Burgenlands letzter Fassbinder: Wenn ein Handwerk ausstirbt
In Karl Rolls Werkstatt herrscht festliche Stimmung an diesem Tag, Mitte der vergangenen Woche. Auf einem Tisch reihen sich Dutzende Geschenke – großteils Flaschen – aneinander. In der Mitte der langen Halle in einem St. Andräer Hinterhof prangt ein Transparent mit der Aufschrift: „Happy 60th Birthday“.
Am Wochenende habe er hier seinen Geburtstag gefeiert, 250 Leute seien da gewesen, erzählt Karl Roll beim Besuch des KURIER. Der St. Andräer hatte mehr zu feiern als „nur“ einen runden Geburtstag: Auch auf seinen verdienten Ruhestand wurde fleißig angestoßen. Diesen hat er am Freitag, den 1. Dezember, angetreten.
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Damit hat der letzte Fassbinder im Burgenland seine Werkzeuge niedergelegt. Die „Fassbinderei Roll“ in der Nähe des Zicksees war genauso alt wie ihr Geschäftsführer: 1963 gegründet, übernahm Karl Roll Junior im Jahr 1993 das Geschäft des Vaters, bei dem er zuvor schon seine Lehrjahre absolviert hatte.
Damals, in den 1970er-Jahren, schien die Fassbinderei noch ein relativ krisensicheres Geschäft zu sein – gerade in einem Weinbaugebiet wie dem Seewinkel. „Früher hat es fast in jeder Ortschaft einen Fassbinder gegeben“, erzählt Karl Roll. Zu Zeiten, in denen im Nordburgenland vor allem Weißwein produziert wurde, waren Fässer aus Akazienholz das gängigste Gebinde. Infolge der zunehmenden Verbreitung von Metall- und Kunststofftanks sperrten in den 1980er-Jahren die meisten Fassbindereien zu. Karl Roll und sein Vater blieben dem Handwerk aber auch in schwierigen Zeiten treu und begannen, auch Stahltanks herzustellen.
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Nur wenige Jahre später interessierte sich eine junge Generation von Winzern wieder für Holzfässer: Rotweine erfreuten sich immer größerer Beliebtheit im Seewinkel.
Aufschwung
Ab den 1990er-Jahren stellte die St. Andräer Fassbinderei hauptsächlich Barriquefässer aus Eichenholz her. Die Geschäfte liefen wieder bestens – bis in die 2020er-Jahre.
An der Berufsschule Pöchlarn (NÖ) gibt es noch einen Fassbinder-Lehrgang. Auf dem Stundenplan steht, unter anderem: Angewandte Mathematik, Computergestütztes Zeichnen, Werkzeug- und Maschinenkunde.
Eichenfässer zeichnen sich durch eine besonders hohe Lebensdauer von bis zu 100 Jahren aus. Solange sie mit Wein befüllt sind, müssen sie innen nicht behandelt werden. Von außen sollte das Fass regelmäßig mit Pflegeöl eingelassen werden.
Zuletzt hatte die Fassbinderei unter enormen Steigerungen beim Holzpreis zu kämpfen. Eichenholz sei laut Karl Roll in den vergangenen drei Jahren um rund 50 Prozent teurer geworden. Trotz aller Höhen und Tiefen der Branche hat der 60-Jährige seine Berufswahl nie bereut, betont er: „Mir hat mein Beruf immer Spaß gemacht. Vor allem, weil er so abwechslungsreich ist. Im Winter haben wir die Bäume geschnitten, im Frühling mit der Fassproduktion begonnen“.
30 bis 40 Fässer hat Karl Roll pro Jahr gebunden, ihre Füllmenge reichte von 50 bis zu 10.000 Liter. Die Anfertigung eines 225-Liter-Barriquefasses aus österreichischer Eiche nahm ungefähr drei Arbeitstage des erfahrenen Fassbinders in Anspruch. Die Kundschaft zahlte dafür rund 600 Euro.
Karl Rolls Kinder hatten kein Interesse, den Betrieb in dritter Generation fortzuführen – der Sohn wurde Baumeister, die Tochter Justizwachebeamtin. Der St. Andräer würde seinen Beruf trotzdem der jüngeren Generation ans Herz legen. Neben dem handwerklichen Talent sollte man dafür allerdings auch ein mathematisches Denken mitbringen, merkt Roll an: „Einen Kreis oder einen Zylinder kann man leicht berechnen. Bei einem Fass ist es schon schwieriger“.
Das Hobby bleibt
Seine Geräte aus den 1960er-Jahren will der letzte Fassbinder des Burgenlands übrigens auch in der Pension hin und wieder benützen, allerdings nur zu Hobbyzwecken.
Auf sein aktives Arbeitsleben wird er fortan mit „einem lachenden und einem weinenden Auge zurückblicken“, sagt Karl Roll: „Es ist schade, dass es mit dem Bindergewerbe jetzt vorbei ist im Burgenland. Auf der anderen Seite wird es auch immer schwerer, als Kleinstbetrieb mit den Großen mitzuhalten.“
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Berufe mit Seltenheitswert
So, wie es früher in fast jedem burgenländischen Dorf einen Fassbinder gab, waren auch Schuster für die ländliche Infrastruktur unabdingbar. Heute sind im gesamten Burgenland nur noch fünf Schuhmacher gewerblich aktiv.
Die beiden Berufsgruppen stehen exemplarisch für die wirtschaftliche und gesellschaftliche Veränderung der vergangenen Jahrzehnte. Der KURIER wollte es genauer wissen und hat bei der Wirtschaftskammer Burgenland (WKB) nachgefragt, welche Gewerbe heutzutage Exotenstatus für sich beanspruchen können.
Hier ein Auszug aus der Liste der seltenen Handwerksberufe: Mit Stand 30. November gab es im Burgenland so viele Erzeuger orthopädischer Schuhe wie Bezirke – sieben an der Zahl.
Bootsbauer und Schilderhersteller sind der WKB jeweils sechs bekannt. Noch seltener sind Betriebe, die Schuhe reparieren und solche, die Streich- und Saiteninstrumente bauen; von beiden gibt es vier Stück innerhalb der Landesgrenzen. Lediglich zwei Schokolade-Patisserien finden sich in Österreichs östlichstem Bundesland.
Auch Bildhauer, Steinbildhauer und Schilfdachdecker gibt es jeweils nur zwei. Demgegenüber sind Gold- und Silberschmiede ziemlich stark im Land vertreten: Elf Burgenländerinnen und Burgenländer üben diesen Beruf aus.
Drei Berufssparten haben im Moment nur einen einzigen Vertreter im Burgenland. Dazu zählen der einzige Drechsler, ein Bürsten- und Pinselmacher und Eva-Maria Christiane Sengewald aus Burgauberg-Neudauberg im Bezirk Güssing. Sie ist Erzeugerin von Patschen und Filzschuhen.
Übrigens sind nicht alle seltenen Gewerbe deshalb rar gesät, weil sie akut vom Aussterben bedroht sind. Das trifft zum Beispiel auf die zwei Tiefbohrunternehmen zu – eine Profession, die erst seit vergleichsweise kurzer Zeit im Burgenland vertreten ist.
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