Beim Bankerlsitzen verfliegt die Einsamkeit

Beim Bankerlsitzen verfliegt die Einsamkeit
Die Nachbarschaftshilfe Plus hilft älteren Menschen bei der Bewältigung des Alltags und beim Knüpfen sozialer Kontakte.

Mehr als fünf Jahrzehnte lang war Christine Wallner verheiratet, im Frühling ist ihr Mann gestorben. Einsam ist die 73-Jährige dennoch nicht. In ihrer Heimatgemeinde Lackendorf (Bezirk Oberpullendorf) kann sie auf die Unterstützung ihrer Mitbewohner zählen. Möglich macht das die Nachbarschaftshilfe Plus (NHP).

Seit 2014 hat sich der Verein zum Ziel gesetzt, vor allem den älteren Menschen in den Dörfern unter die Arme zu greifen. Weil die Bevölkerung immer älter wird und die meist berufstätigen Kinder nicht immer die Möglichkeit haben, ihre Altvorderen tagsüber zu betreuen, springt die NHP ein. Sei es bei Fahrten zum Arzt, in die Apotheke und zum Supermarkt oder auch durch das Knüpfen sozialer Kontakte.

Burgenländische Tradition

„Miteinander und füreinander“ lautet das Motto in den 20 Mitgliedsgemeinden im Land. Um Einsamkeit gar nicht aufkommen zu lassen, laden die fixen Mitarbeiterinnen des Vereins ihre Klienten regelmäßig zum „Bankerlsitzen“ ein. Die alte burgenländische Tradition, sich auf der Gasse zu einem „Plauscherl“ einzufinden, erfährt so eine Renaissance.

Frau Wallner sowie die beiden Ehrenamtlichen der NHP – Monika Fuchs und Otto Kustor – haben sich am Freitagvormittag gemeinsam mit Koordinatorin Michaela Stögerer auf dem Bankerl vor dem Gemeindeamt eingefunden. Bei prachtvollem Spätsommerwetter wird Kaffee getrunken und geplaudert.

Mitglieder
Der Verein Nachbarschaftshilfe Plus wurde 2014 im Bezirk Oberpullendorf gegründet. Derzeit sind 20 Gemeinden vom Bezirk Neusiedl am See  bis in den Bezirk Oberwart Mitglieder. St.Martin/Raab ist ab 2023 dabei. Drei weitere Gemeinden (Wallern, Tadten, Litzelsdorf)  überlegen eine  Mitgliedschaft

Finanzierung
Finanziert wird das Projekt durch Land und Gemeinden.

Für Mitgliedsgemeinden fallen - je nach Einwohnerzahl - jährliche Kosten etwa zwischen 10.000 und 15.000 Euro an

50.000soziale Dienste
hat die NHP seit 2014 im Burgenland koordiniert. Im Vorjahr waren es mehr als 13.000

600 Ehrenamtliche

engagieren sich bei dem Sozialprojekt

 

Im Dienst der guten Sache

Früher, sagt Frau Wallner, habe sie viel mit ihrem Mann unternommen. Nach seinem Tod wurde ihr geraten, sich an die NHP zu wenden, erzählt sie. „Es ist eine gute Einrichtung.“ Die Ehrenamtlichen führen sie bei Bedarf zum Arzt oder zum Einkaufen.

Monika Fuchs ist eine der rund 600 Mitglieder der NHP im Burgenland, die sich in den Dienst der guten Sache stellt. Seit 2016 engagiert sie sich beim Verein, seit zwei Jahren ist sie in Altersteilzeit und hat nun mehr Zeit, sich in Lackendorf  um ihre Mitmenschen zu kümmern. Auch mit Frau Wallner hat sie immer wieder Kontakt.  „Jeder kann schnell in eine Situation kommen, in der er Hilfe braucht. Da ist es dann gut, wenn jemand für einen da ist", sagt Fuchs.

