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Corona-Blues: Nicht das Virus, der ministerielle Umgang belastet

Vornehmlich Freitagnachmittag verkündete während des Lockdowns der Bildungsminister neue Regeln und Vorschriften für den Schulbetrieb – via Medien. Die entsprechenden Verordnungen folgten oft erst später. In den Schulen musste jedoch somit übers Wochenende alles (um-)organisiert werden, damit am Montag früh den neuen Maßnahmen entsprechend gehandelt werden konnte. Das beklagte unter anderem die Direktorin der NMS Obere Augasrtenstraße (Wien-Leopoldstadt), Barbara Falkinger. Neuerdings würden bei den Anordnungen aus dem Ministerium Formulierungen auf „schulautonom“ verweisen. „Wir dürfen dann selber entscheiden, ob der Abstand zwischen zwei Sesseln einen halben Meter mehr oder weniger sein darf/muss“, meinte sie überspitzt ein wenig sarkastisch.

Echte Schulautonomie einerseits, wo wirkliche Entscheidungen am Standort von allen Schulpartner_innen gemeinsam getroffen werden – das wär’s hingegen – nicht nur ihre Forderung – siehe die 9 Forderungen weiter unten.

Falscher Fokus

Mati Randow, Schulsprecher des Gymnasiums Rahlgasse (Wien-Mariahilf) und Schüler einer 6. Klasse, der übrigens über den Instagram-Account der Schülervertretung die Mitschüler_innen über die jeweils neuesten Maßnahmen in Sachen Corona informiert(e), kritisierte heftig, dass der Bildungsminister die Unterrichtsöffnung von der verkehrten Seite her aufgezäumt habe. Statt die Matura in den Fokus zu rücken, hätten viel früher die jungen und jüngsten Kinder wieder in die Schule sollen, um überforderte Eltern zu entlasten. Ältere organisier(t)en sich ihr Home-Schooling leichter selber.

Kontakt verloren

Trotz aller Bemühungen der engagiertesten Lehrer_innen sind durch den Lockdown konnten manche Schülerinnen und Schüler nicht erreicht werden, berichtete die Simmeringer Mittelschullehrerin Simone Peschek, auch Mitinitiatorin und -Autorin des Blogs Simone Peschek. Andere mit denen regelmäßig Kontakt bestand, haben aber im Home-Schooling nicht gerade einfache Bedingungen. Sie zitierte einen Buben, der täglich sehr, sehr früh aufstand, um in Ruhe seine Schul-Arbeiten zu erledigen, weil danach die jüngeren Geschwister ihm keine Ruhe mehr dafür ließen. Ein Mädchen wiederum hat zu Hause fast gar keinen Platz, um ihre Aufgaben zu machen.

Außerdem sei es vor allem nach fast zwei Monaten schon recht schwierig gewesen, alle immer zu motivieren, die auch noch mit überforderten Eltern zu tun hatten.

Für den Herbst wünscht sie sich – zwei Lehrkräfte in den Hauptfächern in jeder Klasse und vor allem mehr psychosoziales unterstützungspersonal.

Mehr als fragwürdig

Das sollte auch für die aus wissenschaftlicher und praktischer Sicht mehr als fragwürdigen MIKA-D-Tests geben. Die entscheiden darüber, ob Schüler_innen (weiter) eine eigene Deutschklasse oder in eine Stammklasse wechseln können. Nach zweimonatigem Lockdown und damit verbundener weniger Sprachpraxis im Deutschen sollten nach wenigen Schultagen – in zwei Wochen ja höchstens fünf Tage aufgrund der Klassenteilungen – diese Tests stattfinden. Nach Protesten kündigte das Ministerium an, die Tests könnten auch erst im Herbst stattfinden – wenn die betreffenden Kinder/Jugendlichen einen Sommerschulkurs besuchen. Gilt aber frisch nicht für alle, wie Hannes Schweiger vom Österreichischen Verband für Deutsch als Fremdsprache/Zweitsprache (ÖDaF) berichtete.

