Soll man die Herkunft von Straftätern nennen?

Ein verdächtiger Mann wird in der Silvesternacht in Köln abgeführt
Der Deutsche Presserat hält an seiner strengen Richtlinie fest. Österreichischer Ehrenkodex ist liberaler.

Ist es ein Unterschied, ob eine Straftat von einem Österreicher oder von einem Rumänen begangen wird? Von einem Deutschen oder von einem Marokkaner? Von einem Christen oder von einem Moslem? Der Deutsche Presserat hat dazu eine eigene Richtlinie in seinem Pressekodex. Angaben zur Religion oder zur ethnischen Zugehörigkeit der Täter oder Verdächtigen sind demnach nur legitim, wenn es einen "begründeten Sachbezug" zur Straftat gibt. Diese Zurückhaltung soll die Diskriminierung von Minderheiten verhindern.

In vielen deutschen Redaktionen wird die Richtlinie 12.1 schon länger als bevormundend gesehen. Im Zusammenhang mit der Berichterstattung über die zahlreichen Straftaten zur Silvesternacht in Köln wurde die Kritik schärfer. Am Mittwoch wurde in nicht-öffentlicher Sitzung darüber diskutiert. Mit dem Ergebnis: "Die Richtlinie soll nicht geändert werden." Der Presserat erkenne laut seiner Sprecherin aber an, dass es Unsicherheiten in den Redaktionen beim Umgang mit der Richtlinie gebe. So sei in Überlegung, sie etwa durch einen Leitfaden mit Beispielen zu ergänzen.

Österreichischer Presserat liberaler

In Österreich gibt sich das entsprechende Selbstkontrollorgan in diesem Punkt "großzügiger und liberaler als in Deutschland", so Presserats-Geschäftsführer Alexander Warzilek. "Wir verurteilen das nicht als Verstoß, rufen aber trotzdem dazu auf, dass die Journalisten in Eigenverantwortung überlegen sollen, ob es sinnvoll ist oder nicht, die Herkunft anzuführen". In Wien fand am Mittwoch ebenfalls eine Sitzung statt. Die drei Senate des Presserates, die in Österreich über Ethikverstöße in Printmedien entscheiden, behandelten im Speziellen das Thema Berichterstattung über Flüchtlinge.

Bereits vor der Sitzung erklärte Warzilek im KURIER-Interview, warum der Österreichische Presserat zum Thema Herkunftsnennung keine spezielle Regelung in seinem Ehrenkodex verankert hat.

KURIER: Seit den Vorkommnissen in Köln zur Silvesternacht wird stärker darüber diskutiert, ob man auf die regionale Herkunft von Tätern verweisen soll. Wie steht der Österreichische Presserat dazu?

Alexander Warzilek: Wir hatten schon mehrere Fälle, was dieses Thema betrifft. Unsere Senate haben bisher immer gesagt, dass es kein Verstoß gegen den Ehrenkodex ist, wenn man die Nationalität nennt solange es nicht zu einer Diskriminierung oder Pauschalverunglimpfung einer Personengruppe kommt. Trotzdem hat unser Senat 1 über eine Aussendung dazu aufgerufen, sorgsam mit der Nennung der Nationalität umzugehen, und aufzupassen, ob dadurch nicht Ressentiments oder Vorurteile geschürt werden können. Es liegt also immer am Journalisten, ob das sinnvoll ist.

Soll man die Herkunft von Straftätern nennen?
APA7039708-2 - 27022012 - WIEN - ÖSTERREICH: ZU APA-TEXT II - (v.l.n.r.): Senat I Vorsitzender Peter Jann, Presserat-Vizepräsident Thomas Kralinger, Presserat-Präsident Franz C. Bauer, Presserat-Geschäftsführer Alexander Warzilek und Senat II Vorsitzende Andrea Komar am Montag, 27. Februar 2012, während der Vorstellung des "Tätigkeitsberichts des Österreichischen Presserates für das Jahr 2011" in Wien. APA-FOTO: HERBERT NEUBAUER
Sehen Sie eine Richtlinie, wie es sie in Deutschland gibt, als Bevormundung der Leser?

