"Die Welle" nachgespielt: Schwerwiegende Folgen für Schüler
Eine „österreichische Lösung“ – so nennt es Rechtsanwalt Andreas Schweitzer. Jene ehemaligen Schüler der Neuen Mittelschule im burgenländischen Zurndorf, gegen die wegen NS-Wiederbetätigung ermittelt wurde, wurden nun von der Bezirkshauptmannschaft ermahnt. Doch diese Ermahnung hat einen Haken: Denn dadurch sind die fünf Jugendlichen fünf Jahre lang im Verwaltungsstrafregister gespeichert. Sollten sie sich um einen Job im öffentlichen Dienst bewerben, könnte das zum Problem werden. „Wir machen eine Beschwerde“, sagt Anwalt Schweitzer. Wenn nötig, will er bis zum Verwaltungsgerichtshof gehen.
SS-Soldaten und Juden
Wie berichtet, hatte ursprünglich der Verfassungsschutz gegen die Jugendlichen ermittelt. Im Unterricht hatten sie das Buch „Die Welle“ durchgenommen – es handelt von einem Experiment an einer US-Highschool im Jahr 1967, das aus den Fugen gerät.
Die burgenländischen Schüler spielten das Experiment in den Pausen nach. Einige schlüpften in die Rolle von SS-Soldaten, andere in die Rolle von Juden. Im Mattenkammerl des Turnsaales wurden die „Drecksjuden“ eingesperrt, auch „Heil Hitler“-Rufe sollen gefallen sein. Die Lehrer bekamen davon lange nichts mit. Die Schüler hätten ihr Spiel geschickt verheimlicht, erklärte die Direktorin später in einem Elternbrief.
Als die Vorkommnisse publik wurden, erstattete die Schule Anzeige. Doch die Staatsanwaltschaft stellte das Verfahren nach mehr als sieben Monaten ein. Damit wäre die Sache normalerweise zu den Akten gelegt worden. Doch dann nahm sich die Bezirkshauptmannschaft Neusiedl/See der Sache an – und verhängte über die Schüler eine Strafe von 218 Euro – oder wahlweise eine Ersatzfreiheitsstrafe von vier Tagen und fünf Stunden.
"Kommt Schuldspruch gleich"
„In Österreich gilt das Doppelbestrafungsverbot“, sagt Anwalt Schweitzer. Heißt: Niemand darf für ein Delikt zwei Mal bestraft werden. Nachdem schon die Staatsanwaltschaft das Verfahren eingestellt hat, könne es die BH nicht wieder aufnehmen. Zudem käme eine Ermahnung einem Schuldspruch gleich – wenn auch ohne Strafe. „Die BH hat kein eigenes Ermittlungsverfahren eingeleitet. Sie hat nur die Kinder noch ein Mal einvernommen und sich auf die Aktenlage bezogen“, kritisiert Schweitzer.
Bezirkshauptfrau Birgit Lentsch argumentierte anders. Es werde nicht doppelt bestraft, weil es ja keine erste Strafe gegeben habe. Man habe zudem geprüft, ob ein weiterer Tatbestand gegeben sei – etwa das Verbreiten nationalsozialistischen Gedankenguts. Und darauf beziehe sich auch die Ermahnung.
Politisch heikel
„Das ist eine Rechtsfrage, die das Verwaltungsgericht entscheiden muss“, sagt Anwalt Schweitzer. Denn neben dem beruflichen Fortkommen – die Jugendlichen sind zum Teil bereits in Jobs oder machen eine Ausbildung – könne eine Speicherung im Verwaltungsstrafregister auch negative Auswirkungen bei anderen (Verwaltungs-)Strafverfahren haben. „Das Thema ist politisch heikel. Aber das geht auf Kosten der Jugendlichen“, ist der Anwalt erbost.
Chronologie
1. - 6. März 2018: Kurz nachdem die Schüler einer 4. Klasse in der Neuen Mittelschule in Zurndorf „Die Welle“ durchgenommen haben, spielen sie das Szenario nach. Vor allem in den Schulpausen schlüpfen sie in verschiedene Rollen. Nach und nach schließen sich auch Schüler anderer Klassen an. Erst nach mehreren Tagen werden die Lehrer aufmerksam – da kursieren längst diverse Handy-Videos.
6. März 2018: Die Schulleitung erstattet Anzeige bei der Polizei; der Fall wird sofort an das Landesamt für Verfassungsschutz weitergegeben. Nur einen Tag später liegt der Abschlussbericht vor: Es liege kein Anfangsverdacht vor. Die Staatsanwaltschaft Eisenstadt erteilt den Verfassungsschützern dennoch einen Ermittlungsauftrag.
14. Juli 2018: Der zweite Abschlussbericht geht an die Staatsanwaltschaft, die Oberstaatsanwaltschaft nimmt eine Prüfung vor. Am 24. Oktober wird das Verfahren gegen die Jugendlichen eingestellt.
29. Oktober 2018: Bei der Bezirkshauptmannschaft trudelt eine Anzeige gegen die Jugendlichen ein.
9. November 2018: Fünf der Schüler bekommen eine Strafverfügung. Sie sollen 218 Euro zahlen.
Ein reales Experiment als Vorlage - aktuell plant Netflix eine zehnteilige Serie
Der Roman „Die Welle“ (Originaltitel „The Wave“) von Morton Rhue aus dem Jahr 1981 spielt in einer US-amerikanischen Kleinstadt an einer Highschool und handelt von dem Geschichtslehrer Ben Ross, der anhand eines Experiments mit seinen Schülern die Entstehung des Nationalsozialismus dokumentieren will.
Der Lehrer wird zum Anführer, die Schüler werden Teil einer Bewegung, die von Disziplin und Gemeinschaftsgeist geprägt ist. Das Experiment gelingt. Das Gemeinschaftsgefühl begeistert einen Großteil der Jugendlichen.
Doch das Experiment gerät aus den Fugen. Ein Schüler, der sich der Welle nicht anschließen will, wird verletzt. Der Lehrer muss das Experiment abbrechen und konfrontiert die Schüler mit den Parallelen ihrer Bewegung zu den Nazi-Jugendorganisationen.
„Die Welle“ basiert auf einem tatsächlichen Experiment. Unter dem Titel „The Third Wave“ führte es ein Geschichtslehrer im Jahr 1967 an einer High School in Palo Alto, Kalifornien, durch. Der Lehrer selbst veröffentlichte Jahre später ein Buch über seine Erfahrungen, 1981 wurde es verfilmt.
Erst 2008 gab es eine deutsche Verfilmung unter dem Namen „Die Welle“, die Hauptrolle des Lehrers spielte Jürgen Vogel. 2,5 Millionen deutsche Kinozuschauer sahen den Film.
Elf Jahre nach der deutschen Verfilmung entsteht nun auch eine Netflix-Serie. Zehn Folgen sind vorerst in Planung.
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