Rabinowich geht essen: Frühstück bei mir
Von Julya Rabinowich
„Du wirst es lieben“, sagte die gute Freundin. „Komm’, das muss jetzt sein“, sagte sie. „Ich weiß, was ich tue. Vertrau mir.“ Üblicherweise ist der Moment, in dem jemand dieses Sätzlein fallen lässt, mit gewisser Sicherheit ein sehr gefährlicher Moment. „Es ist sechs Uhr am Nachmittag“, wandte ich ein. „Aber wenn sie doch so ein gutes Frühstück machen“, bestand sie.
Das Lokal hieß Zimmerservice. Es war klein, fein, neu in der Stadt. Mit frisch zubereiteten Speisen, einem täglichen liebevoll zusammengestellten Menü mit Einschlag von Mediterranem – in den Variationen tauchten aber auch andalusisches Huhn und scharfe Maissuppe auf. Derzeit war nur Take-away zu haben und kein Liefer-zu. Ich war faul, die Freundin war willig. Immerhin hatten wir uns gerade auf Corona testen lassen und waren für diesen einen Tag für unbedenklich eingestuft worden. Und da die Frühstückstradition die Freundschaft über Jahre begleitet hatte, musste nun ein Frühstück her, bevor die magische Zeitspanne wieder verstrichen war. Das Zimmerservice wurde für uns dadurch so etwas wie ein Stundenhotel, eine kurz gestohlene Zweisamkeit. Gewisse Anlehnung an dieses fand sich sogar in der Speisekarte. Das Frühstück namens Stundenzimmer (Espresso, Croissant, Zigarette) war uns aber definitiv dem Anlass nicht entsprechend. Wir wählten mehr Privatsphäre und mehr Vielfalt und damit das „Einzelzimmer“. So kam es auch, dass wir gegen sieben Uhr abends mit morgendlicher Begeisterung Rührei, Beinschinken, Bergkäse und ähnliche übliche Frühstücksverdächtige auf dem Holztisch ausbreiteten. Sehr außergewöhnlich in Kombi dazu erschien neben Frischkäse mit Kren auch ein Melonenrettich, der sofort mein heimlich Geliebter wurde.
Dazu noch herrliches Roastbeefsandwich, dessen Saftigkeit und säuerliches Relish mich, die Relishhasserin, auf der Stelle überzeugten. Dann noch zur Vervollständigung der Gelüste ein Lachsbaguette mit zitronigem Aufstrich und hauchzarten glänzenden Lachsscheibchen. Ehrlich, wenn mir jemand früher gesagt hätte, dass ich einmal beruflich die Nacht zum Tag machen würde, hätte ich niemals angenommen, dass damit ein Frühstück vor Mitternacht gemeint gewesen sein könnte. Man muss einfach gnadenlos der Tatsache ins Auge sehen, dass diverse Orgien und Tabubrüche sich in unseren Zeiten ausschließlich am Esstisch abspielen, und zwar leider gar nicht zweideutig. Es folgten: Ein grünes Detox Smoothie, das mich mit Sicherheit auch wieder fit gemacht hätte, hätte ich durchgefeiert. Nicht zu süß, nicht zu gemüsig. Und dann ein karamellgekröntes Brownie mit Wal- und Pekannüssen, dessen oberste Schicht mit etwas Nachdruck durchstochen werden musste, um den betörenden Kern zu erreichen: ein nur zum Schein etwas sprödes Dessert, dessen Zügellosigkeit nicht lange auf sich warten ließ. Aber ach! Unser Testergebnis lief wieder ab, und meine gute Freundin trat korrekterweise als Cinderella ohne Glasschuhe schnellstmöglich den Heimweg an. Die Wehmut und ein zitroniger Lachshauch blieben im Wohnzimmer zurück.