Nie mehr Schule! Besuch beim Stammtisch der (Ex-)Lehrer
Von Vanessa Halla
Es ist 10 Uhr. Früher läutete die Schulglocke die große Pause ein – ein großer Teil vom Arbeitstag war bereits geschafft. Heute kommen die Herren Lehrer um diese Zeit gemütlich, aber selbstverständlich pünktlich bei der Tür zum Gasthaus herein.
Mittwoch ist Stammtischtag in Oberschützen. Die Teilnehmer der illustren Runde sind gut-, wohl-, und altbekannt: Allesamt ehemalige Lehrer und Direktoren der großen Bildungseinrichtungen des Schulstandortes.
Lehrer, aber nicht nur
Zwei Ausreißer dürfen auch mitmachen: der ehemalige Gemeindearzt Klaus Just und Heinz Zotter. „Ich war in der Landwirtschaftskammer für die Lehrbefähigungen zuständig, also irgendwie passe ich in die Runde“, wirft dieser lachend ein.
Zwölf aktive Mitglieder zählt der Lehrerstammtisch. „Sie können aber ruhig auch die Wahrheit schreiben, zwölf noch lebende Mitglieder sind wir“, so Helmut Frauneder, ehemaliger Direktor des Wimmer Gymnasiums Oberschützen augenzwinkernd. Der 84-Jährige ist der „Obmann“ des Stammtisches, war 24 Jahre lang Direktor und zeitgleich auch 18 Jahre Bürgermeister von Oberschützen.
Frauneder ist seit 1984 beim Stammtisch dabei und erinnert sich an dessen Anfänge: „Das hat sich ganz zwanglos ergeben, dass eine Runde Lehrer nach der Schule beim Dorfwirten noch zusammengesessen ist. Dann durften wir dort nicht mehr rauchen, also haben wir uns einen neuen Treffpunkt gesucht. Vier Jahrzehnte später sitzen wir immer noch da. Nur halt beim anderen Wirten. Und rauchen darf man immer noch nicht.“
Dass sich die Zeiten, Schüler und das Schulwesen in vielen Belangen sehr verändert haben, darin sind sich die pensionierten Lehrer und Direktoren einig. „Zu viele Schulen, zu wenig Kinder – der Kampf um Schüler ist enorm geworden. Hinzu kommt, dass sich die Eltern immer mehr einmischen“, bringt es Bernhard Schleich, ehemaliger Professor für Biologie und Chemie auf den Punkt.
Und Herr „veni vidi et docui“ im Ruhestand, Wilhelm Neubauer, ergänzt: „Viele Eltern vertreten die Meinung, dass Schule ausschließlich Spaß machen muss. Ich habe großen Wert auf Humor im Unterricht gelegt, aber das Leben ist eben nicht ausschließlich eine Komödie.“
Die große Pause
Mittlerweile ist es 10.21 Uhr – die Herren bestellen die erste Runde Pfiff. Die große Pause, also ihre Pension, die haben sich die Herrschaften nach Jahrzehnten im Klassenzimmer verdient. Die meisten von ihnen kennen sich seit Kindheitstagen, waren Klassenkollegen und sind dann nebeneinander im Konferenzzimmer gesessen.
Salzer, Posch und Frauneder waren Langzeit-Sitzer im Direktorenzimmer. Und mit Sigfried Pertl ist auch der ehemalige Direktor des Bundesschülerheims mit von der Partie: „Das Heim wurde anfangs recht streng geführt, aber Schabernack getrieben haben die Schüler damals wie heute.“ Da wurden Stinkbomben geworfen, Eingänge verbarrikadiert und selbst eine vermeintliche Bombendrohung nahm man als Lehrer eher gelassen hin. „Ich hab´ meine Frau angerufen und gesagt „Du, ich komm heute später heim.“
Apropos Schabernack: Unschuldsengel waren die Herrschaften allesamt nicht. „Drei von uns sind damals sitzen geblieben und die Schule geschwänzt haben wir alle, aber konkrete Infos geben wir nicht raus“, schmunzelt Helmut Frauneder, der Chef der informellen Runde.
11 Uhr Ortszeit. „Wer trinkt noch an Pfiff?“, fragt Bernhard Schleich in die Runde. Er ist heute mit Bezahlen dran. Alle zeigen brav auf – Schule schult, Schule bleibt. Ein Fakt, den Wilfried Specht, ehemaliger Turnlehrer und Professor für Geografie, untermauert: „Ich habe 15 Jahre gebraucht, bis ich am Wimmer Gymnasium vorbeigehen konnte, ohne von ,meiner‘ Schule zu sprechen. Aber wenn meine Frau und ich abends vorbeifahren, sag‘ ich immer noch ,schau, da hat schon wieder einer das Licht brennen lassen‘.“
Gleich acht verschiedene Bildungseinrichtungen gibt es im Schulort Oberschützen im Bezirk Oberwart, die Gemeinde hat etwa 2.400 Einwohner.
Das Gymnasium Oberschützen ist die älteste maturaführende Schule des Burgenlandes. 2025 feiern die beiden Gymnasien im Ort ihre 180-jährigen Jubiläen.
Die Herren erheben die pfiffigen Gläser – „das Zeremoniell muss auch im Beisein der Presse eingehalten werden“, wie einer in der Runde anmerkt – und stoßen auf das Leben und die Pension an.
Bald 90 Jahre alt ist das älteste Mitglied des Stammtisches – leider nicht anwesend, aber natürlich entschuldigt. Unentschuldigtes Fernbleiben gab es auch im Berufsalltag nicht. „Es wäre ein Armutszeugnis, wenn ich nur Negatives mit der Schule, an der ich unterrichtet habe, verbinden würde“, findet der ehemalige Direktor des Gymnasiums Oberschützen, Alfred Kainz.
Was Lehrer lernten
Negatives zu sehen ist den Herren zumindest im Rückblick fremd, aber negative Beurteilungen, also “Nicht Genügend“ wurden schon einige verteilt. „Eine Mutter hat einmal so mit mir über den Fünfer ihres Sohnes gestritten, da bin ich aufgestanden und hab gesagt: ,Gnädige Frau, das ist kein Fünfer, das ist ein 25er‘“, erinnert sich Schleich lachend an alte Zeiten zurück.
Dass ein „Nicht Genügend“ in der Schule aber nicht gleich auch ein nicht genügend für das Leben bedeutet, unterstreicht Alfred Kainz: „Ich habe gelernt, dass man als Lehrer mit Prognosen über Schüler vorsichtig sein sollte.“
Korrekt, meine Herren – und Prost! In wertschätzender und ein bisserl wehmütiger Hochachtung: Ihre ehemalige Schülerin.
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