzteres mit Nein. Man stehe mit den Verantwortlichen in Kontakt, sagt Sprecher Karl-Heinz Grundböck. Er spricht von einer "funktionierenden Kommunikation" mit Facebook, von "kurzen Wegen" zwischen den Meldestellen von Bundeskriminalamt und Verfassungsschutz und den Betreibern sozialer Medien. Anträge der Polizei – wenn es etwa um Inhalte von mutmaßlich strafrechtlicher Relevanz geht – würden gemäß einer Vereinbarung von Facebook "prioritär behandelt".

Nutzungsbedingungen

"Einen Behörden-Knopf, um Videos abzuschalten, gibt es aber nicht", stellt Grundböck klar. Die Polizei habe weder die Kapazitäten, noch die rechtliche Handhabe, um im World Wide Web Zensur zu üben. Die Entscheidung, ob etwas offline gestellt wird, liege letztlich bei Facebook. "Wir sind die Meldestelle, die Verantwortlichen sitzen dort."

Und die richten sich nicht nach nationalen gesetzlichen Rahmenbedingungen, sondern nach internen Richtlinien. Wie etwa im Fall von Sex-Videos. Pornografische Inhalte widersprechen den Facebook-Nutzungsbedingungen und werden nicht geduldet. "Im Fall von Gewalt sind die Grenzen allerdings nicht so klar definiert. Da reagiert Facebook nicht so schnell", erklärt Thorsten Behrens von der Beratungs- und Infostelle "saferinternet.at". Die Möglichkeit einer Einflussnahme habe allerdings jeder einzelne User: "Unsere Empfehlung ist, so etwas nicht noch mehr zu teilen, die Aufmerksamkeit für das Video möglichst gering zu halten. Weil das könnte Nachahmer animieren. Gewaltverherrlichende Inhalte sollten von so vielen wie möglich gemeldet werden – je öfter das geschieht, desto eher wird Facebook etwas löschen."

Kurzfristig, meint Behrens, seien die Behörden gegenüber Facebook sehr wohl machtlos, weil der Konzern nicht in Österreich sitze und Rechtsstreitigkeiten über den europäischen Sitz in Irland bzw. über die USA ausgefochten werden müssen.

Strafe angekündigt

Klare Worte zu dem Video kommen von Bundeskanzler Christian Kern (SPÖ): "Eine derartige Verrohung der Gesellschaft dürfen wir nicht akzeptieren. Solche Bilder und Taten, egal von wem begangen, wollen und werden wir in Österreich nicht zulassen. Die Täter werden ihrer Strafe nicht entgehen. Genauso wichtig ist es aber, der Verrohung Jugendlicher(...) entschieden entgegenzutreten."

Und auch FPÖ-Chef HC Strache kritisiert die "erbärmliche Handykamera-Inszenierung".

Ein Video sprengt sich durchs Netz: Ein Mädchen wird von vier Jugendlichen vor dem Wiener Donauzentrum schwer misshandelt; sie lässt das über sich ergehen. Ein Mädchen schreit: "Sie hat Kopftuch runtergezogen. Demolier sie!" Laut Polizei war aber nur eine harmlose Nachricht der Auslöser. Patricia schrieb: "Ich habe keine Angst vor dir." Beim nächsten Treffen wollte sich die mutmaßliche Haupttäterin anscheinend beweisen. Der involvierte Bursche habe "aus Gruppenzwang" zugeschlagen. Weitere "Zuschauer" ringsum hinderten das Mädchen an der Flucht.

Die 15-jährige Patricia lag mit einem doppelten Kieferbruch im Krankenhaus; sie wurde gestern Nachmittag nach Hause entlassen. Ihre Peiniger wurden ausgeforscht und angezeigt.

Mit Messer bedroht

Bei der mutmaßlichen Haupttäterin handelt es sich um eine 16-jährige Österreicherin. Sie ist den Behörden erst vor Kurzem aufgefallen: Sie lebt in einer Sozialeinrichtung für Jugendliche in Niederösterreich und soll am 3. November im Bezirk Tulln eine "ähnliche Tat" begangen haben – laut Polizei habe sie eine 14-Jährige zwei Mal an einem Tag niedergeschlagen und getreten und mit dem Umbringen bedroht. Sie soll auch ein Messer gezückt haben. Die 16-Jährige wurde neben absichtlicher schwerer Körperverletzung, Nötigung und gefährlicher Drohung angezeigt.

Das Video von dem jüngsten Übergriff schickte sie laut Polizei selbst als Drohung an drei Jugendliche.

Kaum Grenzen für Gewalt im Netz
Patricia, Prügelopfer, Donauzentrum
Der mutmaßliche Haupttäter ist ein 16-jähriger Tschetschene. Vor allem gegen ihn richtet sich der Hass in diversen Kommentaren. Auch die eigenen Landsleute distanzieren sich öffentlich von der Tat des Burschen. Einer davon ist John S.: Als er das Video sah, nahm er sofort mit Patricia Kontakt auf. "Ich bin Tschetschene, aber ich bin absolut gegen Gewalt und gegen Gewalt an Frauen! Ich weiß, dass diese Leute auf dem Video mein Land runterziehen und es am Ende auf uns alle zurückfällt", erklärt er. "Wenn meine Landsleute ohne Grund Blödsinn machen, können wir auch ohne Grund etwas Gutes tun."

Adam Edelmurzaev, der sich politisch bei der SPÖ in Floridsdorf engagiert, reagiert ähnlich: "In Namen aller Tschetschenen entschuldige ich mich für solch ein unmenschliches Verhalten und für die Gewalt, die gestern angewendet wurde." Man distanziere sich von den Tätern. "Viele Tschetschenen versuchen, das beschädigte Image zu verbessern, und dann passiert so etwas."

(Michaela Reibenwein)

Sex-Videos auf Facebook werden vom Netz genommen, Gewalt-Videos nicht. Also schauen seit Tagen Millionen im sogenannten sozialen Netzwerk, wie eine Gruppe Jugendlicher aus der Vorstadt ein Mädchen verprügelt. Sie wehrt sich nicht. Das finden die meisten Betrachter entsetzlich.

Was auf dem Facebook-Video zu sehen ist, hat es immer gegeben – Mobbing und Gewalt unter jungen Menschen, vom Schulhof bis zum Stiegenhaus. Früher blieb so etwas im kleinen Kreis. Heute konsumieren so etwas Massen. Und Facebook macht Quote. Über die Folgen redet man kaum. Denn solche Gewaltvideos stacheln nur Nachahmer auf.

Wollen wir wirklich zuschauen, bis die nächste Jugend-Gang uns ein noch viel brutaleres Video serviert?

(Michael Jäger)

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