Man kann mit der deutschen Lösung sehr gut leben, genauso wie man auch mit unserer Lösung sehr gut leben kann. Wir wollen das Gleiche, nähern uns aber von zwei unterschiedlichen Seiten aus an. Die Deutschen sagen: Wenn es keinen Sachkontext gibt, soll man sich zurückhalten. Bei uns sagt man: Die bloße Nennung ist kein Ethikverstoß. Trotzdem wollen wir erreichen, dass die Journalisten sorgsam mit ihrem Ermessensspielraum umgehen und daher haben wir diese allgemeine Stellungnahme im November gemacht. Da ist es noch um Rumänen gegangen, die immer wieder in Zusammenhang mit Straftaten genannt wurden.

Zurück zu den einzelnen Fällen. Welche Entscheidungskriterien gibt es für den Presserat?

Die Herangehensweise ist wichtig: Bei einer umfassenden Reportage zu einem Kriminalfall ist es eher gerechtfertigt. Wenn man das Umfeld des Täters beleuchtet, wird man an der Herkunft nicht vorbeikommen. In einer Kurzmeldung wiederum ist es vielleicht kontraproduktiv, noch dazu, wenn es um eine Straftat geht, die nichts mit der Herkunft zu tun hat.

Wie sehen Sie das bei den Kölner Silvesterübergriffen?

Bei den Vorkommnissen in Köln war es wichtig, darüber Auskunft zu geben, weil man sonst die Geschichte nicht verstanden hätte. Also war es notwendig, die nordafrikanische Herkunft der meisten Täter anzuführen. Es hat in der Berichterstattung eine zentrale Rolle gespielt. Besonders bei den Sexualstraftaten ging es in der Diskussion in erster Linie darum, ob Menschen aus nordafrikanischen, arabischen Ländern oder aus Afghanistan eher dazu neigen, solche Taten zu setzen. Da hat man sofort eine sachliche Rechtfertigung dafür die Nationalität zu nennen. Vor allem, wenn das so verabredet passiert wie in Köln. Es geht ja gar nicht, hier die Herkunft zu unterschlagen. Es ist auch im öffentlichen Interesse, zu thematisieren, dass hier offenbar Menschen aus diesen Ländern sich verabreden und gemeinsam solche Taten setzen.

Unter besonderen Umständen, muss man vielleicht festhalten ...

Natürlich spielt es eine Rolle, wenn junge Männer schlecht untergebracht sind oder keine Beschäftigung haben, aber das ist alles keine Rechtfertigung. Es wurde auch versucht, aufzuarbeiten, wie es dazu gekommen ist. Es wird wohl auch eine Rolle spielen, dass Frauen in gewissen Ländern einen geringeren Stellenwert einnehmen als bei uns. Und das ist ein sachlicher Kontext. Die ganze Geschichte würde man sonst nicht verstehen.

In Köln ging es auch um den Vorwurf, die Polizei hätte zunächst bewusst gezögert, die Herkunft der Täter zu erwähnen.

Stimmt, die Presse hat eine gewisse Anlaufzeit gebraucht, um das größer zu bringen. Aber über die Herkunft der Täter ist von Anfang an berichtet worden. Wenn ein spezieller Sachzusammenhang besteht, konnte man das in Deutschland schon bisher trotz strengerer Regeln berichten.

Seit Köln wird bei sexuellen Übergriffen und Vergewaltigungen immer wieder darauf hingewiesen, ob ein Migrations- oder Flüchtlingshintergrund beim Täter oder Verdächtigen vorliegt. Gerechtfertigt?

Das ist eine sehr heikle Frage. Wir stellen keinen Ethikverstoß fest, trotzdem appellieren wir an das Gewissen und an das Fingerspitzengefühl. Da gibt es kein Generalrezept. Nicht in jedem Fall ist die Nennung der Herkunft aus meiner Sicht gerechtfertigt.

Gibt es viele Beschwerden über die Herkunftsnennung, weil sie zum Beispiel als diskriminierend empfunden wird?

Die meisten Beschwerden haben wir derzeit zum Thema Flüchtlinge, in allen Facetten. Es geht um Diskriminierung, darum, ob korrekt recherchiert wurde und teilweise auch um Fälle der Nennung der Nationalität. Das hatten wir aber auch schon vorher. Jetzt ist dieses Thema nur viel mehr im öffentlichen Bewusstsein. Und noch stärker seit diesen Vorfällen in Köln. Wobei ich noch einmal betonen möchte, dass man bei diesen Vorfällen die Nationalität sowieso bringen musste. Niemand von den Ethikeinrichtungen hat gefordert, dass man das nicht tut. Auch nicht der deutsche Presserat, der das ein bisschen strenger sieht.

