Chronik/Österreich

Unwetter und Murenabgänge in Kärnten: Vermisster Autofahrer am Leben

"Du gehst mit der Gruppe mit", lautet die kurze Anweisung vom Einsatzleiter. Wasserretter Michael Siter nickt ebenso kurz und stellt sich zu der Gruppe aus Bergrettern und Alpinpolizisten, die am Mittwochmorgen das Bild des Parkplatzes beim Supermarkt in Treffen am Ossiachersee, in Kärnten bestimmen. 

Nur wenige Kilometer entfernt von der Basis der Einsatzkräfte hat sich Mittwochnacht um 3.30 Uhr eine verheerende Unwetter-Katastrophe ereignet. Befürchtet wurde das Schlimmste. Vieles hat sich bestätigt und eine Entspannung der Lage war auch am Mittwochnachmittag nicht erkennbar.

Kurz nach 14 Uhr setzte der Regen in der Gegend erneut ein. "Wir haben eine Gewitterzelle, die erneut über die Region zieht. Wir hoffen, das alles geht gut", sagte Landesrat und Katastrophenschutzreferent Daniel Fellner, der sich vor Ort ein Bild der Lage verschaffte. Ebenso wie Landesrätin Beate Prettner und Martin Gruber. Landeshauptmann Peter Kaiser weilte im Ausland und wurde für Mittwochabend gegen 22 Uhr erwartet. Am Nachmittag meldete sich der SPÖ-Landeschef via Twitter: "Nach den schlimmen Nachrichten heute früh über die verheerenden Unwetter, insbesondere in Treffen und Arriach, war sofort klar: Ich breche meine Brüssel-Reise sofort ab und unternehme alles, um schnellstmöglich zurück nach Kärnten zu kommen."

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Zuvor waren in der Nacht auf Mittwoch im Ortsteil Einöde bei Villach bereits Häuser von Muren verschüttet worden, Menschen von Wassermassen mitgerissen und ganze Lastwägen in den Fluten wie Spielzeugautos davongetrieben. In Treffen hatten Muren und Geröll den Ort großräumig verwüstet. "Wir haben enorme Trinkwasserprobleme. Die Wasserleitungen dürften gerissen sein. Hunderte Menschen sind ohne Wasser. 1.500 ohne Strom. Menschen sind in ihren Häusern gefangen und haben nichts zu Essen und Trinken", schilderte der Bürgermeister von Treffen, Klaus Glanznig, die Situation am frühen Nachmittag. Auch das Mobilfunknetz ist großräumig ausgefallen. Überlegt wird die Errichtung eines eigenen Funkmasten.

82-Jähriger tot

Kurz zuvor war bestätigt worden, dass es auch ein Todesopfer durch die Unwetter gibt. Der 82-jährige Sepp E. dürfte, als sich die Mure durch die Pöllingerstraße wälzte, zur Nachsicht vor sein Haus gegangen sein. Und dies mit dem Leben bezahlt haben. Sein Sohn musste das Unglück von einem Fenster im oberen Stockwerk mit ansehen. Die Leiche des Einheimischen soll gut zweihundert Meter weit von den Erdmassen mitgerissen worden sein. Seine sterblichen Überreste wurden geborgen.

Gegen 18 Uhr dann die fast unvorstellbare Meldung: Jener Mann, dessen Auto von den Fluten in Einöde mitgerissen wurde dürfte laut internen Informationen lebend geborgen worden sein. Der Mann hatte gegen vier Uhr Früh noch selbst die Landesalarm- und Warnzentrale angerufen und mitgeteilt, dass er in der Klamm zwischen Einöde und Afritz zwischen Muren eingeklemmt ist. Dann fehlte den ganzen Tag jede Spur von ihm. "Es grenzt an ein Wunder", sagte einer der Retter. Auf einem Video ist zu sehen, wie der weiße Kia mit Wiener-Kennzeichen in den Fluten davontreibt.

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Meterhoher Schlamm

"Man kann sich das schwer vorstellen. Die Häuser sind meterhoch mit Schlamm verschüttet, Autos wurden weggerissen. Die Menschen stehen völlig unter Schock", erzählte auch Wasserretter Siter nach seinem Einsatz. Seit 20 Jahren ist er bei der Wasserrettung. Etwas vergleichbares habe er in Kärnten noch nicht erlebt.

