"Tatort": Sonntagabend gemeinsam gruseln

"Tatort": Sonntagabend gemeinsam gruseln
Filmregisseurin Sabine Derflinger legt ihren ersten "Tatort" vor. Im Interview spricht sie über Geld und Überleben.

Die Fernsehsnacks bei diesem "Tatort" werden vegetarisch ausfallen: Bei der Story vergeht die Lust auf Schnitzelsemmel. Ein Container stürzt am Alberner Hafen ab und neben tiefgefrorenem Hühnerfleisch fallen drei nackte Leichen aus dem Frachtraum. Die Ermittlungen führen zu einem Fleischgroßhändler und zu einem Chinarestaurant. Tote und Hühnerfüße: Als ob das nicht grauslich genug wäre, muss Ermittlerin Bibi Fellner (nominiert für eine KURIER ROMY: Adele Neuhauser) einen Kollegen auf Diät aushalten. Moritz Eisner (Harald Krassnitzer) will abnehmen und ist grantig. Fellner weiß es gleich: "Das wird kein guter Tag." Die mehrfach ausgezeichnete Filmregisseurin Sabine Derflinger hat mit "Falsch Verpackt" als erste Frau einen österreichischen "Tatort" inszeniert. Der Ausflug ins Fernsehen wird ein längerer Aufenthalt. Derzeit dreht sie "Mediator" (ARD/ORF) mit Harald Krassnitzer. Ein weiterer "Tatort" folgt im Herbst.

"Tatort": Sonntagabend gemeinsam gruseln

KURIER: Frau Derflinger, wie kommen Sie zum "Tatort"?
Sabine Derflinger:
Indem ich lang genug dort gesagt hab’, ich möchte einen machen.

Sie hatten keine Berührungsängste mit Fernsehen?
Nein. Überall auf der Welt machen renommierte Regisseure TV-Krimis.

Gibt es Film-Kollegen, die sagen würden, so etwas machen sie nicht?
Nein, das glaube ich nicht. Die meisten wollen das.

Warum machen dann nicht mehr renommierte Regisseure "Tatorte"?
Das weiß ich nicht, ich weiß nur, dass ich lang gebraucht hab’, um ihn zu bekommen. Und die erste österreichische Frau bin, die einen "Tatort" macht.

Haben Sie eine persönliche Beziehung dazu? Haben Sie das als Kind schon gesehen?
Ja, klar. Es ist eines der letzten Formate, wo die Leute am Sonntag daheim schauen. Ein Teil einer Fernsehkultur, die es kaum mehr gibt. Etwas gemeinsam sehen und das am nächsten Tag besprechen. Diese Art von Fernsehkultur und des gemeinsamen Konsums findet ja kaum mehr statt. So bin ich auch sozialisiert worden, und das gefällt mir. Und der "Tatort" ist ja ein besonderes Format. Da ist vieles möglich, nur der Fall ist vorgegeben. Wenn man sich die Entwicklung des "Tatort" in den letzten dreißig Jahren anschaut, dann spiegelt er viele soziale Veränderungen.

Insofern reiht sich der "Tatort" gut in Ihre Doku-orientierte Filmbiografie ein.
Ja, der "Tatort" basiert ja auch auf recherchierten, tagespolitischen Dingen. Und gleichzeitig reflektiert er gesellschaftliche Realität. Zutaten, die ich für meine Dokumentarfilme verwende.

Abgesehen von den idealistischen Faktoren: Ein "Tatort" für den ORF ist wesentlich lukrativer als ein unabhängiger Film, wo die Finanzierung oft problematisch ist.
Ja, natürlich. Das kann existenzbedrohend werden. Deshalb braucht man man ein zweites Standbein. Entweder Fernsehen oder Werbung oder man ist an der Uni beschäftigt. Fernsehfilme machen heißt natürlich auch Existenz sichern.

Apropos Geld: Sie haben jetzt einen Protestfilm für die Aktion "Kunst hat recht" gedreht und dafür kein Geld bekommen. (Anm: Die Aktion will Bewusstsein für den Wert geistigen Eigentums stärken) .
Die Kollegen haben mich gefragt, ob ich dabei sein will und wir haben alle kein Geld gekriegt. Es war lustig zu drehen, eine kleine Geschichte.

Wie lange haben Sie dran gearbeitet?
Gedreht haben wir einen Tag. Und dann waren da natürlich die Vorbereitung samt Drehbuch und Schnitt.

Da haben Sie aber auch viel gratis gearbeitet.
Es wäre ja komisch, für einen Film, in dem es um unsere Rechte geht, Geld zu nehmen. Ich denke, wenn ich bei anderen Filmen Geld verdiene, kann ich auch einmal etwas umsonst machen. Das Problem ist, wenn man alles umsonst machen muss.

Vorausgesehen

Dieser Tatort ist durchwachsen. Da wirkt vieles aus dem Leben gegriffen. Der Leiter der Fremdenpolizei ist ein selbstgefälliger Pülcher (hervorragend: Erwin Steinhauer). Die Zustände, unter denen Zuwanderer in grindigen Mietskasernen beim Gürtel hausen, sind unwürdig. In Substandardwohnungen, vermietet zu Wucherpreisen von Leuten, die vom Elend anderer profitieren. Und dann ist da der Hühnerfleischproduzent (genial widerlich: Martin Brambach), der selbst Vegetarier ist. Er wird schon wissen, warum. In Szene gesetzt ist das Ganze toll. Alles wirkt sehr nahe. Die Alltagsgrauslichkeiten Wiens, geschildert in berückenden Bildern. Doch manchmal hakt es. Da stellt Ermittlerin Bibi Fellner die unglaublich jenseitige Frage: "Essen Asiaten auch Pizza?" Und die Preise im Vorstadtwirtshaus sind schlecht recherchiert. Das faschierte Kalbsbutterschnitzel soll in einer Gegend, die nach 15. Wiener Gemeindebezirk ausschaut, inklusive einem Seidel 14 Euro kosten? Also bitte. Wien ist nicht Paris. Im Gasthaus Quell in Fünfhaus kostet das Kalbsbutterschnitzel mit Erdäpfelpüree 7,50 Euro.

"Falsch verpackt" (20.15, ORF 2) - von Sabine Derflinger. Buch: Martin Ambrosch. Mit Harald Krassnitzer, Adele Neuhauser, Nahoko Fort, Erwin Steinhauer, Simon Schwarz, Hubert Kramar, Stefan Puntigam.

KURIER-Wertung: **** von *****

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