Warum existiert diese Regelung eigentlich in Deutschland?

Es ist ganz interessant: Die deutsche Richtlinie ist aus den 60er Jahren heraus erklärbar, wo bei Berichten über Vorfälle mit US-Soldaten dazugeschrieben wurde, dass diese schwarz gewesen sind. Die Frage war: Spielt es wirklich eine Rolle, dass man bei der Straftat eines in Deutschland stationierten GIs auch die Hautfarbe erwähnt? In Österreich kam es erst nach der Besatzungszeit zur Gründung von Ethikeinrichtungen.

Wird im Österreichischen Presserat über eine Änderung des Ehrenkodex diskutiert?

Ich glaube nicht, dass die Senate eine weitere Änderung wünschen; und selbst wenn, dann müsste der Trägerverein das beschließen. Unser Ehrenkodex ist kompakter, wir haben nur zwölf generelle Prinzipien. Irgendwann werden wir eine Art Handbuch über unsere Entscheidungen und zu unserem Ehrenkodex herausgeben.

Ist auch angedacht, Fallbeispiele als Entscheidungsgrundlage für Journalisten anzugeben?

Das könnte man sich in so einem Handbuch durchaus vorstellen. Dass man einzelne Fälle beschreibt, und warum dabei ein Ethikverstoß vorgelegen ist. Das Handbuch ist aber noch in der Entwicklungsphase, es gibt noch keine konkreten Vorarbeiten dazu.

Wie wichtig ist für den Presserat der Umgang mit Sozialen Medien und mit Userpostings?

Für die Sozialen Medien sind wir eigentlich nicht zuständig. Aber was schon ein Thema ist, dass über die Sozialen Medien oft Gerüchte zur Flüchtlingsthematik gestreut werden und Journalisten aufpassen müssen, dass sie diese nicht ungeprüft übernehmen.

Da gab es ja einen prominenten Fall im vergangenen Jahr ...

Ja, zur Kolumne von Herrn Biró, dem Chefredakteur der "Steirerkrone", hatten wir 176 Beschwerden, und die beanstandete Kolumne hat der zuständige Senat dann als Ethikverstoß bewertet. Weil da Gerüchte aus dem Internet übernommen wurden, ohne sie auf ihren Wahrheitsgehalt zu prüfen. Wenn man etwas korrekt recherchiert und herausfindet, dann darf man natürlich auch Missstände in der Flüchtlingsthematik aufzeigen. Aber das war in diesem Fall nicht so, und die Kronen Zeitung hat ja auch öffentlich zugegeben, dass sich diese Dinge zum Teil nicht belegen lassen. Es hat dann aber keine Entschuldigung gegenüber den Lesern gegeben, das wäre aus ethischer Sicht erforderlich gewesen.

Wie zufrieden sind sie nach fünf Jahren generell mit der Wirkungsmacht des Presserats?

Ich glaube, wir haben unseren Platz gefunden, unsere Institution hat sich etabliert. Es gibt Rekordwerte bei den Meldungen. Die Fallzahlen sind jedenfalls massiv gestiegen; mag sein, dass die Flüchtlingsthematik so stark polarisiert. Negativrekord ist die Veröffentlichung eines Fotos im Fall des LKW mit toten Flüchtlingen auf der A4. Hier gab es 180 Meldungen. Wir schwingen nicht die große Sanktionskeule, wir haben gewissermaßen nur die Feinmechanik zur Verfügung. In erster Linie erfüllen wir eine Mahn- und Appellfunktion. Das ist aber nicht zu unterschätzen, weil unsere Entscheidungen in der Branche durchaus wahrgenommen werden und darüber in vielen Medien berichtet wird. Es heißt zwar immer, wir seien ein zahnloser Tiger, aber ich glaube, die Prangerwirkung, die wir erreichen, ist nicht zu unterschätzen.

LINKS:

Österreichischer Presserat
Die Richtlinie 12.1 beim Deutschen Presserat

Der Österreichische Presserat ist eine Einrichtung zur Selbstkontrolle von Printmedien in Österreich und wurde im Jahr 2010 neu gegründet. Der alte Presserat hat im Jahr 2002 seine Tätigkeit eingestellt, nachdem ein Konflikt mit der Kronen Zeitung eskaliert war. Der Presserat beruht auf dem Prinzip der Freiwilligkeit und dient der redaktionellen Qualitätssicherung sowie der Gewährleistung der Pressefreiheit. Zu den Trägerorganisationen zählen Journalistengewerkschaft, der Verband Österreichischer Zeitungen (VÖZ), der Verein der Chefredakteure, der österreichische Zeitschriften- und Fachmedienverband, der Verband der Regionalmedien Österreichs sowie der Presseclub Concordia.Wien. Finanziert wird der Presserat durch Mitgliedsbeiträge seiner Träger und aus Mitteln der Presseförderung.

