Das Leben der Roma im Burgenland neu aufgeblättert

Das Leben der Roma im Burgenland neu aufgeblättert
Die Historiker Herbert Brettl und Gerhard Baumgartner und ihr neues Buch über verschwundene Romasiedlungen im Burgenland.

Eines haben der Journalist Gerhard Baumgartner und der Geograf Herbert Brettel gemeinsam: ihre Leidenschaft für die Geschichte des Landes und den Beruf als Historiker. Nachdem sie sich vor vielen Jahren im Rahmen von Vorträgen und Symposien kennenlernten, wuchs eine enge Freundschaft heran.

Die Idee zu ihrem aktuellen Buch hatten sie bereits vor 20 Jahren. Das gemeinsame Werk „Einfach weg – verschwundene Romasiedlungen im Burgenland“ ist vor wenigen Tagen erschienen.

Die Roma vor 1938

In dem Buch wird ein bisher immer etwas ausgeblendetes Kapitel burgenländischer Regionalgeschichte erzählt – die Zerstörung der Romasiedlungen durch die Nationalsozialisten. Rund 120 Orte gab es einst, mit einer Einwohnerzahl zwischen 10 und 300 Personen. Heute gibt es über das ganze Land verstreut nur noch wenige dieser Siedlungen.

Brettl und Baumgartner haben über 400 historische Bildquellen und Dokumente aus österreichischen und ungarischen Archiven zusammengetragen und durch lokalhistorisches Material ergänzt. „Wichtig ist, der Bevölkerung aufzuzeigen, dass die Roma ein Teil der burgenländischen Geschichte und Identität sind, die nicht vergessen werden sollte“, sagt Brettl und meint damit vor allem die Zeit von 1914 bis 1955.

Das Leben der Roma im Burgenland neu aufgeblättert

Im Buch finden sich Bilder aus den Familienalben der überlebenden burgenländischen Roma sowie Aufnahmen von Völkerkundlern und engagierten Fotografen. Der Leser erhält einen neuen, facettenreichen Eindruck von der Lebenswirklichkeit der burgenländischen Roma vor 1938. Das Werk solle als Beitrag zur burgenländischen Landesgeschichte verstanden werden, vor allem aber auch zur Lokalgeschichte der burgenländischen Gemeinden, so die beiden Autoren, die das Material über viele Jahre zusammengetragen haben.

„Unrealistisch“

Die Geschichte der Roma beschäftigt Gerhard Baumgartner bereits seit den 1980er-Jahren. „Seit damals habe ich viel über diese Volksgruppe gelernt. Und je mehr ich mich mit ihrer Geschichte beschäftigt habe, umso klarer ist mir geworden, wie unrealistisch unsere Vorstellungen von den sogenannten Zigeunern eigentlich sind“, sagt der wissenschaftliche Leiter des Dokumentationsarchivs des österreichischen Widerstandes (DÖW) in Wien. Obwohl er als Kind mit einigen Buben aus der Romasiedlung Kleinbachselten (Bezirk Oberwart) einen gemeinsamen Schulweg hatte, realisierte er erst viel später, dass die Roma in seinem Bezirk vor 1938 rund zehn Prozent der Bevölkerung ausmachten und dass die meisten davon in der NS-Zeit ermordet wurden. Und dass es im Burgenland noch Leute gibt, die fließend Romanes sprechen, war sogar dem Historiker bis in die 1990er-Jahre überhaupt nicht bewusst.

Das Leben der Roma im Burgenland neu aufgeblättert

„Einfach weg“ ist nicht das erste Buch, das Baumgartner, der oft mit anderen Autoren zusammenarbeitet, verlegt hat. Seine Themen waren und sind Minderheitenpolitik in Mittel- und Osteuropa, der burgenländisch-westungarische Raum, Sozialgeschichte des 19. und 20. Jahrhunderts und natürlich die Periode des Nationalsozialismus.

Doch beinahe wäre alles ganz anders gekommen, denn Gerhard Baumgartner wollte früher immer Architekt werden und bis heute fasziniert ihn jede Form der Architektur – von den Lehmbauten im Kellerviertel Heiligenbrunn bis zu den technischen Meisterleistungen des italienischen Stararchitekten Renzo Piano. Aber schnell war ihm klar, dass seine mathematischen Fähigkeiten dafür nicht ausreichen und so hat er Lehramt studiert. Neben der Leitung des DÖW unterrichtet der 63-Jährige noch Medientheorie an der FH Joanneum in Graz, an der Alpe-Adria Universität Klagenfurt und fallweise Minderheitenpolitik an der Donauuniversität Krems.

„Herzensanliegen“

Das neue Buch „Einfach weg“ war sowohl ihm als auch Brettl ein „Herzensanliegen“. Wie die Geschichte an sich und das bereits seit Jahren. Für Herbert Brettl kam in seiner Jugend nur ein Studium infrage: Geschichtsforschung und -wissenschaft. In seiner Lehrtätigkeit an der PH Burgenland und am Gymnasium Neusiedl versucht er auch heute bei seinen Schülern und Studenten die Leidenschaft für Geschichte zu wecken.

„Durch die Erforschung der regionalen Geschichte soll der Zugang zum Land, in dem man lebt, geschärft werden. Ein Historiker arbeitet vielfach wie ein Detektiv – die Forschungen bringt immer wieder Neues hervor und man stellt auch immer wieder neue Fragen an die Geschichte – das ist einfach spannend“, sagt Herbert Brettl spürbar begeistert. Ihm sei es wichtig, vorhandenes Wissen an Interessierte weiterzugeben. Sowohl durch Bücher aber auch im Internet, zum Beispiel in seinem Geschichtsblog „History Burgenland Blog“. So will er auch jüngere Menschen für das Thema Geschichte begeistern.

„Einfach weg“ dürfte nicht das letzte gemeinsame Buch von Baumgartner und Brettl gewesen sein. Schließlich loben sie die „gute Zusammenarbeit“ in höchsten Tönen. Und außerdem gebe es noch genügend Material, um die Geschichte des Landes aufzuarbeiten.

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