Christian Wehrschütz: "Journalisten haben nicht Richter zu sein"

Christian Wehrschütz: "Journalisten haben nicht Richter zu sein"
Der Ukraine-Korrespondent wurde mit dem Sonderpreis der Jury prämiert. Wehrschütz im Gespräch über seinen Einsatz in der Ukraine, gefährliche Situationen und seine Pläne, zum Mars zu fliegen.

Wer an Berichte aus der Ukraine denkt, hat vermutlich seine Stimme im Ohr: Christian Wehrschütz ist seit 2014 als ORF-Korrespondent in dem Land und leitet das Büro in Kiew. Seit Beginn des Krieges gegen die Ukraine ist er im Dauereinsatz. Für seine außergewöhnliche journalistische Arbeit und seinen persönlichen Einsatz in einem gefährlichen und journalistisch herausfordernden Umfeld wurde der 60-Jährige mit dem Sonderpreis der ROMY-Jury geehrt.

„Einerseits liegen die Geschichten auf der Straße, auf der anderen Seiten müssen wir immer berücksichtigen, dass es auch in der Ukraine eine Militär-Zensur gibt“, erzählt Wehrschütz dem KURIER. Jeder Tag sieht anders aus, die Gefahr ist ein ständiger Begleiter: „Wenn Sie in einer Stadt sind, die mit Artillerie beschossen wird oder in der es Fliegeralarm gibt, können Sie nie wissen, ob Sie zufällig zur falschen Zeit am falschen Ort sind.“

Christian Wehrschütz: "Journalisten haben nicht Richter zu sein"

Bestens vorbereitet

1992 war der gebürtige Steirer erstmals in Kiew, hat sich seitdem mit der Ukraine beschäftigt – militärisch, sicherheitspolitisch und sprachlich. Er sei so gut auf das Land vorbereitet, „wie wahrscheinlich kaum ein Korrespondent je auf ein Land vorbereitet war“, sagt er. „Mir wäre natürlich lieber, ich hätte das nicht gebraucht.“

Schwer zu ertragen sei das Leid der Menschen: „Wenn ich in Kinderaugen schaue und ein Stofftier sehe, dann erinnert mich das an meine Enkeltochter. Und das Schlimmste sind die alten Menschen, die dort bleiben müssen, die keine reale Alternative haben. Wir versuchen, wo wir können, ein bisschen zu helfen. Aber da stoßen Sie auch an Grenzen.“

Gagai bringt Glück

Was ihm helfe, damit klarzukommen, seien Gespräche mit der Familie und natürlich „Gagai“ – der blaue Glücksbringer, den ihm seine Enkeltochter geschenkt hat und der auch schon öfters im Fernsehen zu sehen war.

„Sie leben auch ein bisschen anders in einer derartigen Situation, von Tag zu Tag.“ Man konzentriere sich auf die Beiträge, die zu machen sind. Dabei wolle er nicht immer Zerstörungen in den Mittelpunkt stellen, sondern zeigen, „wie Menschen, die in außergewöhnlichen Situationen sind, versuchen, diese zu meistern. Es geht meiner Ansicht nach um viel mehr als nur darum, Frontabschnitte zu zeigen.“

Gearbeitet wird in einem kleinen Team, derzeit bestehend aus einem aus Serbien stammenden Kameramann und einem Produzenten, einem Ukrainer. „Ich wechsle zwischen Serbisch, Ukrainisch und Russisch, je nachdem, mit wem ich gerade rede“, so der polyglotte Journalist, der auch vom Balkan berichtet.

Korrespondenten, die in „ihrem“ Land leben und die Sprache nicht beherrschen, hält er für „nicht seriös“: Ohne Ukrainisch- und Russischkenntnisse wäre er von 90 Prozent der Informationsquellen abgeschnitten, die er nutzt.

Immer mehr entwickle sich der Krieg zu einer „Propagandaschlacht“. Ehe es kein rechtmäßiges Urteil gibt, sei es korrekt, von „mutmaßlichen“ Kriegsverbrechern zu sprechen. Das hätten viele etwa bei Butscha außer Acht gelassen. „Wir haben nicht Richter zu sein als Journalisten“, so Wehrschütz. Seine Aufgabe sei es, den Österreicherinnen und Österreichern „ein Bild zu bieten, mit dem sie selbst in der Lage sind, sich ihre Meinung zu bilden. Und ich habe nicht durch die Wortwahl Dinge bereits vorzugeben.“

Mars-Mission

Ob er diesen herausfordernden Job weiter machen will? „Sollte mich die NASA auswählen, und ich kann die Mars-Mission antreten oder zum Mond fliegen, würde ich das vorziehen, weil ich Science-Fiction-Liebhaber bin und das natürlich eine ganz andere Herausforderung wäre“, witzelt Wehrschütz. Sollten die Angebote nicht in dieser Preisklasse liegen, wolle er sich auf seine drei Leidenschaften konzentrieren: die Ukraine, den Balkan und – am wichtigsten – die Familie. „Dass ich heuer nicht Ostereierpecken mit meiner Enkeltochter und meinen Töchtern konnte, hat mich sehr geschmerzt.“

Die ROMY-Statuette, mit der er am Samstagabend ausgezeichnet wurde, ging an seine Familie. Zur Präsentation seines neuen Buches im Herbst wolle er mit seinem Team nach Österreich kommen: „Dem Team gilt natürlich mein ganz großer Dank.“

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