Die vollständige Fallstatistik, aufgeschlüsselt nach einzelnen Medien, finden Sie auf der Webseite des Österreichischen Presserates.
www.presserat.at

  • Ein 20-Jähriger sprach ein zwölfjähriges Mädchen an, das auf den Schulbus wartete und überredete es, ihn ins Schulgebäude zu begleiten. Dort belästigte er das Kind. Eine Beschwerde beim Presserat bemängelte an der Berichterstattung darüber, dass die Zeitung den Mann als "irakischen Asylanten" bezeichnet hatte. Der Artikel schüre Vorurteile gegen Ausländer. Der Beschwerdeausschuss schloss sich der Argumentation weitgehend an: Es sei kein begründeter Sachbezug zwischen dem Missbrauch und der Herkunft des Täters zu erkennen. Der Ausschuss sprach eine Missbilligung aus.
  • Bei einer Familientragödie starb eine junge Frau, ihre Mutter wurde lebensgefährlich verletzt. Der Täter hatte auf beide geschossen und war dann geflohen. Die Polizei ging davon aus, dass es sich dabei um den aus der Türkei stammenden Vater und Ehemann handelte. Den Presserat erreichte eine Beschwerde, die kritisierte, dass ein Bericht über den Fall die türkische Herkunft des mutmaßlichen Täters nannte. Der Beschwerdeausschuss hielt die Nennung der Nationalität für gerechtfertigt. Die Polizei habe den Verdacht gehabt, der Mann könne in die Türkei fliehen und deshalb die Überwachung von Flughäfen angeordnet. Die Nennung der Nationalität biete dem Leser eine Erklärung für diese Vorgänge, die sonst schwer zu verstehen gewesen wären.
  • Durch Messerstiche tötete ein aufgebrachter Angreifer die Mitarbeiterin eines Jobcenters. Als Motiv für die Attacke gab er an, Angst davor zu haben, dass mit seinen persönlichen Daten Handel getrieben werden könne. Er hatte in der Arbeitsagentur einige Tage zuvor ein Datenblatt ausgefüllt. In der Beschwerde an den Presserat gab es Kritik daran, dass der Bericht über den Fall die Herkunft des Täters aus Marokko nannte. Den Beschwerdeausschuss überzeugte das nicht: Diese Angabe sei nicht diskriminierend. Der mutmaßliche Täter habe aus Angst vor Datenmissbrauch gehandelt. Es sei nicht unwahrscheinlich, dass dazu Kommunikationsprobleme beitragen hätten. Ein Sachbezug zur Herkunft sei daher gegeben.
  • Ein Mann belästigte eine Studentin im Zug sexuell. Durch Auswertung von Videoaufzeichnungen gelang es der Polizei, den Täter zu identifizieren und ein Strafverfahren einzuleiten. Den Presserat erreichte eine Beschwerde, die bemängelte, ein Bericht habe erwähnt, dass der Mann Asylbewerber sei. Das sei diskriminierend. Der Beschwerdeausschuss schloss sich dem nicht an: Weil der Täter erst durch die Zusammenarbeit mit der Ausländerbehörde aufgespürt werden konnte, gebe es einen begründbaren Sachbezug. Ohne diese Information hätten die Leser keine Möglichkeit gehabt, die Details der Fahndung und Festnahme zu verstehen.
  • Die Polizei stoppte einen 25-jährigen Autodieb. Dabei stellte sich heraus, dass er zum einen mit 2,15 Promille deutlich angetrunken war und außerdem per Haftbefehl nach ihm gesucht wurde. Die Beschwerde an den Presserat kritisierte an dem Bericht mit der Überschrift "Betrunkener Pole klaut Auto von Tankstelle", dass gleich mehrfach die Nationalität des Betreffenden erwähnt wurde. Ein begründbarer Sachbezug besteht dafür nach Einschätzung des Beschwerdeausschusses nicht. Die mehrfache Nennung verstärke die diskriminierende Wirkung noch. Eine Missbilligung sei daher gerechtfertigt.

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