Schweinsteiger hält den Laden zusammen

Der Kapitän war bisher im Hintergrund wertvoll. Nun kündigen sich mehr Einsätze an.

Bastian Schweinsteiger sah im Abschlusstraining am Freitag irgendwie anders aus. Das Haar war an den Seiten schon ergraut, um die Augenwinkel und auf der Stirn zogen sich Falten durch das gebräunte Gesicht. Schweinsteiger sah aus wie ein Mann, der in einem Monat 32 wird. Es musste sich um eine optische Täuschung handeln, denn der Mittelfeldspieler ist im Laufe der EM angeblich immer jünger geworden. Inzwischen dürfte es sich bei ihm längst um den jüngsten aller 23 Spieler der Deutschen handeln – zumindest, wenn man den ständigen Verlautbarungen trauen darf.

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Bisher war man davon ausgegangen, dass Schweinsteiger ein alternder Fußballer ist, der sich bei der EM für seinen letzten Karrierehöhepunkt quält, der, von Verletzungen geplagt, verzweifelt um seine Form kämpft. Doch bei den diversen Wortmeldungen hörte sich das irgendwie anders an. "Er wird jede Woche besser, stabiler und spielfreudiger", hat Markus Sorg, der zweite Assistent von Joachim Löw, vor einer Woche verkündet. Und das bisher letzte Bulletin ist gerade zwei Tage alt und stammt von Oliver Bierhoff. "Körperlich ist er gut drauf", hat der Teammanager gesagt. "Er hat sich herangearbeitet."

Drei Einwechslungen

Das Problem ist, dass sich die Verlautbarungen vor fünf Wochen schon ganz ähnlich angehört haben – dass sich am Status von Schweinsteiger seither nichts Entscheidendes geändert hat.

In den vier bisherigen Spielen ist der Kapitän drei Mal eingewechselt worden. Das ist mehr, als viele vor dem Turnier erwartet hatten. Doch zählt man alle Einsatzminuten zusammen, ist Schweinsteiger nicht einmal eine Halbzeit auf dem Feld gestanden. Wenn es gut läuft für die Deutschen, bestreiten sie, beginnend mit dem Viertelfinale heute, noch drei Spiele. Es sind die entscheidenden Spiele, die im Zweifel über 120 Minuten gehen. Da fällt es zunehmend schwerer, sich Schweinsteiger noch in einer tragenden Rolle vorzustellen – sagen die einen. Genau für diese Spiele hat ihn Löw mitgenommen – sagen die anderen. Und erinnern an das WM-Finale vor zwei Jahren, als Schweinsteiger der Anführer in einer epischen Schlacht war.

In den ersten Wochen in Frankreich hat sich Schweinsteiger rar gemacht. Er ist zu keiner einzigen Pressekonferenz erschienen, um als Kapitän Auskunft zu geben. Nach den Spielen ist er wortlos an den Journalisten vorbeigegangen – bis er nach dem Achtelfinale gegen die Slowakei plötzlich stehen blieb. "Ich habe viele Wochen nicht gespielt. Für mich ging es in erster Linie darum, dabei zu sein, gesund zu sein", hat er gesagt. "Daher bin ich sehr froh so, wie es gelaufen ist." Aus seinen Worten sprach eine gewisse Dankbarkeit, dass der Bundestrainer ihn überhaupt nominiert hatte.

Trotzdem wird diskutiert, wann Bastian Schweinsteiger denn nun von Anfang an spielen wird. Ob er nicht gerade gegen Italien mit seinem strategischen Blick genau der richtige Mann wäre, um das Zentrum im Mittelfeld zu schließen, durch das die italienischen Stürmer Pellè und Éder so gerne ihre Konter vortragen? "Vom Rhythmus her ist es vielleicht nicht ganz ideal", sagt Bastian Schweinsteiger, "aber ich würde es mir zutrauen".

Joachim Löw glaubt inzwischen auch, dass Schweinsteiger "in der Lage ist, von Beginn an zu spielen. Die Physis stimmt." Die Frage ist aber auch, wer für ihn dann weichen soll: Toni Kroos, der den Rhythmus vorgibt? Oder Sami Khedira, den der Bundestrainer für "klug und clever" hält und von dem er eben erst gesagt hat, er habe das Gefühl, "er wird immer dynamischer"?

Löw hat immer erklärt, dass Schweinsteiger noch wertvoll werden wird. Vielleicht braucht er ihn im Halbfinale, falls Khedira gegen die Italiener seine zweite Gelbe Karte sieht und dann gesperrt ist. Aber muss Schweinsteiger überhaupt auf dem Platz stehen, um wertvoll zu sein?

Wichtige Rolle

"Er spielt eine sehr gute Rolle, eine wichtige Rolle", sagt Löw. Schweinsteiger sei sehr aktiv in der Mannschaft, er geht voran und kümmert sich um die jungen Spieler, von denen im Unterschied zu ihm einige noch gar nicht zum Einsatz gekommen sind. Schweinsteiger ist jetzt der Elder Statesman der deutschen Mannschaft, gewissermaßen von den Mühen der Alltagspolitik befreit, von den Anstrengungen des Spielbetriebs. Aber er hält den Laden zusammen. Und nach allem, was man sieht und was herausdringt, macht er das mindestens so gut, wie er früher das deutsche Mittelfeld beherrscht hat.

Schweinsteiger hat den Deutschen den bisher emotionalsten Moment der EM beschert. Es war im Auftaktspiel gegen die Ukraine, als er bei seiner Einwechslung in der Schlussminute von den Fans gefeiert wurde und gleich darauf das 2:0 erzielte. Der emotionale Höhepunkt des Turniers aber soll das noch nicht gewesen sein. Nicht für die Deutschen. Und nicht für Schweinsteiger.

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