Raab geht essen: Schoko & Fiocco
Von Thomas Raab
Essengehen? Gern. Aber nicht heute. Den ganzen Tag Belege geordnet, Zettelwirtschaft, schließlich die SVA einbezahlt und endgültig den Appetit verloren. Da will ich dann wirklich nicht außer Haus vor irgendeinem überholten Europawahlplakat à la „Schützen was wir lieben. Österreich.“ auch noch an Gin Tonic, Schnitzel mit Pommes oder Verhütung denken müssen.
Besser Wein verkosten. Aus Biologischem Anbau.
„Lieben was wir schützen. Österreich.“ Direkt bestellt bei Winzergöttin Birgit Braunstein. Herrlich. Lieferung heute. So die Theorie. Die Praxis liegt dann als Email in meinem Posteingang: „Lieber Paketempfänger, leider haben wir uns verpasst, Ihr Paket ist jedoch bereits am Weg zu einem Pickup Paketshop in Ihrer Nähe.“ Ein Satz, drei Lügen:
Verpasst. Pickup. Nähe. Nur ein Tweet aus dem Oval Office kann da mithalten. Immerhin war ich den ganzen Tag zu Hause. Ergo darf ich mich gleich mit weiteren Paket-Selbstzustellern bei irgendeinem Billa, Handy Shop, oder Hundekosmetik & Zoobedarf anstellen. Von wegen Pickup & Nähe! Sitdown ins Auto muss es heißen, wie ich erfahre. Zieladresse: Grätzl Vinothek. Die reinste Gehässigkeit so etwas: Sich seinen im Internet bestellten Wein mit dem Wagen bei einem kleinen stationären Weinhändler in U4 Nähe abholen müssen. Parkplatzfinden unmöglich. Logisch steh ich dann mit Strafzettel in zweiter Spur und mir wird klar: Jetzt brauch ich dringend etwas Härteres. Starken Stoff. Und schon der Gedanke daran versöhnt mich mit dem davonstolzierenden weiblichen Parksheriff, also Sheriffin, oder Sheriffeuse, denn gleich ums Eck gibt es die Maximaldosis Glück in Reinsubstanz.
Handgemacht aus besten Zutaten und längst kein Geheimtipp mehr: Die Eismanufaktur Schoko & Fiocco in der Hietzinger Hauptstraße 69. Durch die Glastür eintreten. Sich von dem Engerl des Firmenlogos anschmunzeln lassen. Die Treppe hinunter in dieses nach 60er-Jahre anmutende Souterrain steigen. Stufe für Stufe an Leichtigkeit gewinnen. Ratlos vor der farbenfrohen Vitrine stehen. Sich von der stets freundlichen Chefin, die der kleinen Alice wahrscheinlich allein mit der Eismaschine ein Wunderland zaubern könnte, die Tagessorten aufzählen lassen: Marzipan Mohn, Tonkabohne Waldbeere, Erdnussbutter mit Salzkaramell, Erdbeere Thymian, Zitrone Basilikum, Schoko Feige mit Timut Pfeffer ... Dazu Cassis zum Niederknien.
Und ich hol sie mir alle. In der großen Box. Lass mir noch ein Stanitzel mit ausschließlich Minze samt diesen großen, knackigen Schokostücken füllen und atme glücklich durch. Alles gut, sogar die Gesichter auf den Wahlplakaten lächeln kurz, als hätten sie nicht Blut, sondern ein wenig Tonkabohne Waldbeere geleckt. Und ja, vielleicht lautet der geheime Plan aller Zustelldienste, die im
Internet gekauften Artikel absichtlich nicht direkt zu liefern, auf dass wir träge gewordenen Bildschirm-Menschen wieder vermehrt den stationären Handel beleben, einander begegnen, Essengehen, und uns dabei an ungewöhnlich positiven Gedanken erfreuen. Wobei, was ist das schon: Gewöhnlich? Normal? Schoko Feige mit Timut Pfeffer? Sicher nicht. Großartig ist das. Einfach nur großartig.