Walkner: "Ich bin ja kein Wahnsinniger"

Matthias Walkner geht bei der Rallye Dakar an den Start.
Matthias Walkner startet als KTM-Werkspilot in seine erste Rallye Dakar.

Es sind die einfachsten Bedürfnisse, die Matthias Walkner vor dem Start zur Rallye Dakar Schwierigkeiten bereiten. Zum Beispiel, was er tun muss, wenn er während der Rallye einmal muss. "Ich hab’ gehört, dass sich einige Fahrer sogar einen Katheder setzen, manche lassen es auch einfach rinnen", berichtet der ehemalige Motocross-Weltmeister, der als KTM-Werkspilot das Rennen in Angriff nimmt. "Extra stehen bleiben tu’ ich sicher nicht. Ich werd’ mir’s wohl verdrücken."

KURIER: Worüber Sie sich alles Gedanken machen ...

Matthias Walkner: In den letzten Wochen bin ich auf so einiges draufgekommen. Ich glaube, ich war ziemlich lästig und habe meine Teamkollegen richtig gelöchert. Aber du musst bei so einer Rallye auf so viele Dinge aufpassen: Wie verpflegst du dich während der Fahrt? Was nimmst du alles mit? Ich hätte wahrscheinlich das richtig warme Gewand daheim gelassen.

Braucht es das?

In Argentinien oder in Bolivien ist es in der Früh Vollgas kalt, da fährst du die ersten drei Stunden bei zwei, drei Grad. Ich hab’ im Internet immer nur die Temperaturen gelesen, die untertags sind. 26 Grad, in Wahrheit brauchst du dort Regeng’wand, Überzieher, dicke Sachen.

Hätten Sie sich vor einem Jahr vorstellen können, dass Sie bei der Rallye Dakar starten?

Dass ich die Dakar fahre, das war so weit weg. Das wäre ungefähr so, als würdest du heute in Salzburg in der Karthalle fahren, und ein Jahr später hast du ein Cockpit in der Formel 1. Vor vier Monaten war ich noch der Vollblut-Motocrosspilot, aber Rallyefahren ist eine komplett andere Sportart. Bei der Dakar fährst du ungefähr hundert Stunden. Das ist wie ein halbes Jahr Motocrossfahren.

Was ist die größte Umstellung?

Die langen Distanzen. Ich merke, dass nach zwei, drei Stunden auf dem Motorrad die Konzentration nachlässt und ich mit den Gedanken abschweife. Und dann beginnst du, Fehler zu machen. Wir haben aber Spezialetappen, bei denen wir bis zu zehn Stunden unterwegs sind.

Und in Bolivien geht’s sogar auf weit über 4000 Meter.

Ich weiß nicht genau, was mich da oben erwartet und wie mein Körper in der Höhe reagiert. Ich hab ’ extra ein Höhentrainingslager auf dem Kitzsteinhorn gemacht, bin viele Skitouren gegangen. Ich habe alles getan, was in meiner Macht steht, damit ich das Risiko minimiere. Aber ein Restrisiko bleibt. Dodelsicher ist gar nichts.

Haben Sie Angst?

Mir ist klar, dass viel passieren kann. Aber solche Gedanken muss man verdrängen. Ich steh’ nicht am Start und denke: ,Huh, heute könnte es gefährlich werden.‘ Ich denke mir eher: ,Boah, die nächsten 500 Kilometer werden lässig und spannend.‘ Ich bin jetzt kein Wahnsinniger, kein wilder Draufgänger. Ich kenne meine Grenzen recht gut.

Ihr Mentor bei der Dakar ist Heinz Kinigadner, taugt er zum Vorbild?

