Industrie beklagt mangelnde Dialogbereitschaft im Burgenland
"Die Bereitschaft zum Gespräch ist nicht mehr zu 100 Prozent vorhanden", sagt Manfred Gerger über das aktuelle Verhältnis zum Land und Landeshauptmann Hans Peter Doskozil.
Der Präsident der burgenländischen Industriellenvereinigung ist seit 2011 im Amt und vertritt 158 Mitgliedsbetriebe mit rund 7.400 Mitarbeitern.
Im KURIER-Interview spricht er über Corona und warum er trotz langjähriger Erfahrung als Unternehmer nicht Aufsichtsrat einer Bank sein möchte.
KURIER: Wie geht es der burgenländischen Industrie in der Corona-Pandemie?
Manfred Gerger: Der Baubranche und Haustechnikfirmen geht es relativ gut, weil Menschen in Haus und Garten investieren. Bei Zulieferbetrieben, speziell für Autos, läuft es hingegen nicht besonders, viele nutzen Kurzarbeit.
Wie viele Mitarbeiter sind derzeit in Kurzarbeit?
Es werden rund 35 bis 40 Prozent sein (von rund 7.500 Mitarbeitern in 160 Industriebetrieben, Anm.).
Drohen Kündigungen in großem Stil oder Firmenpleiten?
Nein. Es ist aber schwer einschätzbar, wie sehr unsere Zulieferbetriebe von der Entwicklung in den Industrieregionen in Oberösterreich und der Steiermark abhängen.
Seit 2011 ist der 57-jährige Südburgenländer Manfred Gerger Präsident der Industriellenvereinigung. 2019 wurde er zum dritten Mal gewählt. Die IV Burgenland hat 158 Mitgliedsbetriebe und 7.471 Beschäftigte (inklusive Zulieferer und industrienahe Produzenten 12.700). Abgesetzte Produktion: 3,3 Mrd. Euro, 56 Prozent Export.
Nach drei Jahrzehnten beim Autozulieferer Hella, zuletzt als Boss der Hella Fahrzeugteile Austria, hat Gerger eine eigene Firma gegründet: „Gerger Industrial Holding“ entwickelt mit 12 Mitarbeitern Scheinwerfer und Leuchten für Pkw und Nutzfahrzeuge und produziert Prototypen.
Sie haben nach Jahrzehnten als angestellter Manager selbst eine Firma zur Entwicklung von Scheinwerfern für Pkw und Nutzfahrzeuge gegründet. Wie läuft‘s?
Relativ gut, unsere Aufträge sind bis Mitte 2021 gesichert. Wir realisieren gemeinsam mit großen Zulieferern ausschließlich Neuentwicklungen, etwa für den Audi Q7 und Q8 und den Volvo XC60. Neue Projekte und Modelle werden auch in dieser Krise nicht zurückgezogen, davon profitieren wir.
Was erwartet sich die Industriellenvereinigung von Bundes- und Landespolitik?
Die Kurzarbeit muss zumindest bis Frühjahr 2021 fortgeführt werden, dann wird man in Sachen Corona-Impfung hoffentlich klarer sehen. Außerdem braucht es Unterstützung bei Investitionen und Fixkostenzuschüsse zur Sicherung der Liquidität.
Bleiben wir bei der Politik: Sie haben sich als Aufsichtsrat der Landesholding zurückgezogen (Ex-ÖVP-Agrarlandesrat und Winzer Andreas Liegenfeld folgt, Anm.), Wirtschaftskammer-Präsident Peter Nemeth hat das Aufsichtsgremium der Energie Burgenland verlassen. Was ist da zwischen Land und Wirtschaft passiert?
Bei mir waren es persönliche Gründe. Ich möchte mich ganz auf meine Unternehmen konzentrieren, wir bereiten uns nach Stegersbach und Wien auf einen dritten Standort in der Slowakei vor.
Der Auszug ist kein Zeichen der Abkühlung des Verhältnisses zur Landespolitik?
Man sollte sich fragen, ob bestimmte Äußerungen von dieser Seite die Wirtschaft unterstützen oder hemmen. Ich denke an den Mindestlohn von 1.700 Euro netto, der dem Wirtschaftsstandort nicht förderlich ist. Aber wir sind laufend im Gespräch mit der Landesregierung, diese Woche treffe ich den neuen Wirtschaftslandesrat (Leonhard, Anm.) Schneemann.
Vor dem Wechsel an der Landesspitze von Hans Niessl zu Hans Peter Doskozil meinten Sie, Sie erwarten keinen großen Wandel. Sehen Sie das jetzt auch noch so?
Zu dieser Aussage würde ich mich heute nicht mehr hinreißen lassen.
Was hat sich geändert?
Die Bereitschaft zum Gespräch ist nicht mehr hundertprozentig vorhanden.
Der Zugang zu Niessl war besser als der zu Doskozil?
Entscheidungen wurden gemeinsam getroffen, Ausrichtung und Ziele gemeinsam verfolgt.
Landesrat Schneemann hat im KURIER gemeint, mehr Druck auf Arbeitslose, Stellen anzunehmen, die stark von Ausländern besetzt sind, sei das falsche Signal. Sehen Sie das auch so? Schließlich klagt die Industrie trotz hoher Arbeitslosigkeit über Facharbeitermangel?
Wir müssen Menschen, die ihren Job verloren haben, die Möglichkeit zur Umschulung geben. Da ist auch die Landesregierung gefordert, finanziell und bei Fördermöglichkeiten. Die Wirtschaft kann sich nur jener Mitarbeiter bedienen, die sich anbieten und die nötige Qualifikation haben.
Wie schaut es bei Berufseinsteigern aus?
Uns fehlen die Absolventen technischer Lehrberufe und höherer technischer Ausbildungen. Auf Betreiben der Industrie bekommen wir endlich einen FH-Studiengang für angewandte Elektronik und Photonik nach Pinkafeld.
Was hat das Land gemacht?
Das Land beantragt beim Bund Studiengänge. Aber es macht einen Unterschied, ob ich zum Beispiel Weinmarketing beantrage oder einen technischen Studiengang.
Thema Commerzialbank: Hat es Sie gewundert, dass das Burgenland 20 Jahre nach der Bank Burgenland wieder Schauplatz eines Bankenskandals ist?
Ja, offenbar hat kein Lernprozess stattgefunden.
Fürchten Sie einen Imageschaden für den Wirtschaftsstandort?
Die Reaktionen vieler Gesprächspartner aus ganz Österreich nach Auffliegen des Skandals waren für mich schon beängstigend.
Sind burgenländische Industriebetriebe betroffen?
Vereinzelt, mit kleinen Einlagen. Aber keine Summen, die beunruhigend sind.
Ihr Verhältnis zu Ex-Bank-Chef Martin Pucher?
Ich bin nicht Fußball-affin, deshalb hatte ich auch kaum Berührungspunkte zu ihm.
Ihr Vorgänger als IV-Präsident, Werner Frantsits, war Aufsichtsratschef der Bank Burgenland. Würden Sie Bank-Aufsichtsrat werden?
Nein, dazu fehlen mir die Kenntnisse und Fähigkeiten.
Hätten die Aufsichtsräte der Commerzialbank so gedacht, wäre das Fiasko kleiner.
Ich bin ein massiver Befürworter einer entsprechenden Qualifikation, bevor ich so ein Amt antrete.
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