Burgenland: Wenn der Alltag ohne Hilfe nicht zu schaffen ist
Ein Leben mit Behinderung erschwert vieles: die Suche nach einem Arbeitsplatz, die täglichen Alltagswege, das Finden und Halten sozialer Kontakte. Im Vergleich zur Stadt ist das Betreuungsangebot am Land zudem viel dünner gesät. Auch im Burgenland war es lange Jahre eher üblich, dass Menschen mit Behinderungen in einem Familienverband leben, als dass sie ihr Leben alleinstehend meistern (müssen). Doch das ändert sich. Die Politik hat darauf 2019 mit neuen Richtlinien für die Förderung der Persönlichen Assistenz (PA) reagiert.
„Hat an Respekt gefehlt“
Daniela Ostermann aus dem Bezirk Neusiedl am See kennt die Problematik. Seit dem Tod ihrer Mutter im Jahr 2010 ist die vollblinde Frau auf PA angewiesen. Bei ihrer ersten Erkundigung danach im Amt der Landesregierung erklärte man ihr vor einigen Jahren, dass es im Burgenland diesbezüglich kaum Anfragen gebe, weil Menschen mit Handicap so gut in ihre Familien integriert wären.
Nach zwei Jahren wurden der 52-Jährigen 20 Stunden PA pro Monat genehmigt und dann dank der Unterstützung des ÖZIV auf 40 Stunden aufgestockt. Gut behandelt habe sie sich von den Behörden nie gefühlt, schildert sie dem KURIER. „Es hat an Respekt gefehlt, man wird wie ein Schmarotzer behandelt.“
Oder zumindest nicht der Behinderung angepasst. Dann nämlich, wenn das Formular zum Ausfüllen der in Anspruch genommenen PA-Leistungen per eMail als Bilddatei kommt und so trotz technischer Unterstützung weder gelesen, noch ausgefüllt oder kontrolliert werden kann.
Das mag vielleicht an mangelndem Einfühlungsvermögen der handelnden Personen liegen und das wiederum an der fehlenden Erfahrung. Denn im Vorjahr gab es im Burgenland genau fünf Fälle von gewährter persönlicher Assistenz.
Nach der Einführung der neuen Richtlinien ist diese Zahl heuer auf 14 Anträge gestiegen. Drei davon wurden bewilligt, die anderen sind in Bearbeitung.
Definition als Problem
Und dann gibt es da für Frau Ostermann noch das Problem der Definition der Persönlichen Assistenz. Im Burgenland bezieht sich diese nämlich ausschließlich auf die Freizeit. „Um den Betroffenen die Teilhabe am gesellschaftlichen Leben zu ermöglichen“, heißt es dazu aus der Abteilung im Land. Konkret gemeint sind etwa Veranstaltungen, Sport oder Arztbesuche – also Aktivitäten in der Freizeit. Kochen oder andere Erledigungen im Haushalt sind nicht inkludiert. Voraussetzungen sind ein Alter zwischen 14 und 65 Jahren und mindestens Pflegestufe 3.
Diese Definition ist auch Grund dafür, warum Menschen mit Vollzeitbeschäftigung wie Frau Ostermann weniger PA genehmigt bekommen, als Personen ohne Job. „Weil jemand, der 40 Stunden berufstätig ist, weniger Freizeit hat, als jemand, der nicht arbeitet“, so die Behörde.
Die Folgen des Mangels
Daniela Ostermann hilft das wenig. Sie arbeitet Vollzeit als Telefonistin im Landesdienst, braucht aber dringend Unterstützung bei alltäglichen Erledigungen. Auf Grundlage der neuen Richtlinien wurden ihr Anfang des Jahres 60 Stunden PA genehmigt – aber das reicht für sie hinten und vorne nicht. Auch deshalb, weil im burgenländischen Regelwerk nur von „Freizeitassistenz“ die Rede ist.
„Wo bleiben all die anderen Bereiche, wo Persönliche Assistenz gebraucht wird?“, fragt sie. „Die mir genehmigten Stunden sind oft schon Mitte des Monats aufgebraucht und dann interessiert es die Behörde nicht mehr, wie ich meinen Alltag bewältigen soll.“ Zwar gebe es die Möglichkeit, Stunden um je 25 Euro privat zu finanzieren, aber „das übersteigt meine finanziellen Möglichkeiten“.
