Chronik/Österreich

In der Gerichtsmedizin: Am Tisch der Wahrheit reden die Toten

Die Knochensäge ist selbsterklärend. Bei einer großen Suppenkelle, die ebenfalls bereitliegt, will sich der Laie gar nicht vorstellen, wozu sie benötigt wird. Beide Instrumente gehören hier im Seziersaal der Gerichtlichen Medizin Innsbruck (GMI) zum alltäglichen Handwerkszeug, erklärt die im vergangenen Sommer zur neuen Leiterin des Instituts berufene Elke Doberentz.

„Die Menschen, die hier liegen, können nicht mehr reden. Wir können ihnen helfen“, sagt die Deutsche. Wer auf einem der drei Seziertische landet, ist im Gerichtssprengel von Tirol und Vorarlberg durch fremde Hand oder einen zunächst rätselhaften Tod gestorben.

600 Obduktionen

„Die Staatsanwaltschaft hat eine Obduktion angeordnet“, heißt ein Standardsatz in der Kriminalberichterstattung. Rund 600 solcher Untersuchungen finden am GMI jedes Jahr statt – sei es im Auftrag von Anklagebehörden oder aber auch Sanitätsbehörden, wenn diese im Zuge einer Totenbeschau offene Fragen zum Versterben orten.

Gerichtsmedizin: Mehr als 20 Morde pro Jahr bleiben unentdeckt

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Geht es nach Doberentz, sollte es österreichweit viel mehr Obduktionen geben. „Umso mehr man hinschaut, umso mehr wird man finden“, sagt sie und macht dabei vor allem zwei „Dunkelfelder“ aus, bei denen dieses genauere Hinschauen geboten wäre: „Bei verstorbenen Kindern und bei älteren Altersgruppen, wo sich keiner wundert, dass jemand verstorben ist.“

Kriminalistisches Denken

Die 44-Jährige weiß, dass diese Debatte immer wieder mal hochkocht. Und zwar dann, „wenn ein Fall Wellen schlägt“. Also etwa, wenn sich eine Pflegerin als Serienmörderin entpuppt. Der Medizinerin war schon früh klar, dass sie sich auf dieses Fach, „das viel kriminalistisches Denken erfordert“, spezialisieren wollte, wie sie am Dienstag bei einer Führung durch ihr Haus erzählt.

Rätsel, die nur die DNA entschlüsselt

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Nicht alle Türen kann sie dabei öffnen, vor allem nicht jene zum DNA-Labor – zu groß die Gefahr, dass dabei Proben verunreinigt würden. Es werden Spuren vom Einbruch bis zum Tötungsdelikt analysiert. Das GMI hat damit als landesweiter Vorreiter bereits 1997 begonnen und ist das Zentrallabor für die DNA-Datenbank des Innenministeriums.

„Über 10.000 Personenproben und über 10.000 Spurenproben werden bei uns jedes Jahr untersucht“, sagt Doberentz. Der Abgleich mit DNA-Profilen von bekannten Tätern oder Verdächtigen findet aber beim Innenministerium statt. 

Der Forschungsschwerpunkt der forensischen Genetik unter Leitung von Walther Parson ist eines der großen Aushängeschilder der GMI. Hochkomplexe DNA-Analysen sorgen immer wieder international für Aufsehen.

Ein Fall für Tiroler Experten: DNA aus verbrannten Leichen

Die Forschung dazu, was sich aus der DNA herauslesen lässt, geht in eine Richtung, die auch ethische Fragen aufwirft. So können aus genetischen Tatortspuren inzwischen Hinweise auf Herkunft, Aussehen oder Alter gewonnen werden, berichtet die Professorin. Solche Auswertungen können bei der Aufklärung von Straftaten „sicher hilfreich sein. Aber wir machen das nur auf Auftrag.“

Spiegel der Gesellschaft

Dass überhaupt solche Wege gegangen werden, erklärt sie so: „DNA alleine nützt nicht viel. Ohne Vergleichsprobe kommt man nicht auf den Täter.“ Ermittler können somit auch Verbrechern auf die Spur kommen, deren Profil nicht hinterlegt ist.

Wien und Graz für Drogencheck von Abwasser

Hinweise auf Lebensstil und Erkrankungen der Bevölkerung findet wiederum Herbert Oberacher in den Abwässern aus Kläranlagen, die der Chemiker am GMI „einen Spiegel der Gesellschaft“ nennt.

Seine Untersuchungen zeigen, welche Drogen wo in Österreich und in welchen Mengen konsumiert werden. Aufbauend auf diese Expertise konnte in der Pandemie auch das Covid-Abwassermonitoring etabliert werden.

2022 nahm Wien erstmals an einer Abwasser-Drogen-Studie teil

Die Bandbreite des Instituts, die auch toxikologische Analysen beinhaltet, ist also groß. Doberentz selbst forscht zu Biomarkern im Körper. Ihr Team konnte etwa ein Hitzeschockprotein ausfindig machen, dass sich bei extremen Temperatureinwirkungen in menschlichen Organen bildet. 

Damit lässt sich klären, ob eine Person durch einen Brand gestorben ist oder schon davor tot war – also womöglich ein Tötungsdelikt verschleiert wurde.