Erst Klient, jetzt Ehrenamtlicher

Otto Kustor nickt. Er selbst war vor einem Jahr auf die Unterstützung der NHP angewiesen. Durch eine Erkrankung der Augen hat er kaum noch etwas gesehen. Dadurch  wurden seine soziale Kontakte immer weniger. Ehrenamtliche Mitglieder des Vereins haben dem heute 62-Jahren geholfen. Heute geht es ihm wieder gut. Jetzt will er etwas zurückgeben.

"Die gute Seele im Ort"

„Er ist die gute Seele im Ort“, zollen die Damen dem 62-Jährigen Anerkennung. Herr Kustor hilft, wo er kann, überbringt etwa Glückwunschkarten an Klientinnen und Klienten persönlich oder hilft beim Organisieren von Vereinstreffen.

Die Koordinatorin

Mit Empathie und Organisationstalent vermittelt NHP-Mitarbeiterin Stögerer zwischen den Wünschen der Klienten und dem (zeitlichen) Angebot der Ehrenamtlichen. Das funktioniere gut. Manchmal gebe es allerdings eine gewisse Scheu, die kostenlosen Dienste anzunehmen. „Die Leute sollen sich trauen“, appelliert Stögerer. Der Kontakt zwischen den Klienten und den Ehrenamtlichen sei "eine Win-Win-Situation", jeder profitiere.

Eigenes Bankerl für Kobersdorf

Vor Kurzem wurde auch das erste „Nachbarschaftshilfe Plus Bankerl“ des Burgenlandes in Kobersdorf eingeweiht. Gemeinderat Rudolf Manninger hat es in den Projektfarben gestrichen und nun wartet es auf dem Dorfplatz auf die ersten plauderwilligen Gäste.
Beim Bankerlsitzen verfliegt die Einsamkeit

Nachbarschaftshilfe-Bankerl für Kobersdorf: Einweihung u.a. mit Landesrat Heinrich Dorner, Vizebürgermeister Johann Oberhofer, Gemeinderat Rudolf Manninger, Bürgermeister Andreas Tremmel, Michaela Stögerer und Astrid Rainer von Nachbarschaftshilfe Plus

Gemeinsame Mahlzeiten

Seit Neuestem heißt es auch „Mahlzeit Miteinander“. Gemeinsam wird in Horitschon und Lackenbach im Gasthaus zu Mittag gegessen. „Da können Kontakte geknüpft werden, und die Wirte profitieren auch“, schildert NHP-Geschäftsführerin Astrid Rainer.

Fahrten zum Sozialmarkt

Immer wieder lässt der Verein mit neuen Angeboten aufhorchen. Aktuell sei es geplant, Klienten im Bezirk Mattersburg zu den Sozialmärkten zu chauffieren. Denn die Teuerungen treffen Ältere oft besonders hart. Die Ehrenamtlichen sind unfallversichert und erhalten bei Fahrdiensten das amtliche Kilometergeld von 0,42 Cent.

Durch die kostenlosen Fahrtdienste sollen die Klienten die Möglichkeit bekommen, günstig einkaufen zu können. Als Konkurrenz zu den öffentlichen Taxiunternehmen sieht sich die NHP nicht. „Ein markanter Prozentsatz unserer Klienten hat nicht so viel Geld zur Verfügung und ist auch nicht so mobil. Sie könnten sich in vielen Fällen ein Taxi mehrmals pro Monat ohnehin nicht leisten.“

Beim Bankerlsitzen verfliegt die Einsamkeit

"Mahlzeit Miteinander": Gemeinsames Essen in Horitschon

"Niederschwellig und wohnortnahe"

„Unsere Devise ist es, niederschwellig, wohnortnahe und gemeinnützige Dienste für die Bewohner anzubieten“, sagt Rainer. Weniger wird die Arbeit jedenfalls nicht – im Gegenteil: Die Zahl der Klienten steigt, Ehrenamtliche werden gesucht. Die Services sind kostenlos, aber nicht umsonst: „Die Menschen können länger selbstbestimmt zu Hause leben, wenn sie Unterstützung im Heimatort bekommen.“

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