Kultbildung bei der EURO - der Fußball verbindet

Franzosen, die "Huh" schreien, Portugiesen, die Französisch sprechen.

Der Europameister muss zwar erst noch gekürt werden, aber schon vor dem Finale am Sonntag zwischen Portugal und Frankreich in Paris (21 Uhr, ORFeins, SRF2, ARD) hat bei diesem Turnier einiges Kultstatus erlangt.

Kult-Schrei

Eine Insel, weit weit weg, Vulkane mit unaussprechlichen Namen, Spieler, die alle ...sson heißen – das war’s, was der Ottonormalfan vor der EM über Island wusste. Mittlerweile kennen alle das Geheimnis der Kickinger, und das "Huh" ist sowieso der letzte Schrei. Nach dem 2:0 im Semifinale gegen Deutschland stimmten nun in Marseille sogar die Spieler und Anhänger von Frankreich den imposanten Schlachtruf an, mit dem die isländischen Fans Berühmtheit erlangt hatten – ein größeres Kompliment konnte der Gastgeber dem EM-Neuling nicht machen. "Schön zu sehen, dass Frankreich unserem Gesang die Ehre erweist", teilte der isländische Verband mit. Nachsatz "Aber niemand macht das besser als Island."

Einige Fans bekamen die Rufe der Franzosen freilich in den falschen Hals. "Herrgott, Frankreich ... ihr habt uns geschlagen, findet einen eigenen Weg, euren Sieg zu feiern! #peinlich", war auf Twitter zu lesen.

Kult-Charakter

Auf dem Papier heißt das Endspiel Portugal vs. Frankreich, doch auf dem Rasen wird das Finale zum Duell der Kultfiguren Cristiano Ronaldo und Antoine Griezmann. Beide drückten diesem Turnier bislang den Stempel auf, beide kämpfen auch um den Titel "Superstar der EM 2016".

Kult-Wette

Wenn Ronaldo den Rasen betritt, dann sind die Selfie-Jäger meist nicht weit. Kaum ein Spiel, in dem der Star nicht ungebetenen Besuch bekommen hätte. Man kann sogar darauf wetten, dass im Finale die Selfie-Mania fortgesetzt wird.

Kult-Stürmer: Griezmann hat portugiesische Wurzeln

Kultbildung bei der EURO - der Fußball verbindet
France's forward Antoine Griezmann hugs his girlfriend Erika Choperena as he celebrates the team's 2-0 win over Germany in the Euro 2016 semi-final football match between Germany and France at the Stade Velodrome in Marseille on July 7, 2016. France will face Portugal in the Euro 2016 finals on July 10, 2016 / AFP PHOTO / FRANCK FIFE
Antoine Griezmann trifft am Sonntag auf Cristiano Ronaldo. Es ist das zweite Finale in diesem Jahr, bei dem der Stürmerstar von Atlético Madrid und der Superstar von Real Madrid aufeinandertreffen. Im Champions-League-Finale hat sich Real im Elferschießen durchgesetzt. Bei der EM ist der Franzose der Mann der Stunde. Sechs Tore hat er erzielt, noch keiner außer Michel Platini hat diese Marke erreicht. Platini führte Frankreich 1984 bei der Heim-EM mit neun Treffern zum Titel. "Mein einziges Ziel ist es, am Sonntag den Pokal hochzuhalten", versprach Frankreichs Top-Torjäger.

Antoine Griezmann ist schon jetzt ein Europa-Meister. Zumindest, was seine Familiengeschichte betrifft. Der Stammbaum des Goalgetters ist dermaßen weit verzweigt, dass ein Ahnenforscher wohl mehr als 90 Minuten benötigt, um die Griezmann’sche Familienchronik zu erstellen. Hier eine Wurzel in Portugal, dort ein Kind in Spanien – der 25-Jährige ist ein echter Mister Europa.

Der Vater von Griezmanns Mutter kommt aus Portugal und spielte in der höchsten Liga bei Paços de Ferreira. Seinen Enkel hingegen wollte kein französischer Klub ausbilden – zu klein, zu dünn. Also nahm er das Angebot von Real Sociedad im spanischen San Sebastián an. "Pollito" nannten sie ihn. Das Küken durchlief alle Nachwuchsteams und machte Karriere. In Spanien hat Griezmann auch sein privates Glück gefunden, Erika Choperena. Die beiden sind seit dem 8. April Eltern von Töchterchen Mia. Mit seinem Hund Hooki, einer französischen Dogge, spricht er beispielsweise nur Spanisch. Und sein Lieblingsgetränk kommt aus Südamerika. Das Mate-Teetrinken haben ihm die Mannschaftskollegen aus Uruguay und Argentinien beigebracht. Aber das wird eine andere Geschichte – in zwei Jahren dann, bei der WM in Russland.

