60 Jahre KURIER: 1994 - 2004

60 Jahre KURIER: 1994 - 2004

Teil 5: 1994 - 2004. Der Terror und die schwarz-blaue Koalition erschüttern die Welt und Österreich: Erinnerungen an das Jahrzehnt der Wende.

Fragt man Peter Rabl, Chefredakteur von 1993 bis 2005, nach seinem beruflichen Highlight, kommt wie aus der Pistole geschossen:

„Absoluter Höhepunkt in meinen KURIER-Jahren war die Hilfsaktion in Sri Lanka – die befriedigendste Sache, die ich veranstalten durfte. In meinem ganzen Journalistenleben. Vor Ort etwas organisiert, elf Millionen Euro ohne Versickern von Geldern direkt an die Leute bringen“.

Dabei war Rabls Ära vollgestopft: Ob Briefbomben oder 9/11-Terror, das erste Klontier Dolly oder das entschlüsselte menschliche Genom, ob Euro-Einführung oder EU-Ost-Erweiterung – Paradigmenwechsel rundum und internationale Erregungen dazu, wie es Medienexperte Fritz Hausjell ausdrückt.

Beginnen wir mit dem innenpolitischen Aufreger: Der schwarz-blauen Wende – als Wolfgang Schüssel,nur Drittplatzierter bei der Wahl, mit der FPÖ koalierte und Österreich international ins rechte Eck gestellt wurde. „Meiner Meinung nach, war es von Schüssel von Anfang an so geplant: Er hat Victor Klima zu Tode verhandelt und ihn im Kreis herumgeschickt, bis der die Nerven wegschmiss“, erinnert sich Rabl im Buch Hinter den Schlagzeilen.

Kommunikationswissenschaftler Hausjell hält die ganze Ära „für eine Herausforderung für den Journalismus, weil es in der FPÖ radikale Kräfte gab, die den Medien die Schneid abkaufen wollten.“ Auf blauer Seite habe Verständnislosigkeit für die Rolle der Medien in einer demokratischen Gesellschaft geherrscht. „Ich denke, die ÖVP erwartete dennoch, dass Zeitungen wie der KURIER diesen Regierungskurs freundlich begleiten mögen. Das hat es aber nicht gespielt. Solche Missverhältnisse von Erwartungshaltung von politischer Seite und Selbstverständnis auf journalistischer Seite finde ich sehr wichtig für die Entwicklung möglichst hoher Autonomie des Journalismus der Politik gegenüber.“

Es müsse gegenseitigen Respekt geben: „,Dass die eine Seite das macht, was sie zu tun hat, nämlich Politik, und die andere das kritisch begleitet.“ Pressefreiheit über alles – das war damals sicher nicht in allen Köpfen gewährleistet, resümiert Hausjell und erinnert an Haiders Sager über die „kranken Gehirne der Journalisten“.

Rabl, der Chefredakteur, forderte in diesen Tagen zwischen altem und neuem Jahrtausend seine Redaktion immer wieder auf, kühlen Kopf zu bewahren (siehe Leitartikel unten). Anlässlich der Nationalratswahl 2002 untersuchte Hausjell für eine Studie die fünf größten Tageszeitungen. „Es gab ein klares Ergebnis: Die ausgewogenste war der KURIER. Positives und Kritisches über die zur Wahl stehenden Parteien (SP und VP) hielten sich die Waage.“ Nur die FP kam nicht gut weg. „Das war damals eine professionell gemachte Zeitung.“ Mit kühlem Kopf berichten eben.

Einen kühlen Kopf brauchte man jedenfalls öfter, stand doch das Wort Terror so oft wie nie zuvor auf Seite 1: Der Anschlag auf die Twin-Towers (Rabl: „eine Riesenherausforderung, eine Jahrzehntgeschichte“), die Jagd auf Saddam Hussein und der Briefbomben-Terror hielten die Welt und Österreich in Atem.

„Da war in der Redaktion eine Gruppenarbeit der Vernunft gefragt“, sagt der Ex-Chef.

