Faymann: "Dürfen Wähler nicht enttäuschen"

„Die EVP stellt ihre eigene Vorgangsweise infrage.“ Werner Faymann
Der Kanzler kämpft für die Kür Junckers zum EU-Kommissionschef – und eine baldige Steuersenkung.

Kanzler Werner Faymann kritisiert nach dem Sondergipfel in Brüssel die Haltung von Deutschlands Bundeskanzlerin Angela Merkel und anderer konservativer Regierungschefs, Jean-Claude Juncker als Kommissionspräsident blockieren zu wollen. Der Widerstand in der Europäischen Volkspartei (EVP) gegen ein eigenes Mitglied stößt auch bei vielen Christdemokraten auf Unverständnis. Von den europäischen Sozialdemokraten wird der luxemburgische Christdemokrat geschlossen unterstützt.

KURIER: Herr Bundeskanzler, ist der Widerstand gegen Juncker ein "Putsch" innerhalb der Europäischen Volkspartei – wie Kritiker zunehmend meinen?

Werner Faymann: Die Fraktionen im Europäischen Parlament haben sich klar für Juncker ausgesprochen. Sie respektieren damit das Wählerverhalten und das Versprechen, wer bei der EU-Wahl den ersten Platz erreicht, wird Kommissionspräsident. Im Europäischen Rat ist aber etwas passiert, was ich sehr bedaure. Es wurde deutlich, dass einige das Wahlergebnis vom Sonntag nicht akzeptieren wollen. Die EVP stellt ihre eigene Vorgangsweise infrage. Sie hat Juncker als Spitzenkandidaten nominiert und sagt jetzt, dass es laut Gesetz keinen Automatismus gebe, den Wahlsieger zum Kommissionspräsidenten zu küren.

Ist das Vorgehen der EVP demnach eine Wählertäuschung?

Ich selbst war nicht immer davon überzeugt, ob es gut ist, einen Spitzenkandidaten zu benennen. Aber in der Sekunde, wo man im Wahlkampf den Wählern sagt, wir haben einen Spitzenkandidaten, und wenn er Erster wird, wird er Kommissionspräsident, muss man das Wort halten. In der Politik ist das eine Frage der Glaubwürdigkeit. In der Demokratie gilt das Prinzip der Verlässlichkeit. Wir sind Regierungschefs und haben Verantwortung zu übernehmen.

Ratspräsident Herman Van Rompuy ist beauftragt worden, die EU-Regierungen und das EU-Parlament zu konsultieren. Hat Juncker einen Auftrag bekommen, über sein Team und ein Arbeitsprogramm zu verhandeln?

Nein. Das habe nicht nur ich verlangt, das hat auch Donald Tusk verlangt, und das haben mindestens fünf Wortmeldungen unterstrichen. Van Rompuy bezieht Juncker nicht mit ein.

Warum lehnt Merkel ihren Parteifreund Juncker ab?

Es zeigt sich, dass ein Teil der Europäischen Volkspartei von ihrem eigenen Kandidaten abrückt. Das bedaure ich außerordentlich.

Ist der deutschen Bundeskanzlerin der Wählerwille egal?

Der SPD-Vizekanzler Deutschlands, Sigmar Gabriel, vertritt dieselbe Position wie Österreichs Bundesregierung: Juncker ist gewählt, daher ist er der Kandidat für den Kommissionspräsidenten. Ich gehe davon aus, dass es gelingen wird, die deutsche Bundeskanzlerin zu überzeugen, nach der Wahl nicht zu vergessen, was man vorher gesagt hat.

Wird das Problem beim EU-Gipfel Ende Juni gelöst?

Das setzt voraus, dass der Widerstand gegen Jean-Claude Juncker aufgegeben wird. Ich wünsche mir eine Lösung.

Was wollen die Briten mit ihrer strikten Blockade erreichen?

Sie wollen nicht, was die Mehrheit in der EU für richtig hält. Ich verstehe nicht, warum man in der Demokratie nicht die qualifizierte Mehrheit einsetzt. Man kann nicht sagen, man verzichtet auf eine Entscheidung, wenn diese mit einer qualifizierten Mehrheit möglich ist (der Beschluss der Staats- und Regierungschefs über den Kandidaten braucht keine Einstimmigkeit, er ist mit qualifizierter Mehrheit der Stimmen im Rat zu treffen, Anm.). Da begibt man sich in die Geiselhaft jedes Einzelnen. So lässt sich Europa defintiv nicht führen.

Das klingt nach Krise, oder?

Wir dürfen die Wähler nicht enttäuschen. Sie haben von uns gehört, dass sie mit der EU-Wahl auch über den Kommissionspräsident abstimmen.

Was kann Juncker besonders gut, dass Sie ihn unterstützen?

Sozialdemokraten bestehen darauf, dass das Wählervotum gilt und Mehrheiten im Rat und im Parlament gesucht werden. Juncker ist nicht der Kandidat der neoliberalen Kräfte, die alles verkaufen und die Finanzmärkte und Banken am liebsten wieder unkontrolliert arbeiten lassen wollen. Juncker ist ein christlich-sozialer Politiker, es gibt mit ihm ein Bündnis für eine soziale Union.

Wann wird die österreichische Regierung den EU-Kommissar nominieren?

Wenn der neue Kommissionspräsident das Portfolio festlegt. Wir sind mit Hahn sehr zufrieden.

Der Druck vieler Österreicher und Interessensvertretungen nach einer Steuerreform wächst. Sie stehen unter Zugzwang. Wann kommt die versprochene Reform?

Der ÖGB hat am Mittwoch einen Beschluss für eine Steuerreform 2015 gefasst. Das entspricht exakt dem, was ich verlange. In einer Demokratie muss man für eine Sache kämpfen. Ich habe nicht 50 Prozent im Parlament, es gilt den Koalitionspartner mühevoll von manchen Dingen zu überzeugen. Der ÖGB -Beschluss ist ein Erfolg. Im Österreichischen Gewerkschaftsbund sind alle Parteien, auch der Koalitionspartner ÖVP vertreten.

Wird ÖVP-Parteiobmann und Finanzminister Michael Spindelegger einer Steuerreform 2015 zustimmen?

Es gibt über die Parteigrenzen hinweg die Forderung nach einer Steuerreform. Die ÖGB-Entscheidung ist eine Riesenunterstützung für meinen Kurs. Wir sind mit der ÖGB-Unterstützung einen großen Schritt weitergekommen. Als Regierungschef bin ich ja kein Diktator, der den Koalitionspartner überzeugen muss.

Kommentare