Vom Weinskandal zum Martiniloben: Die Erfindung einer Tradition
Der „Staubige“ legt bald wieder seinen großen Auftritt hin. Wenn die Tage kürzer werden und Herbst im Burgenland Einzug hält, ist das Martiniloben nicht mehr weit.
Rund um das Fest des Landespatrons Sankt Martin am 11. November darf der Jungwein – ob seiner Trübung „Staubiger“ genannt – zum ersten Mal verkostet werden. Doch wer glaubt, beim Martiniloben einen uralten pannonischen Brauch zu pflegen, kennt wahrscheinlich nicht die ganze Wahrheit. Denn im Martiniloben steckt mindestens so viel gewieftes Marketing wie Tradition.
Die großen Weinverkostungen, bei denen meist alle Winzer einer Ortschaft ihre Kellertüren für die Öffentlichkeit öffnen, gibt es in ihrer heutigen Form noch keine 40 Jahre.
Ein Blick zurück: Im Jahr 1985 erschütterte der Glykolwein-Skandal die Weinwelt. Für zwei Winzer aus dem Burgenland hatte die Causa mehrjährige Haftstrafen zur Folge; den Schaden hatte aber die gesamte Branche.
Eine Branche am Boden
1988 lag der burgenländische Weinbau infolge des Skandals am Boden. Sepp Sailer wollte ihm wieder aufhelfen. Der Winzersohn aus Podersdorf, damals Mitte 30, engagierte sich im Bezirksweinbauverband und gab sich dort den hochtrabenden Titel „Public Relations Manager“. Im Gespräch mit dem KURIER erinnert er sich: „Alle haben gejammert, aber niemand hat etwas getan. Im Lagerhaus in Illmitz haben sie eine Stricherlliste geführt – mit den Weinbauern, die aufgehört haben.“
Um das Image des burgenländischen Rebensaftes aufzupolieren, schlug Sailer dem Weinbauverband vor, die traditionelle „Bezirksweintaufe“ im Herbst in „Martiniloben“ umzubenennen.
Sailer erklärt den Ursprung seiner Wortkreation: „Früher sind die Bauern am 11. November, einem Feiertag, von Keller zu Keller gegangen und haben den Jungwein des jeweiligen Winzers ordentlich gelobt. Egal, ob der Staubige gut war oder nicht – Hauptsache, es wurde gelobt“.
Lob muss sein
Gemeinsam mit seinem Mitstreiter Paul Wendelin organisierte Sepp Sailer 1989 das erste große Martiniloben in Gols. 64 Winzer aus Österreichs größter Weinbaugemeinde machten mit. Die dreitägige Veranstaltung war auf Anhieb ein Volltreffer: 1.000 neugierige Gäste kamen zur Premiere.
1990 zog Illmitz mit einem eigenen Martiniloben nach. „Und dann ist das Ganze explodiert“, sagt Sailer nicht ohne Stolz in der Stimme. Mehr als drei Jahrzehnte später ist die herbstliche Weinkost aus dem burgenländischen Jahresreigen nicht mehr wegzudenken. Bevor es das Martiniloben gab, herrschte im November rund um den Neusiedler See touristische Flaute. 2023 lockte das Weinevent laut Burgenland Tourismus mehr als 60.000 Gäste an.
„Das Martiniloben spielt eine immer wichtigere Rolle und trägt auch wesentlich zur Verlängerung der touristischen Saison bei“, sagt Didi Tunkel, Chef des Burgenland Tourismus. Das Martiniloben bringt also auch einen willkommenen herbstlichen Geldsegen ins Burgenland.
Ehrengast auf Lebenszeit
Doch was hat Sepp Sailer eigentlich von seiner Erfindung? Geld habe er mit dem Martiniloben keines verdient, versichert der pensionierte Lehrer. Aber: „Beim Golser Martiniloben habe ich bis an mein Lebensende freien Eintritt. Das ist mein ganzer Gewinn.“
Immerhin. Wenn Sie von 8. bis 10. November die Golser Weinkeller besuchen, treffen Sie ihn vielleicht persönlich, den Erfinder des Martinilobens, mit einem Gläschen „Staubigen“ in der Hand.
Dann sparen Sie bitteschön nicht mit dem Lob.
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