"In diesem Jahrtausend ist alles anders geworden im Fußball"

Josef Hickersberger und Herbert Prohaska beim verbalen Doppelpass.
Der Fußball habe sich gegenüber ihren WM-Zeiten völlig verändert, sagen Josef Hickersberger und Herbert Prohaska. Die beiden waren die letzten Teamchefs vor Marcel Koller gewesen, unter deren Regie sich Österreich für Großereignisse qualifizierte.

Der fünffache Opa Hickersberger schwitzt regelmäßig im Kraftkammerl und spielt leidenschaftlich Golf. Der vierfache Opa Prohaska schwingt das Tennis-Racket. Trainer wollen die beiden Ex-Teamchefs nie mehr sein. Fachsimpeln tun die Vorgänger von Marcel Koller dafür umso lieber.

Weshalb sich der Fußball so sehr verändert hat, wer ihr Wunschgegner bei der Europameisterschaft ist, was sie nachdenklich stimmt?

Eine Woche vor der EM-Auslosung trafen sich Josef Hickersberger, 67, und Herbert Prohaska, 60, auf KURIER-Initiative zum verbalen Doppelpass.

Beide hatten bei der WM 1978 in Argentinien als Spieler alle sechs österreichischen WM-Matches mit dem Höhepunkt Córdoba miterlebt. 1990 war Hickersberger bei der WM in Italien der Teamchef, 1998 Prohaska bei der WM in Frankreich. Somit sind sie prädestiniert zur Beantwortung dieser Frage.

KURIER: Wann und wie hat sich der Fußball am meisten weiterentwickelt?

Herbert Prohaska: Eindeutig in den letzten zehn Jahren. Zwischen ’78 und ’98 war nix Neues passiert. Räume eng machen, Verschieben der Abwehr – diese Begriffe gab es bei mir selbst 1998 noch nicht. Damals wurde mir vorgeworfen, dass ich das Team noch mit Libero und Manndecker spielen ließ. Nur hat zu dieser Zeit kein einziger Klub in der Bundesliga mit Viererkette gespielt. Der große Sprung ist nach der Jahrtausendwende erfolgt.

Josef Hickersberger:Ich stimme dir vollauf zu. Was mir auffällt: Die Intensität ist eine ungleich höhere geworden. Das hängt auch mit der Taktik zusammen. Die guten Mannschaften forcieren das Offensivpressing. Es gibt immer mehr Zweikämpfe als früher.

Prohaska: Der Franz Beckenbauer hat recht, wenn er behauptet, dass heute viel mehr miteinander gespielt wird als zu unserer aktiven Zeit.

Hickersberger: Es war eine Stärke von dir, mit dem Ball so lange zu laufen, bis dich einer attackiert hat. Erst dann hast du abgespielt. Heute wird fast nur noch auf den Außenbahnen gedribbelt.

Prohaska: Heute spielen die Guten den Ball selbst dann sofort ab, wenn sie noch Zeit hätten. Sie lassen die Kugel so lange zirkulieren, bis sich eine Lücke findet. Ich bin überzeugt, dass die Spieler heute doppelt so viele Ballberührungen haben wie wir früher. Darüber hinaus werden die Pässe mit unglaublicher Schärfe geschlagen. Ich bin jedes Mal verblüfft, wenn wir vor Länderspielen mit dem ORF beim Aufwärmen an der Seitenlinie stehen. Oben auf der Tribüne und im TV schaut alles viel, viel harmloser aus.

Auch im konditionellen Bereich ist Revolutionäres passiert. Wurde früher falsch trainiert?

"In diesem Jahrtausend ist alles anders geworden im Fußball"
BILD ZU APA 090 -Der ÖFB-Generalsekretär Alfred Ludwig (l.) und National-Teamchef Herbert Prohaska (r.) mit Fanartikeln für die WM 1998 in Frankreich. APA-Photo: Herbert Prohaska
Prohaska:Als ich gespielt habe, wurde im Ausdauerbereich immer alles gemeinsam gemacht. Für ein Drittel von uns war das Training richtig, für ein Drittel war’s zu viel, für ein Drittel war’s zu wenig. Ich habe mich immer geärgert, wenn beim Lauftraining in der Prater-Hauptallee der Ogris und der Steinkogler weit hinten waren. Heute weiß ich: Das waren Sprintertypen, die eine ganz andere Art der Vorbereitung gebraucht hätten. In der Kraftkammer waren wir überhaupt nur während der meisterschaftsfreien Zeit.

Hickersberger: Oder wenn’s Wetter schlecht war. Heute laufen die Spieler bei jedem Training mit Puls-Uhren und Brustgurt herum. Heute gibt es Chipkarten. Heute weiß der Trainer schon unmittelbar nach dem Training, ob es den Zweck erfüllt hat, ob sein Spieler im richtigen Pulsbereich gearbeitet hat. Anders ist es gar nicht möglich: Sonst könnten die Profis niemals so spielen, wie sie heute spielen.

Prohaska: Und trotzdem gibt es immer mehr Verletzte. Kreuzbandrisse gehören zum Alltag. Wenn’s so wäre wie in den 50er-Jahren, als keine Spielerwechsel erlaubt waren, würde jede Partie nur noch mit sieben, acht Mann beendet werden.

Sie hatten als Spieler wie Teamchefs selbst die – zu – hohen Erwartungen im Vorfeld einer WM erlebt. Stimmt Sie der gegenwärtige Hype nachdenklich?