Walkner: "Ich bin ja kein Wahnsinniger"
ABD0036_20141215 - WIEN - ÖSTERREICH: KTM-Sportmanager Heinz Kinigadner (l.) und Matthias Walkner - der erste österreichische KTM-Werkspilot bei der Rallye Dakar seit 15 Jahren" während der Pressekonferenz am Montag, 15. Dezember 2014, in Wien. - FOTO: APA/HERBERT PFARRHOFER
Alles werde ich mir sicher nicht von ihm abschauen. Er ist bei der Dakar nie ins Ziel gekommen, in dem Sinn kann ich mir ihn nicht zum Vorbild nehmen. Aber was andere Sachen betrifft wie Ehrgeiz, Wille, alles für seine Ziele unterordnen, da kann man sich vom Heinz eine Scheibe abschneiden.

Kinigadner sagt, die erste Woche sei die gefährlichste, weil da alle Teilnehmer im Adrenalinrausch sind. Wie werden Sie’s anlegen?

Ich hätte mir schon vorgenommen, dass ich mich erst einmal herantaste, und ich habe auch einen Pakt mit mir abgeschlossen, wie weit ich gehen will. Aber ...

... aber?

Aber wenn du einmal im Rennrhythmus drinnen bist, in dieser Trance, dann ist es manchmal schwierig, dass du dich auch wirklich daran hältst. Ich will das aber gesund über die Runden bringen und nur so schnell fahren, dass ich alles im Griff habe.

Haben Sie als Motocrosser einen Vorteil?

Was mir sicher hilft ist, dass ich in Gefahrensituationen sehr schnell reagieren kann. Das Improvisieren hast du als Motocrossfahrer im Blut. Das Fahrtechnische ist nicht das, wo ich jetzt am meisten aufholen muss, die Herausforderung ist das Navigieren. Wenn du dich verfährst, dann wirst du schnell einmal hektisch oder panisch und machst Fehler.

Was ist Ihr Ziel für Ihre erste Rallye Dakar?

Ich will den Hubschrauber nicht von innen sehen und das Rennen durchfahren. Wobei mir sehr viele gesagt haben: ,Ja, ins Ziel wirst du doch wohl kommen.‘ Aber ich würde jedem einmal raten, 9000 Kilometer zu fahren und sie ohne Panne oder Unfall zu überstehen. Und bei einer Dakar können einfach so viele Sachen passieren. Wenn alles gut läuft und ich das Navigieren halbwegs hinbekomme, sind die Top 20 nicht zu hoch gestapelt.

Glauben Sie, dass Sie die Dakar auch genießen können – oder ist das nur eine Qual?

Genießen? Im Nachhinein ganz bestimmt. Aber während der Rallye? Vielleicht jeden Tag die letzten fünf Minuten der Etappe.

Gefährliche Tradition

1978 wurde erstmals die Rallye Dakar ausgetragen, damals noch als Rallye ParisDakar. Gründer war der Franzose Thierry Sabine, nach dessen Tod bei einem Helikopterabsturz am 14. Jänner 1986 übernahm sein Vater die Organisation, bis diese 1992 an die Amaury Sport Organisation überging. Die zur Gruppe um die Sportzeitung L’Équipe gehörende Firma richtet unter anderem auch die Tour de France der Radsportler aus. Im Lauf der Zeit wurde die Streckenführung immer wieder verändert, nach Drohungen von mauretanischen Freiheitskämpfern wurde die Rallye 2008 ganz abgesagt. Seit 2009 findet das Rennen in Südamerika statt. Bei den bisher 36 Ausgaben sind mehr als 60 Menschen ungekommen, knapp 30 waren Teilnehmer.

Vier Klassen

Rekordsieger ist der Franzose Stéphane Peterhansel, der sechs Mal auf dem Motorrad und fünf Mal im Auto gewonnen hat. Der Bewerb wird in vier Klassen (Autos, Motorräder, Lastwagen und Quads) mit etlichen Untergruppen ausgetragen. Die Dakar 2015 startet am Sonntag in Buenos Aires und endet dort nach 13 Etappen am 17. Jänner. Heuer beträgt die Distanz je nach Klasse 8100 bis 9300 Kilometer.

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