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Anrainer bauten Dämme gegen Wasser- und Geröllmassen

Wie dramatisch die Ereignisse in der Nacht waren, schilderte Sarah Schützenhofer. "Wir sind gegen zwei Uhr munter geworden. Mein Freund im Bett neben mir hat noch gesagt: Du, Schatzi, es riecht so komisch nach Schlamm. Als wir dann vom Balkon runter geschaut haben, war die ganze Straße vermurt", erzählt die Frau. Gemeinsam mit ihrem Freund ging die Frau vor ihr Haus. Sammelte Steine, Bretter und Material zusammen, um einen Damm gegen die Wassermassen zu errichten. "Bei uns ist alles trocken geblieben, wir hatten Glück. Das war nicht bei allen so."

Wie etwa bei Nachbarin Heidi, die an jenem Ort ihr Haus hat, an dem drei Bagger des Bundesheeres seit 9 Uhr versuchten den Weg für die Einsatzkräfte freizubekommen. "Mein ganzes Haus ist weg. Einfach weg. Mein Mann ist in Kroatien auf Urlaub", sagt sie sichtlich geschockt. In Flip Flops haben sie Retter in Sicherheit gebracht. "Die Krisenintervention war großartig. Ich komme nun bei einer Freundin unter", erzählte Heidi. Geblieben ist ihr ein Plastiksack, in dem sich all ihr Hab und Gut befindet.

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Über Treffen kreisten den gesamten Tag die Hubschrauber von Bundesheer und der Polizeihubschrauber des Innenministeriums. Am Vormittag transportierten sie Helfer ins von der Umwelt abgetrennte Unwettergebiet. Im Laufe des Tages wurden eingeschlossen Bewohner ausgeflogen. Der Zivilschutzalarm in der Region soll bis mindestens Donnerstagvormittag aufrecht bleiben. "Wir ersuchen die Leute weiterhin dringend in ihren Häusern zu bleiben. Die Gefahr ist groß", sagte Bürgermeister Glanznig. 

Das Bundesheer hatte auch am Boden rund 100 Personen im Einsatz. Ihr Ziel: die Straße von Treffen nach Einöde von Geröll freizubekommen. "Selbst wenn die Straßen frei sind, haben wir immer noch unzählige Brücken, die zuerst auf ihre Stabilität geprüft werden müssen. Sonst können keine schweren Einsatzfahrzeuge darüber fahren", erklärte ein Zuständiger.

 

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Neuer Damm seit zwei Monaten 

Unter den Einheimischen machte sich mit dem einsetzenden Regen am Nachmittag vor allem die Sorge um das Halten eines neu errichteten Damms oberhalb von Treffen bemerkbar. "Da oben ist alles verklaust. Wenn der Damm bricht, dann kommt es zur Katastrophe", sagte eine Bewohnerin. Am Mittwoch wurden Geologen zur Begutachtung vor Ort zum Damm geflogen. 

Bürgermeister Glanznig beruhigte. "Dieser Damm hat wohl noch Schlimmeres verhindert. Er ist erst vor zwei Monaten fertiggestellt worden. Gestern war er völlig leer, heute haben sich dort 15.000 Kubikmeter an Material gesammelt", sagte der Bürgermeister und zeigte wie zum Beweis ein Foto auf seinem Handy. Das an diesem Tag nicht aufhören wollte zu läuten. "Wir sind überwältigt von der Hilfsbereitschaft der Menschen, aber im Moment ersuchen wir alle, die freiwillig vor Ort helfen wollen, dies nicht zu tun. Sie bringen sich dadurch unnötig in Gefahr und stellen für unsere Einsatzkräfte eine zusätzliche Herausforderung dar."

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Und dann gab es zwischen all dem Chaos und der Ungewissheit auch noch die kleinen Momente, die Hoffnung machten: Wie eine gerettete Schildkröte. "Wir haben sie hinter dem Feuerwehrhaus im Schlamm entdeckt. Und ich habe sie Leonardo getauft. Nach den Ninja Turtels", erzählte ihr Retter, Feuerwehrmann Michi. Das 60-Jährige Findelkind, das sein Besitzer vor Jahren aus der Türkei mitgebracht hatte, ist mittlerweile wieder bei seinem Besitzer.

Oder die Geschichte jener zehn Flüchtlinge aus dem Iran, dem Irak, Afghanistan und Syrien, die mittags plötzlich vor dem Feuerwehrhaus standen: "Wir wollen helfen", sagten sie. Wenige Minuten später standen sie hinter dem Feuerwehrhaus und schaufeln Schlamm. 

Um im nächsten Moment waren es wieder diese Sätze, die man hörte: "Bitte, passt bei eurem Einsatz auf. Riskiert nichts."

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Dieser Artikel wird laufend aktualisiert.