Hickersberger: Dass auch Russland und Schweden, die Kollers Truppe in der Qualifikation hinter sich gelassen hat, noch die EM-Teilnahme erkämpft haben, spricht zusätzlich für Österreich. Doch bei allem Respekt vor unseren souveränen Gruppensiegern: Zwischen einer Qualifikation, die sich über ein Jahr erstreckt, und einem Turnier ist ein Riesenunterschied. Denn bei einer Endrunde musst du innerhalb von zehn Tagen drei Spiele bestreiten.

Prohaska: Wenn jetzt oft schon Vergleiche zwischen der 78er-Generation und der heutigen gezogen werden, sollt’ ich sagen: Wir waren 1978 bei der Endrunde, zu der unsere jetzige Mannschaft erst hin muss. Aber ich lasse mir darüber hinaus keine Statements mehr entlocken. Ich lehne mich nicht mehr aus dem Fenster wie bei der Verpflichtung von Marcel Koller. Diesen Fehler mache ich nie wieder. Selbst wenn unter Koller zehn Länderspiele verloren gehen, würde ich sagen: Er ist der Richtige.

Sehen Sie Spieler, die im letzten Moment noch in Kollers EM-Aufgebot rutschen könnten?

Hickersberger: Stefan Stangl, der bei Rapid eine Riesen-Entwicklung gemacht hat, und sein Klubkollege Florian Kainz vielleicht. Doch die Konkurrenz ist groß. Ein Indiz für den Aufschwung, den ich nicht zuletzt auf die gute Nachwuchsarbeit zurückführe, ist für mich auch, dass sogar im Unter-21-Team viele Legionäre spielen. Wie zum Beispiel Michael Gregoritsch, der beim Hamburger SV zum Stammpersonal gehört.

Prohaska: Koller ist mit seinem Festhalten an Spielern, die schon lange seinem Kader angehören, in den letzten drei Jahren gut gefahren. Für Nicht-Legionäre wird’s schwer. Außer Austria-Tormann Almer oder dem Salzburger Leitgeb, der heuer lange verletzt war, wird kaum wer aus der österreichischen Liga in Frankreich dabei sein.

Gibt’s einen Wunschgegner – oder ein Team, das Österreich erspart bleiben sollte?

Prohaska: Deutschland – aber bitte auf keinen Fall schon in der Gruppe, sondern erst so ab dem Viertelfinale. Mit Ausnahme vom Philipp Lahm wird den Deutschen das Fehlen von keinem der Promis wehtun, die ihre Teamkarriere beendet haben. Die Ungarn wären mir als Gruppengegner nicht unangenehm.

Hickersberger: Das unterschreibe ich sofort.

1978 waren Sie in Argentinien als Spieler mit der Terror-Problematik konfrontiert gewesen. Wie gehen Sie jetzt mit dem traurigen Thema um?

Prohaska: Meine Tochter Barbara will nicht, dass ich für den ORF zur Auslosung nach Paris fliege. Ich versuche, sie zu beruhigen, indem ich ihr sage, dass die Gefahr, Opfer eines Autounfalls zu werden, wesentlich größer ist. Wie sehr der Terror den Fußball beeinflusst, habe ich beim Ländermatch gegen die Schweiz erlebt: Da durfte mich der Ordner, der mich seit Jahren kennt, ohne Akkreditierung, die ich bisher immer erst beim nächsten Türl abgeholt hab’, nicht ins Stadion lassen. Bei der EM in Frankreich werden sich die Leut’ schon drei Stunden vor Anpfiff anstellen müssen. 1978, als uns die argentinische Militärjunta streng hat bewachen lassen, habe ich die Zusammenhänge gar nicht richtig mitbekommen und alles für übertrieben gehalten. So hat unser Mannschaftsbus wegen der Angst vor einem Terroranschlag stets einen anderen Weg fahren müssen. Und als der Bus einmal vor einem Bahnschranken halten musste, sind die Securitys rausgesprungen und haben den Schranken zertrümmert.

Hickersberger: Als ich Teamchef war, mussten wir vor einem Länderspiel in Salzburg einmal wegen einer Bombendrohung das Hotel verlassen.

Prohaska: Weil du den Polster aufgestellt hast....

Hickersberger: Nein. Ich hatte mich damals mit dem Heribert Weber auseinandergelebt, der Kapitän von Salzburg war. Doch Spaß beiseite: Mit der gewärtigen Situation ist jene von damals überhaupt nicht vergleichbar. Wir müssen uns damit abfinden, dass nichts mehr so sein wird, wie es war.

Prohaska: Wäre ich Pessimist, würde ich sagen: Ich bin noch gar nicht sicher, dass die EM überhaupt stattfindet.

Josef Hickersberger

Geboren: 27. April 1948
Spieler: Der Niederösterreicher spielte u.a. für Austria, Offenbach, Düsseldorf und Rapid. Er absolvierte 39 Länderspiele (5 Tore).
Trainer: Hickersberger führte Österreich zur WM nach Italien (1990). Auch bei der EURO 2008 war er Teamtrainer.

Herbert Prohaska

Geboren: 8. August 1955
Spieler: Der Wiener spielte für Ostbahn XI, Austria, Inter Mailand und Roma. Er bestritt 84 Länderspiele (12 Tore).
Trainer: Prohaska wurde mit der Austria Meister und führte Österreich zur WM nach Frankreich (1998).

Kommentare