Erschwerend ist für die 52-Jährige eine Operation an der Gallenblase, die das Essen von Fertiggerichten unmöglich machte beziehungsweise eine starke Gewichtszunahme nach sich zog – mit Folgen. Erst unlängst hatte Ostermann mit einer offenen Wunde am Fuß zu kämpfen, eine Folge der falschen Ernährung. „Wenn sich nicht bald etwas ändert, wenn ich nicht bald meine Ernährung ändern kann, dann wird mein Problem immer größer.“
Hoffnung setzt Frau Ostermann in das vom Land angekündigte Chancengleichheitsgesetz (siehe Artikel rechts); sie befürchtet aber, dass die Umsetzung zu lange dauern wird: „Aber ich brauche schnell Hilfe. Das ist ein Teufelskreis, der in die Katastrophe führt.“
Neues Gesetz soll gesamten Bereich abdecken
In der Abteilung von Soziallandesrat Christian Illedits (SPÖ) ist man sich der Problematik der sich ändernden Lebensumstände von Menschen mit Behinderungen sehr wohl bewusst. „Wir arbeiten am neuen Chancengleichheitsgesetz, das in Zukunft die Grundlage für den gesamten Behindertenbereich bilden wird“, sagt Illedits. Behindertenorganisationen seien eingebunden.
Basis für das neue Gesetz, das laut Regierungsprogramm für Juli 2021 angekündigt ist, seien Bedarfserhebung und Zukunftsprognose. Das Projekt werde außerdem von der WU Wien begleitet.
- 1. September 2020: Einrichtung der Behinderten-Ombudsstelle
- 1. März 2021: Umfassende Evaluierung eines Maßnahmenpakets „Chancen-gleichheit“
- 1. Juli 2021: In-Kraft-Treten des burgenländischen Chancengleichheitsgesetzes
Das steht im Regierungsprogramm
"Menschen mit Behinderungen sind meist auf besondere Hilfe angewiesen. Daher wird eine Behinderten-Ombudsstelle eingerichtet werden. Außerdem werden wir ein neues Chancengleichheitsgesetz schaffen, das sämtliche Segmente des Behin-dertenbereiches und alle Lebensbereiche der Betroffenen umfasst. In die Entwick-lung der neuen Rahmenbedingungen des Unterstützungs- und Leistungsangebots werden alle zuständigen Einrichtungen und Organisationen eingebunden. Die solide Basis hierfür stellt eine umfassende Bedarfserhebung dar. Basierend auf Erhebun-gen zum Pflege-, Betreuungs- und Unterstützungsbedarf werden Prognosen für die Jahre 2025 und 2030 erstellt. Die Erhebungen sollen bis Ende 2020 abgeschlossen sein. Die gesammelten Ideen und der festgestellte zukünftige Bedarf an Plätzen in Betreuungseinrichtungen, selbstständigen Wohnformen sowie damit in Zusammen-hang stehenden Assistenzleistungen, sollen in Handlungsstrategien sowie als Input für das Burgenländische Chancengleichheitsgesetz, zusammengeführt werden."
Bereits im September soll die neue Behinderten-Ombudsstelle eingerichtet sein, außerdem soll das Anstellungsmodell für pflegende Angehörige im Hinblick auf behinderte Personen evaluiert werden. „Jeder Input ist wertvoll, ich lade die Betroffenen zum Mitwirken ein“, sagt Illedits.
Die WAG Assistenzgenossenschaft hat sich bereits mit einem offenen Brief gemeinsam mit weiteren Organisationen zu Wort gemeldet und fordert die Überarbeitung der Richtlinien zur Persönlichen Assistenz – so wie auch Frau Ostermann.
Zwar werde das Bemühen, einen rechtlichen Rahmen für die PA zu schaffen, begrüßt. Aber der Förderzweck sei zu eng gesteckt, die gewährten Stundensätze seien unterschiedlich und überhaupt müssten die Betroffenen alles vorfinanzieren. Im Büro des Soziallandesrates reagiert man darauf einerseits mit Verständnis, verweist aber andererseits auf das geplante Gesetz.
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