Rabinowich geht essen: Die Sonne im Glas
Von Julya Rabinowich
Der Sommer geht und jagt schwere Süße in diversen Wein und Apfelkuchen. Und man will ihn festhalten, ihm ein Bein stellen und flehen: So bleibe doch! Und bevor man in den Alleen einsam wandert, weil alles fällt, begibt man sich lieber in die Wiener Weinberge: Da gibt es nur ein bisschen Schieflage und ansonsten große farbenfrohe Schönheit. Die samtigblauen und goldgrünen Trauben hängen beinahe erotisch den Mündern entgegen, halb Schlaraffenland, halb barocke Inszenierung. Man lustwandelt und kämpft mit seiner gierigen Natur, die am liebsten einzeln abrupfen würde. Man wähnt sich fast in einem üppig überladenden Bildnis zwischen Reben, Ranken, Stimmungslicht und Früchten als Hauptdarstellende. Wer die Kellergasse in Stammersdorf bergaufwärts hinter sich lässt, landet an einem Aussichtspunkt, der auf der einen Seite ganz Wien vor dem Auge der Betrachtenden ausbreitet – und auf der anderen Seite in große Versuchung führt. Hier reiht sich eine Buschenschank an die nächste und wer an einen sportlichen Ausflug dachte, kommt nicht besonders weit, wenn das lukullische Es das leistungswütige Über-Ich überrollt. Und wer knapp vor der Abenddämmerung zwischen den Reihen voller Reben wandert, erlebt das Equilibrium zwischen Natur und ihrer Bezwingung: in Form von wildernden Hasen und den im Abendlicht golden glühenden Trauben. Wer sich an der Schönheit dieser Welt sattgesehen hat, möchte sich aber vielleicht auch sattessen. Eine sehr überzeugende Möglichkeit zwischen Tradition und Experimentierlust bietet der Heurigen von Helmut Krenek: Im Gastgarten sitzt man pittoresk bis zum Anschlag zwischen Reben, die sich als luftiges Dach über die Tische ziehen, es gibt kellereigenen Wein. Auf der von regionalen Produkten bestimmten Speisekarte tummelt sich das artgerecht gehaltene Strohschwein in allen erwartbaren Aggregatzuständen von Schmalz bis Braten. Der hinterwäldlerische Verwandte des Strohschweins namens Wildschwein findet sich als Rohschinken an Feigensalat auch ein. Das anbrechende Herbstversprechen eskaliert das Geschmacksvergnügen mit den knackigsten, saftigsten Steinpilzen in goldener Panier mit Rosmarinkartoffeln, sowie gebackenen Parasolstückchen, die die Lamellen des Besucherherzens zum Beben bringen. Im Glas leuchtet der Sturm mit der Abendsonne um die Wette. Der Sturm gewinnt. Der Drang nach dem Dessert aber bleibt und findet seine Erfüllung in cremigen Somlauer Nockerln, die sich unter weißen Schlagobersbergen mit feinen Linien des Eierlikörs und gerösteten Mandelblättchen verbergen. Wohlige Zuversicht folgt. Herbst ist gut. Der Sommer darf gehen.
Heuriger Helmut Krenek
Stammersdorfer Kellergasse 131, 1210 Wien
helmut-krenek.at