Burgenländerin erforscht, wie smarte Geräte missbraucht werden

Ob Sprachassistenten, intelligente Heizsysteme, Klimaanlagen oder Kühlschränke: Smarte Technologien haben in unserem Alltag längst Einzug gehalten. Diese neuen Produkte können jenen, die sie nutzen, das Leben erleichtern.
Politologin Leonie Tanczer forscht aber zu Problemen, die sich ebenfalls mit dem Einzug dieser neuen Technologien auftun: Die 32-jährige gebürtige Burgenländerin geht in Großbritannien der Frage nach, wie sich das „Internet der Dinge“ (im englischen Original „Internet of Things“, kurz IoT) auf Opfer von häuslicher Gewalt auswirken kann.
Für ihr zukunftsweisendes Forschungsprojekt haben die Professorin und ihr Team von der „UK Research and Innovation“ (UKRI), einer öffentlichen Einrichtung der Regierung des Vereinigten Königreichs, ein Fördergeld von 1,5 Millionen Pfund (1,7 Millionen Euro) erhalten (siehe auch Zusatzbericht unten).
Im Interview mit dem KURIER erzählt Tanczer über ihre Arbeit und ihre Ziele.
KURIER: Wie kamen Sie dazu, die Auswirkungen smarter Technologien auf häusliche Gewalt zu erforschen?
Leonie Tanczer: Die Verbindung zwischen Technologie und Politik hat mich schon immer interessiert – und auch wie diese Bereiche unsere Gesellschaft beeinflussen. Nach meinem Doktorat habe ich eine Stelle an einem riesigen Forschungsprojekt in Großbritannien, bei dem es um das Internet der Dinge gegangen ist, erhalten. Das Internet der Dinge sind digitale Systeme, die in der Vergangenheit oftmals analog waren – wie beispielsweise ein Thermostat oder eine Türglocke. Solche Produkte werden nun vermehrt mit dem Internet verbunden.
Teil meiner Aufgabe in dem Projekt war es, Fragen der Regulierung und Gesetzgebung zu beleuchten. Wir waren sehr wenige Sozialwissenschaftler in der Gruppe. Die Mehrheit waren Informatiker und Informatikerinnen. Sie waren immer sehr euphorisch in Bezug auf diese neuen Technologien. Ich war da immer vorsichtig in Hinblick auf die Effekte, die diese Systeme auf die Gesellschaft haben können.
Welche Auswirkungen sind möglich? Hatten die Pandemie und der Lockdown auch einen Einfluss?
Viele Leute konnten in der Phase nicht von zu Hause ausziehen, hatten Kinder zu betreuen und waren in ihren vier Wänden vom Rest der Welt abgeschnitten. Überraschenderweise konnten wir beobachten, dass die Verwendung von Stalkerware in dieser Zeit angestiegen ist: Dazu zählt Spionagesoftware, mit der Partner sowie auch Kinder kontrolliert und überwacht werden können. Die Funktionalität dieser Systeme ist recht unterschiedlich. Häufig können betroffene Personen mit GPS verfolgt werden, was jemandem ermöglicht, zu sehen, wo eine Person ist beziehungsweise wo sie hingeht. Dann gibt es aber auch Systeme, die es ermöglichen, Nachrichten zu lesen oder sie sogar zu löschen, bevor sie der Partner gesehen hat.
Welche anderen Möglichkeiten häuslicher Gewalt sind noch mithilfe smarter Technologien möglich?
Das System, das am meisten missbräuchlich verwendet wird, ist ohne Frage das Handy. Jeder hat eines – heutzutage ist unser ganzes Leben damit verbunden. Wenn man an eher unkonventionelle Technologien denkt, sind das häufig jene, die sehr populär und erschwinglich sind.

Leonie Tanczer wurde im Burgenland geboren. Heute lebt sie in Nordirland und forscht in London.
Welche sind das zum Beispiel?
Dazu zählen Smart-Speaker wie Amazon Echo („Alexa“) und Google-Home. Diese Systeme erlauben es, verschiedene smarte Technologien miteinander zu verbinden, zu verwalten und via Sprachfunktion zu regulieren.
Heutzutage muss man nicht einmal zu Hause sein, um das physische Umfeld einer Person zu verändern. Ich kann von der Arbeit aus den Thermostat in meiner Wohnung an- bzw. ausschalten und den Suchverlauf meines Partners abfragen.
Weit verbreitet sind auch internetverbundene Kameras. Das heißt, man kann im Büro sitzen und schauen, ob die Person, die man kontrollieren will, zu Hause ist.
Wichtig ist, dass man bedenkt, dass häusliche Gewalt nicht nur physisch ist. Es geht vor allem um Angst. Der Täter hat nicht nur die Kontrolle über sein Opfer, sondern auch über die technischen Systeme des Opfers.
Wie hoch ist die Zahl der Opfer, die durch das Phänomen betroffen sind?
Die Zahl der Opfer häuslicher Gewalt liegt in England und Wales bei rund zwei Millionen – 85 Prozent davon sind Schätzungen zufolge Opfer des Missbrauchs neuer Technologien. Sie erleiden physischen, emotionalen und finanziellen Schaden.
Was sind Ihre Ziele, was wollen Sie mit dem UKRI Future Leaders Fellowship erreichen?
Mein Ziel ist es, die Online-Sicherheit zu erhöhen und den technischen Missbrauch an der Wurzel zu bekämpfen. Dazu werden wir eine Online-Datenbank erstellen, durch die die Entwicklung auf diesem Gebiet überwacht werden kann. Ich will vor allem untersuchen, was die Täter und Täterinnen dazu bringt, technische Missbrauchshandlungen zu begehen und wie sie Entscheidungen treffen.
In der zweiten Hälfte des Fellowships wird auf diesen Erkenntnissen aufgebaut. Wir werden erforschen, welche Maßnahmen wir implementieren können, um Technologiemissbrauch zu verhindern und einzudämmen. Dafür arbeiten wir mit größeren Playern wie IBM und Kaspersky zusammen.
Sie sind beruflich viel beschäftigt, pendeln zwischen England und Irland. Wie oft kommen Sie noch ins Burgenland?
Ich habe erst im Juni im Burgenland geheiratet. Meine Eltern und meine Freunde sind im Burgenland, ich komme mindestens vier Mal im Jahr in meine alte Heimat.
Wurzeln: Leonie Maria Tanczer wurde 1989 geboren, sie stammt aus Raiding. Sie hat an der Universität Wien und der University of Limerick (Irland) Politikwissenschaft, sowie Politische Psychologie an der Queen’s University Belfast studiert.
Steile Karriere: Tanczer ist Associate-Professorin am University College London. Sie zählt zu den 84 der „vielversprechendsten Wissenschaftler und Forscher“ im Vereinigten Königreich, die dieses Jahr für eine staatliche Förderung ausgewählt wurden. Sie forscht zu den Themen Internationale Sicherheit und Neue Technologien.
Fachgebiet: Tanczer ist Studienleiterin des Forschungsprojekts „Gender and IoT“, das die Auswirkung von IoT-Technologien auf Gewalt gegen Frauen untersucht. Sie ist verheiratet und pendelt zwischen ihrem Arbeitsort London und ihrem Zuhause in Nordirland.
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