Für die rund 32.000 betroffenen Schüler_innen in ganz Österreich wünsche – nicht nur  - er sich:

* Aussetzen dieser Testungen, die gerade angesichts der schwierigen Phase des Online-Unterrichts seit Mitte März eine besonders große Hürde darstellen, Bildungsbenachteiligung verstärken und die Schulen vor enorme organisatorische Herausforderungen stellen,

* mehr Ressourcen für eine individualisierte Deutschförderung, die unter Berücksichtigung der lebensweltlichen Mehrsprachigkeit sprachliches mit fachlichem Lernen verbindet und vorrangig integrativ stattfindet,

* schulautonome Handlungsspielräume, die es den Schulen ermöglichen, Deutschförderung und sprachliche Bildung im Allgemeinen auf die standortspezifischen Gegebenheiten abzustimmen.

Sonderpädagogik

Fast noch krasser ist die Situation für weitere 30.000 Schülerinnen und Schüler in Österreich, rund 6000 in Wien, solche mit „sonderpädagogischem Förderbedarf“, schilderte die Integrationslehrerin einer Wiener Mehrstufenklasse Susanne Panholzer. Gerade vieler dieser Kinder und Jugendlichen nützt Distance- und eLearning wenig, sie benötigen intensives Lernen mit allen Sinnen, Erfassen durch konkretes Anschauen und Angreifen und ähnliches. Durch wochenlangen Ausfall dieser Lernmöglichkeiten hätten so manche ihrer Schüler_innen schon Gekonntes wieder verlernt.

Sind Eltern schon – in der Regel – keine Pädagog_innen, dann umso weniger Sonderpädagog_innen. Und gerade viele Eltern solcher Schüler_innen wären durch die Angstparolen noch mehr eingeschüchtert gewesen, hätten sich gar nicht getraut, ihre Kinder – was ja möglich gewesen wäre – in die Schule gehen zu lassen. Was anderes wäre gewesen, wenn Bildungspolitiker_innen sich u.a. genau dafür stark gemacht hätten.

Jetzt sollte man diesen Kindern und Jugendlichen wenigstens ein weiteres Schuljahr ermöglichen, so die akute Minimalforderung, um die erlittenen Defizite auszubügeln, so die Pädagogin.

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Soziale Folgen der „Schulschließungen“

Das Zentrum für Soziale Innovation führt eine Studie rund um die (sozialen) Folgen für Schülerinnen und Schüler durch. In der ersten Phase wurden – noch während des Lockdown – 342 Kinder und Jugendliche aus sechs Wiener Schulen online befragt (8% Volksschule, 10 % NMS, 12 % AHS-Unterstufe, 47 % AHS Oberstufe sowie 23 % Berufsschule).

Irina Vana stellte die ersten Ergebnisse – weitere Befragungen erfolgen bis zum Schulschluss – der Erhebung (gemeinsam mit Ursula Holtgrewe, Martina Lindorfer und Carmen Siller) vor:

Mehr als ein Drittel der Befragten (35 %) fühlt sich „überfordert und verunsichert“, in Haushalten mit geringeren Bildungsressourcen steigerte sich dieser Anteil auf fast die Hälfte (48 %), knapp gefolgt von Alleinerziehenden (45%).

Aufs erste überraschend – und dann doch wieder nicht: Wo Eltern aufgrund von Home-Office auch zu Hause waren, gaben vier von fünf der befragten Schüler_innen (80%) an, dass sich ihre Eltern zu wenig Zeit nahmen, um mit ihnen zu lernen.

Sogar noch ein bisschen mehr (83%) konnten dem Home-Schooling als positive Seite abgewinnen, sich die Zeit selber einteilen zu können.

Eine – in vielen Bildungsdebatten zu wenig berücksichtigte - Dimension, nämlich Peer-Learning, manifestierte sich auch in dieser Studie. Wer zu Hause wenig Hilfe bekam, holte sich diese oft – natürlich nur digital oder telefonisch – aus dem Klassenverband. Das gilt nicht nur für Lernhilfen, sondern auch für emotionale Unterstützung.

Übrigens verbrachte mehr als ein Drittel (38%) in dieser Phase mehr Zeit mit dem Lernen als im regulären Schulbetrieb, 31 Prozent sparten sich Zeit – vor allem Volksschüler_innen.

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