Ungarns "dichte Grenze" ist löchrig wie Schweizer Käse

Ungarns "dichte Grenze" ist löchrig wie Schweizer Käse
Ausnahmen gibt es für ungarische Tagespendler, Mitarbeiter von Unternehmen sowie den Güter-, Transit- und Bahnverkehr

Grenzen dicht, Problem gelöst. Zumindest für die Regierung von Viktor Orbán. Denn für sie steht fest: Das Coronavirus kommt aus dem Ausland. Tatsächlich steigen die Zahlen auch in Ungarn, zuletzt wurden weit über 100 Neuinfektionen an einem Tag gemeldet. Weshalb am Freitagabend Kanzleiminister Gergely Gulyás die Schließung sämtlicher ungarischer Grenzen bekannt gab.

Allerdings nur für Ausländer, die nach Ungarn wollen. Diese dürfen ungarisches Territorium ab Dienstag Mitternacht nur noch mit begründeter Ausnahme betreten. Auch ungarische Staatsbürger sind von der Verschärfung der Corona-Maßnahmen betroffen. Bei der Rückkehr in ihr Heimatland heißt es für sie entweder zwei Wochen Quarantäne oder aber sie legen zwei negative Corona-Tests vor, die in einem Abstand von zwei Tagen gemacht wurden.

Alarm im Burgenland

Grund genug, um im Burgenland die Alarmglocken schrillen zu lassen. Denn ungarische Arbeitnehmer gibt es im Burgenland in so gut wie jedem Bereich: in Pflege- und Gesundheitsberufen ebenso wie in der Gastronomie, der Industrie, dem Handwerk oder in der Landwirtschaft.

Die Lösung kam gegen Mittag nach einem Gespräch von Ministerin Karoline Edtstadler (ÖVP) mit dem ungarischen Außenminister Péter Szijjártó in Form von Ausnahmen, wie schon bei der ersten ungarischen Grenzschließung im Frühjahr zu Beginn der Covid-19-Pandemie.

Offiziell bestätigt sind diese zwar noch nicht, weil der endgültige Text des ungarischen Regierungsbeschlusses erst am Montag feststehen wird. Aber im Burgenland geht man davon aus, dass ungarische Tagespendler von der Grenzschließung ausgenommen sind. Voraussetzung dafür ist wieder eine Bestätigung des Arbeitgebers. Außerdem gilt diese Regelung nur für in Österreich arbeitende Ungarn, die innerhalb von 30 Kilometer der Grenze leben.

Kleine Grenzen sind dicht

Einige von ihnen werden aber längere Anfahrtswege in Kauf nehmen müssen. Denn viele kleinere Grenzübergänge werden von Ungarn geschlossen. Geöffnet bleiben nur die größeren wie Nickelsdorf, Deutschkreutz oder Heiligenkreuz.

Auch der Transitverkehr durch Ungarn, also beispielsweise für in Österreich arbeitende Pflegekräfte aus Rumänien, soll möglich sein. Allerdings nur auf den dafür vorgesehen Routen, wie ein Telefonat des ungarischen Polizeipräsidenten János Balogh mit Generalmajor Robert Strondl vom Innenministerium ergab.

Regelungen
Ab Dienstag, 1. September, dürften ausländische Staatsbürger ungarisches Territorium nur mit begründeten Ausnahmen betreten. Zurückkehrende Ungarn müssen 14 Tage in Quarantäne bleiben oder zwei negative Coronavirus-Tests vorlegen, die in einem Abstand von 2 Tagen gemacht wurden

Grenzübergänge
Nickelsdorf I und II, Andau, Pamhagen, St. Margarethen, Klingenbach, Deutschkreutz, Rattersdorf, Schachendorf, Heiligenkreuz bleiben geöffnet – alle anderen werden auf ungarischer Seite geschlossen

Ausnahmen
Keine Einschränkungen gibt es beim Transit-, Bahn- und Güterverkehr sowie für Geschäftsreisende

Ebenso möglich sind Geschäftsreisen für Mitarbeiter von Handelsunternehmen, die in Ungarn und Österreich einen Standort haben. Auch der Güterverkehr und die internationalen Bahnstrecken sind von den Verschärfungen ausgenommen.

Laut Innenministerium sind die Ausnahmen allerdings mit Vorsicht zu genießen und als „Vorausinfo“ zu verstehen, Änderungen seien jederzeit möglich.

„Telefon ist heiß gelaufen“

Die Ankündigung Ungarns, ab Dienstag, 1. September, die Grenzen für Ausländer und auch ungarische Staatsbürger dichtzumachen, sorgte im Burgenland einige Stunden lange für helle Aufregung – zunächst vor allem in der Wirtschaft.

„Am Samstag ab 7 Uhr in der Früh ist mein Telefon heiß gelaufen“, sagt Klaus Sagmeister. Zahlreiche verunsicherte Unternehmer wollten  vom Vizepräsidenten der burgenländischen Wirtschaftskammer wissen, wie sie ihren Betrieb ab Dienstag aufrecht erhalten sollen, wenn ihre ungarischen Dienstnehmer nicht zur Arbeit erscheinen würden.

Ungarns "dichte Grenze" ist löchrig wie Schweizer Käse

Im Burgenland steht die Weinlese an - ungarische Arbeitskräfte werden dringend benötigt

Einer davon ist Jochen Lehner, einerseits Gastwirt im Eisenstädter Lokal „Haydnbräu“, anderseits Obmann der Tourismusverbandes Eisenstadt Leithaland. „Wäre das so gekommen wie am Freitagabend  kommuniziert, hätten wir alle Gastronomiebetriebe zusperren können – und noch viel mehr“, ist er überzeugt.  Insgesamt hat er in seinem Betrieb 34 Personen angestellt, 21 davon kommen aus Ungarn.

Ab über die grüne Grenze

Schon die erste ungarische Grenzschließung im heurigen Frühjahr  zu Beginn der Covid-19-Pandemie stellte den Gastwirt und seine Angestellten vor große Herausforderungen. „Einer meiner Mitarbeiter hat sich während des Lockdowns sogar über die grüne Grenze nach Österreich geschlichen, um arbeiten zu können“, sagt Lehner.

Aus Erfahrung weiß er auch, dass die 30-Kilometer-Grenze, innerhalb derer in Österreich arbeitende Ungarn wohnen müssen, um pendeln zu dürfen, eher großzügig ausgelegt wird. „Die Bestätigung des Arbeitgebers reicht den ungarischen Behörden in den meisten Fällen. Wenn es ein paar Kilometer mehr sind, ist das kein Problem.“

Angesichts der vielen Ausnahmen erwartet sich Lehner durch die Grenzschließung kaum negative Auswirkungen auf Österreich, wohl aber auf Ungarn. „Der Schaden wird enorm sein. Viele ungarische Betriebe in Grenznähe leben von ihren österreichischen Kunden.“

Was tun Österreicher in Ungarn?

Und was machen Personen mit österreichisch-ungarischer Doppelstaatsbürgerschaft oder Österreicher, die in Ungarn einen Zweitwohnsitz haben? Laut Auskunft des österreichischen Innenministeriums sind Personen mit gültiger Aufenthaltsgenehmigung oder Meldekarte ungarischen Staatsbürgern gleichgestellt.

Allerdings gilt auch in diesem Fall der Verweis auf den endgültigen Text des ungarischen Regierungsbeschlusses, der erst für Montag erwartet wird.

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