Als Rabl kam, kam auch eine neue Positionierung: „Der KURIER ist ein Tagesmagazin, eine Qualitätszeitung neuen Typs“, lautete sein Leitsatz. Abkehr vom Boulevard, auch von der reinen Nachrichtenzeitung, denn das Match um Aktualität ist als Tagezeitung rein technisch gegen die elektronischen Medien nicht zu gewinnen, predigte er.„Stattdessen legen wir das Hauptgewicht auf die Hintergrundinformation.“

Heute ergänzt er: „Ich halte es nach wie vor für das einzig richtige Rezept. Auch in Zeiten des Internets.“ Das sei damals bereits Thema auf allen Verleger-Kongressen gewesen, erinnert sich Rabl. „Auch Angstthema. Wir dachten, unsere Zeitungen werden relativ schnell unter Druck kommen. Und sowie wir es damals überschätzt haben, wird es heute von den Printkollegen weltweit unterschätzt. Ich glaube, dass da eine gravierende Veränderung kommt.“

Am 7. Mai 1996 kündigte der KURIER diesen Paradigmenwechsel jedenfalls mit sieben knappen Zeilen auf Seite 1 an: „Ab heute gibt es den KURIER auch im Internet“, stand da zu lesen. Was das für Mediennutzer und -macher bedeuten sollte, konnte damals keiner absehen.

Mittlerweile sagt Medienexperte Hausjell: „Alle im Print sehen es heute als Fehlentscheidung, die Inhalte kostenlos anzubieten. Aber die Zahnpasta ist bereits aus der Tube. Damals begann vieles, womit sich Zeitungen finanzierten – Stellen-, Auto- oder Wohnungsanzeigen – zum großen Teil ins Internet abzuwandern. Fakt ist: Die meisten Leute haben heute kein Verständnis dafür, dass journalistische Leistung etwas wert ist – qualitätsvoller Journalismus als öffentliches Gut, der in der Gesellschaft zu schützen ist, eben.“

Die Republik kochte, das Ausland tobte. Die Wende-Koalition Schüssel-Haider trieb im Jänner 2000 das Land in eine tiefe Krise, in scharfe Konfrontation und in Massendemonstrationen.

Auch in der KURIER-Redaktion loderten Leidenschaften, brodelte der Widerstand gegen die neue Regierung.

"Man muss auch mit heißem Herzen kühlen Kopf bewahren", schrieb ich auf einen Poster und hängte ihn im zentralen Konferenzzimmer auf. Private, persönlich demonstrierte Ablehnung der Schüssel-Haiderei sollte jedem Redaktionsmitglied selbstverständlich frei stehen. Im Blatt aber sollte das Prinzip der professionellen Distanz und der kühlen Analyse herrschen. So hab ich es mit meinem Stellvertreter und Innenpolitik-Chef Christoph Kotanko festgelegt. Und die Kolleginnen und Kollegen haben es ohne merkbares Murren auch so akzeptiert.

Begeisterung – Widerstand

In unserer Konkurrenz konnte sich die eine Qualitätszeitung vor Begeisterung über die angebliche bürgerliche Wende kaum einkriegen, in der anderen wurde der publizistische Widerstand mit allen Mitteln für Monate zur alleinigen Blattlinie.

Der KURIER nahm zur Kenntnis, dass die Koalition legal zustande gekommen und angesichts mangelnder Alternativen fast schon legitim war. Wir kritisierten die schweren personellen und inhaltlichen Mängel, ohne jedes Reformvorhaben gleich einmal niederzuschreiben. Wir verweigerten den billigen nationalen Schulterschluss gegen die Sanktionen des EU-Auslands, bezeichneten die Maßnahme aber für von Anfang an verfehlt.

Wir haben in diesen gewiss innenpolitisch spannendsten Monaten "meines" Jahrzehnts einfach kühlen Kopf bewahrt.

Teil 6: Der KURIER und das Jahrzehnt der Premieren (2004-2014)

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