Kult-Serien: In Frankreich fanden viele eine jähes Ende

Kultbildung bei der EURO - der Fußball verbindet
epa04435117 Portuguese national soccer team players Cristiano Ronaldo (R) and Ricardo Carvalho (L) warm up during their team's training session in Obidos, Portugal, 06 October 2014. Portugal will face France in an international friendly soccer match on 11 October 2014. EPA/MARIO CRUZ
Was war in den vergangenen Wochen nicht alles zu lesen und zu hören. Vom deutschen Italien-Trauma, von einem französischen Deutschland-Fluch, nicht zu vergessen der Klassiker: das englische Torhüter-Drama. Bei diesem Turnier sind nun freilich viele Serien gerissen. Nur Englands grottenschlechte Goalies wollen einfach kein Ende nehmen.

Italien war bei einer WM oder EM noch nie gegen Deutschland ausgeschieden – bis zum 2. Juli 2016, dem Viertelfinale.

Deutschland verlor seit 1958 in einer K.-o.-Phase nicht gegen Frankreich – bis zum 7. Juli 2016, dem Semifinale.

Spanien hatte bei einer EM zuletzt am 20. Juni 2004 verloren (gegen Portugal) – im 15. EM-Spiel gab es am 21. Juni 2016 im letzten Spiel gegen Kroatien ein 1:2.

Frankreich war kein guter Boden für Serien-Täter. Jetzt zittern die Franzosen – und die Portugiesen dürfen hoffen. Denn Portugal hat Frankreich bei einem Großereignis nie besiegt.

Im Halbfinale 1984 setzte sich Frankreich bei der letzten Heim-EM 3:2 nach Verlängerung durch. In Marseille sorgte Domergue für die Führung, Rui Jordão glich aus und erhöhte in der Verlängerung auf 2:1. Domergue stellte auf 2:2, und nach 119 Minuten wurde Michel Platini zum Helden.

Im EM-Halbfinale im Jahr 2000 kam es zu einem Skandalspiel in Brüssel. Frankreich schlug Portugal wieder in der Verlängerung, diesmal 2:1. Nach Treffern von Nuno Gomes und Thierry Henry verhinderte Abel Xavier per Handspiel im Strafraum das Golden Goal. Zinédine Zidane versenkte den Elfmeter. Die Portugiesen bestürmten den österreichischen Schiedsrichter Benkö – Xavier wurde für neun Monate gesperrt, Gomes für acht Monate, Paulo Bento für sechs Monate.

Im WM-Halbfinale 2006 in München setzte sich Frankreich durch ein Elfmetertor von Zidane mit 1:0 durch.

Multikulti: Inselkicker und französische Portugiesen

Die zweitgrößte portugiesische Stadt ist ... richtig: Paris. In der französischen Metropole leben 350.000 Menschen mit portugiesischen Wurzeln, in ganz Frankreich sind es mehr als eine Million. Auch in der aktuellen Nationalmannschaft findet sich so mancher frankophile Portugiese.

So braucht sich niemand verwundert die Augen reiben, sollte etwa Raphaël Guerreiro am Sonntag bei der Marseillaise heimlich mitsummen. Der Außenverteidiger ist in Frankreich aufgewachsen und hat wie Ersatzgoalie Anthony Lopes dort das Fußball-Abc gelernt. Beide waren nie für einen portugiesischen Verein am Ball. Auch Adrien Silva wurde in Frankreich geboren, er wechselte aber im Jugendalter nach Portugal.

Cédric Soares kam in Singen zur Welt. Mit zwei Jahren verließ er Deutschland Richtung Portugal. Weil der Verteidiger eine internationale Schule besuchte, spricht er recht gut Deutsch und war deshalb in den vergangenen Tagen ein beliebter Interviewpartner bei den deutschen TV-Stationen.

Pepe kommt aus Brasilien, William Carvalho aus Angola, Danilo und Éder kommen aus Guinea-Bissau, Nani stammt von den Kapverden. Zudem sind neben Nani auch Eliseu (Azoren) und Ronaldo (Madeira) Inselkicker.

Auch Dimitri Payet kommt von der Insel – aus dem französischen Übersee-Departement La Réunion. Steve Mandanda (Zaire), Patrice Evra (Senegal) und Samuel Umtiti (Kamerun) wurden nicht in Frankreich geboren. Andere Spieler haben ihre Wurzeln nicht in Frankreich: Die Eltern von Eliaquim Mangala kommen aus dem Kongo, die von Adil Rami aus Marokko, die von Bacary Sagna aus dem Senegal, die von Blaise Matuidi aus Angola, die von Kingsley Coman aus Guadeloupe, die von Anthony Martial aus Martinique, die von Paul Pogba aus Guinea, die von Moussa Sissoko und N’Golo Kanté aus Mali.

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