Trumps neuer Gegner? Joe Biden wacht auf
Von Dirk Hautkapp
Wenn er “keine größeren Fehler macht”, hatte Donald Trump vor der dritten Fernseh-Debatte der Demokraten gönnerhaft über den von ihm sonst als “schläfrig” gehänselten Joe Biden gesagt, dann werde sich der Ex-Vizepräsident im parteiinternen Schaulaufen wahrscheinlich durchsetzen. Und damit 2020 sein Gegner im Kampf um das Weiße Haus werden.
Nach ermüdend langen zwei Stunden und 45 Minuten, die der Sender ABC die derzeit nach Umfragen und Spenden-Einnahmen aussichtsreichsten zehn KandidatInnen kreuz und quer in Houston über den Themen-Acker jagte, dürfte sich der amtierende Top-Entscheider im Weißen Haus bestätigt fühlen.
Biden, zuvor oft fahrig und defensiv, hatte in Texas unter dem Strich seinen bisher besten Auftritt. Der 76-Jährige, der in allen Umfragen seit Monaten konstant mit Abstand vorn liegt, wirkte wacher und agiler. Und manchmal so angriffslustig, dass er seine Sätze im Eifer vernuschelte.
Attacken der Parteifreunde, die ihn wie etwa Obamas Wohnungsbauminister Julian Castro frech der Tütteligkeit bezichtigten (“Hast Du etwa vergessen, was Du vor zwei Minuten gesagt hast”), konterte der dienstälteste Politiker auf dem Podium mit Seitenhieben und seinem charakteristischen Haifischgrinsen.
Beim Einstiegthema Gesundheitswesen, das in der Wählergunst ganz oben rangiert, warf Biden seinen wichtigsten Konkurrenten Bernie Sanders und Elizabeth Warren vor, bei den Zahlen zu schummeln. Die beiden Senatoren propagieren eine allgemeine staatliche Krankenversicherung nach europäischem Vorbild, die Amerika über zehn Jahre um die 30 Billionen Dollar kosten würde.
Zu teuer, findet Biden. Er will wie viele seiner anderen Mitstreiter das von den Republikanern gefledderte “Obamacare”-Modell seines ehemaligen Chefs reanimieren und fortentwickeln. Weil nur so rund 150 Millionen Amerikaner, die derzeit bei Privatversicherungen unterschiedlich gut abgedeckt sind, ihre Krankenschutz behalten können, wenn sie es denn wollten.
"Das hier macht den Bürgern Kopfschmerzen"
Sanders wie Warren, er mit krächzender Stimme, rotem Kopf und noch rumpelstilzchenhafter als gewöhnlich, sie wie immer abgewogen, strukturiert und trotzdem muttercouragiert entschlossen, konnten Biden nicht aus dem Gleichgewicht bringen.
Als nach 40 Minuten der schwer technokratische Streit um die Gesundheitsversorgung endlich vorbei war, traf die immer noch auf ihren Durchbruch wartende Senatorin Kampala Harris den Nagel auf den Kopf: “Das hier macht den Bürgern Kopfschmerzen.”
Biden brachte sich später immer dann selbst in Schwierigkeiten, wenn es darum ging, das Vermächtnis von acht Jahren Obama plausibel zu verteidigen - oder nachvollziehbar Fehler einzuräumen.
Als ihn der einzige Moderator mit hispanischen Wurzeln im Saal. Jorge Ramos, damit konfrontierte, dass unter Obama drei Millionen Einwanderer deportiert wurden und Latinos in ihn nicht unbedingt mehr Vertrauen als in Trump haben müssten, wirkte Biden verlegen, verhaspelte sich und musste mehrmals nachjustieren. Ein Phänomen, das Trump im Falle eines Aufeinandertreffens in 2020 gewiss ausbeuten wird.
Aus dem übrigen Teilnehmerfeld bleiben aus Houston wenige Impressionen in Erinnerung. Corey Booker, Senator aus New Jersey, war erneut rhetorisch blendend aufgelegt, rangiert aber in den Umfragen weiter unter ferner liefen.
Der Unternehmer und Schnellsprecher Andrew Young versprach zehn Familien ein Jahr lang jeweils 1000 Dollar im Monat, um seinem Plan für ein bedingungsloses Grundeinkommens Geltung zu verschaffen; ein Gimmick.
Beto O’Rourke, der junge Texaner, der das Massaker von El Paso mit über 20 Toten durch die “fremdenfeindichen” Töne von Donald Trump inspiriert sieht, erklärte beim Tagesordnungspunkt Waffengesetze radikal: “Zum Teufel, natürlich werden wir Schnellfeuergewehre vom Typ AR-15 oder AK-47 konfiszieren.”
Pete Buttigieg, der junge Bürgermeister aus Indiana (37), brachte als Afghanistan-Veteran mit hoher Autorität das Versprechen ein, dass unter seiner Führung militärische Auslandseinsätze auf drei Jahre begrenzt würden und vom Kongress abgesegnet werden müssten. Apropos: Alle zehn Kandidaten sprachen sich (wie Trump) dafür aus, die US-Truppen aus Afghanistan abzuziehen.
Im Eifer des Gefechts ließen die trotz allem um Einheit und Gleichschritt (gegen Trump) bemühten Kombattanten mehrere Steilvorlagen ungenutzt: Amtsenthebung? Trumps Probleme mit Selbstbereicherung im Amt? Der abgesagte Taliban-Gipfel in Camp David, der mit der Demission von Sicherheitsberater Bolton endete? Darüber fiel so gut wie kein Wort.
Sprachlos blieben die Kandidaten auch bei anderen Reizthemen mit hoher Einschaltquote: Abtreibung, ungleiche Bezahlung von Männern und Frauen im Beruf oder die wachsende Politisierung des Obersten Gerichtshofs kamen nicht ein einziges Mal zur Sprache.
In der ersten Analyse waren sich viele Kommentatoren einig: “Biden war stärker als vorher. Warren und Sanders nicht. Andere relevante Ausreißer nach oben wie unten gab es nicht. An den Umfragen wird sich wohl nichts ändern.”
Im Oktober steht die vierte Debatte an. Dann voraussichtlich wieder an zwei Abenden, weil sich bereits elf Kandidaten qualifiziert haben. Darunter zum ersten Mal der Milliardär Tom Steyer. Leitfigur derer, die Trumps Amtsenthebung verlangen.