Mehr Schule – eine Frohbotschaft

Politiker, Experten und Lehrer sind eins: Der Ausbau der Ganztagsschule ist enorm wichtig
Sozial Schwache profitieren besonders von einer Ganztagsschule. Doch Plätze sind Mangelware.

Ganztagsschule als Zwangstagsschule. In Österreich wird in der Bildungspolitik immer noch vor allem ideologisch argumentiert. Mittlerweile sind sich aber Praktiker, Politiker und Experten aus allen Lagern einig: Der Ausbau der Ganztagsschule ist enorm wichtig, weil diese besonders Kindern aus sozial schwachen Familien hilft. Warum ist das so – und woran hapert der Ausbau?

Warum sind Ganztagsschulen so wichtig?

Kinder aus bildungsfernen Schichten kommen bereits mit vielen Defiziten in die Schule. Gerhard Gangl, Volksschuldirektor in Gänserndorf (NÖ), sieht das bei jeder Schuleinschreibung: "Wir schauen uns jedes Kind genau an und stellen dabei große Entwicklungsunterschiede mit. Einige Kinder können kaum einen Stift halten oder mit einer Schere schneiden. Sie erkennen keine Reime oder Anfangslaute eines Wortes."

Defizite, die eine Halbtagsschule nicht ausgleichen kann: Im Gegenteil: "Die Schere zu geförderten Kinder geht sogar noch weiter auseinander. Eine Ganztagsschule könnte dafür sorgen, dass die Unterschiede nicht noch größer werden."

Die Wiener Volksschullehrerin Michaela Schmiege berichtet aus der Praxis, dass in ihrer Brennpunktschule Kinder zur Einschreibung mit einem ganz geringen Wortschatz kommen. "Sie verstehen die einfachsten Wörter nicht: Wiese, Ast, Wald oder die Namen der Tiere am Bauernhof. Das sind viele Kinder zu, mit denen daheim offenbar niemand spricht; viele, die mittags nach Hause gehen und das nächste Wort auf Deutsch erst wieder am nächsten Schultag hören."

Was kann eine Ganztagsschule bewirken?

Wenn Kinder ganztägig betreut werden, führt das nicht automatisch zu besseren Leistungen. Bildungsexpertin Heidi Schrodt weiß warum: "Es ist wie bei vielen Maßnahmen: Nur den Namen ändern, reicht nicht. Ganztagsschule gelingt nur dort, wo sich Lehrer verantwortlich für die Kinder fühlen und sich mit Nachmittagsbetreuern austauschen." Was die Forschung generell feststellt: Das Miteinander unter den Schülern wird besser.

Karlheinz Fiedler, pensionierter Direktor einer Neuen Mittelschule in Wien, kann das bestätigen. Seine Schüler hatten die Möglichkeit, am Nachmittag zu bleiben und erhielten dabei noch ein gratis Mittagessen – finanziert von der Diakonie: "Das Klima hat sich dadurch komplett verändert. Meine aggressivsten Schüler wurden plötzlich ganz ausgeglichen."

Mehr Schule – eine Frohbotschaft

Bekommt jedes Kind einen Platz in der Ganztagsschule, den es braucht?

Nein. Ob ein Kind einen Platz erhält oder nicht, hängt von verschiedenen Faktoren ab. Wichtigster ist die Berufstätigkeit beider Eltern. "In Wien versuchen wir zwar, dass wir allen Kindern aus bildungsfernen Schichten einen Ganztagesplatz zuteilen. Doch das gelingt leider nicht immer", heißt es aus dem Büro von Bildungsstadträtin Sandra Frauenberger.

Wie viel kostet Eltern die Nachmittagsbetreuung? Gibt es Vergünstigungen?

Eltern müssen für die Nachmittagsbetreuung 5,60 Euro am Tag bezahlen. 3,60 Euro für ein Mittagessen kommen noch dazu. Im Monat kann das schon einmal 200 Euro ausmachen. Doch es gibt Vergünstigungen: Keinen Essensbeitrag müssen Familien mit einem Monatseinkommen von weniger als 1.016 Euro bezahlen. Ermäßigungen für die Betreuung gibt es gestaffelt für Löhne von 2758 Euro und weniger. Nur: Viele Eltern können oder wollen nicht zum Amt, um eine Befreiung zu beantragen. Viele zahlen einfach nicht und stehen inzwischen mit insgesamt rund 950.000 Euro bei der Stadt Wien in der Kreide. Wer dauerhaft nicht zahlt, dessen Kind fliegt in letzter Konsequenz aus der Nachmittagsbetreuung. Das trifft dann meist die Schüler am stärksten, die die Hilfe am nötigsten brauchen würden.

Wo liegen weitere Probleme bei der Umsetzung?

Die meisten Schulen eignen sich nicht für einen Ganztagesbetrieb. Da braucht es Freizeiträume und einen Platz für eine Kantine. Doch gerade in den Innenstadtbezirken sind die Schulen bereits bis auf den letzten Platz belegt. Extra Raum kann man da kaum schaffen. Immerhin: Bildungsstadträtin Frauenberger bestätigt, dass Schulneubauten nur mehr für ganztägige Schulformen geplant sind. Das Problem bleibt die Finanzierung – der Schulerhalter (bei Pflichtschulen sind das Gemeinden und Länder) muss dafür aufkommen.

Wer verhindert den Ausbau ganztägiger Schulen?

Meistens die finanzielle Lage des Schulerhalters. Auch von Lehrern kommt Widerstand. Laut Befragungen sind die Hälfte Gegner einer Ganztagsschule. Hoffnung macht, dass jüngere Pädagogen eher für eine "Schule ohne Schultasche" sind.

Wie schaut es in anderen Ländern aus?

In vielen Ländern hat die Ganztagsschule Tradition: In Frankreich besuchen die Kinder die Schulen von 8 bis 18 Uhr. Auch die Briten haben traditionell täglich bis 16 Uhr Unterricht, egal ob privat oder öffentlich. Beim PISA-Sieger Finnland ist die Situation unterschiedlich: Auf dem Land gehen die Kinder nach dem Mittagsessen, das es für alle gratis gibt, nach Hause. In der Stadt werden sie betreut. In Deutschland hat man vor zehn Jahren begonnen, die Ganztagsschulen massiv auszubauen – mit teils mäßigem Erfolg. In den USA sind Ganztagsschulen Alltag.

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