Deutsch vor dem Schuleintritt wird Pflicht
Egal ob Ipek, Branko oder Lukas: Kinder mit Sprachmängeln sollen in Österreich künftig stärker gefördert werden. Am Donnerstag stellten Bildungsministerin Claudia Schmied (SPÖ) und Integrationsstaatssekretär Sebastian Kurz (ÖVP) ein Konzept für den Ausbau der Sprachförderung vor. „Bildungserfolg ist in Österreich nur mit entsprechender Kenntnis der deutschen Sprache möglich“, ist Schmied überzeugt.
Um sicherzustellen, dass die Kinder dem Unterricht in deutscher Sprache folgen können, soll es ab dem Schuljahr 2013/’14 „eine stärkere Berücksichtigung der unterrichtssprachlichen Kompetenz“ bei der Aufnahme in die Schule geben. Das heißt: Kinder müssen besser Deutsch können.
Nach mehrmonatigem Streit um das beste Förder-Modell (eigene Vorschulklassen versus Sprachförderung parallel zur Schulpflicht) einigte man sich auf eine österreichische Lösung. „Der Schulstandort soll entscheiden, ob die Vorschulklasse ein gutes Instrument ist – oder ob ein integratives Modell greifen kann“, sagt Schmied. Denkbar sei auch, dass Kinder bei Bedarf drei statt zwei Jahre für die ersten beiden Volksschuljahre brauchen und speziell gefördert werden. Erfahrungen will man ab Herbst bei Pilotversuchen in allen neun Bundesländern sammeln; ab Herbst 2014 könnte das Modell flächendeckend umgesetzt sein. Die letzte Entscheidung, wie gefördert wird, soll der Schuldirektor treffen.
Integrationsstaatssekretär Kurz sieht einen wichtigen Beitrag zur Integration: Jedes vierte Kind in Österreichs Volksschulen habe Migrationshintergrund, in Wiens Volksschulen seien es 60 Prozent. „Wer nicht Deutsch kann, muss besser betreut werden.“ Gleichzeitig gebe es Intensivkurse für die jährlich etwa 7000 Quereinsteiger ins Schulsystem. Zusätzliches Geld gibt es für die Pilotprojekte nicht. „Der Erlass bringt Klarheit, ohne etwas zu kosten“, sagt Kurz. Und Schmied will vorerst die „Budgets aller beteiligten Institutionen nutzen“ – sprich: Geld umschichten.
Ideologisiert
Für den Schulexperten Andreas Salcher ist es grundsätzlich positiv, dass es beim Thema Bewegung gibt: „Das Problem wurde jahrelang ignoriert und dann ideologisiert.“ Ohne zusätzliche Mittel sei ein Ausbau der Sprachförderung aber „nicht schaffbar“. Österreich wende zu viel Geld für die Oberstufe und zu wenig für die Volksschule auf. Salcher: „Das meiste Geld sollte man in den Kindergarten und in die Volksschule investieren, weil in diesem Alter Sprachdefizite mit dem geringsten Aufwand aufgeholt werden können.“ Ministerin Schmied hofft auf mehr Geld in der nächsten Legislaturperiode.
Mehr Geld fordern auch die Elternvertreter. „Dort, wo zusätzliche Lehrkräfte benötigt werden, wird es mit Umschichtungen allein nicht gehen“, heißt es aus dem Büro des Dachverbandes. „Je früher man beginnt, Benachteiligungen auszugleichen, desto einfacher ist es“, meint Christiane Spiel, Bildungspsychologin an der Uni Wien. „Daher wäre es besser, rasch ein zweites verpflichtendes Kindergartenjahr für alle einzuführen.“
Ein Abschluss der Verhandlungen über ein neues Lehrer-Dienstrecht noch vor der Nationalratswahl im Herbst wird immer unwahrscheinlicher. Am Donnerstag verhandelten Gewerkschafter und die Ministerinnen Fekter (Finanzen), Schmied (Bildung) und Heinisch-Hosek (Beamte) wieder. Schwerpunkt war erstmals die Frage des versprochenen zusätzlichen Personals zur administrativen Unterstützung.
Die Lehrergewerkschaft hat errechnet, dass rund 13.000 zusätzliche Kräfte notwendig wären, um den bürokratischen und schulspezifischen Mehraufwand aus den vergangenen Jahren bewältigen zu können. Beamtenministerin Gabriele Heinisch-Hosek lehnte neues Personal in der geforderten Quantität noch im Vorfeld ab.
Arbeitsbedingungen
Paul Kimberger, Chef der Lehrergewerkschaft berichtete nach dem Treffen, dass beide Verhandlerteams in den kommenden zwei Wochen auf Basis der TALIS-Studie der OECD einen Mehrbedarf erheben wollen. In dieser Studie werden regelmäßig die Arbeitsbedingungen, Unterrichtsmethoden, Einstellungen und Schulressourcen an den Schulen erhoben und international verglichen.
Nach dem Schulpflichtgesetz gehören derzeit nur jene Kinder in die Vorschule, die dem Unterricht in der 1. Klasse vermutlich nicht folgen können, "ohne körperlich oder geistig überfordert zu werden". Die Kenntnis der deutschen Sprache sollte dabei kein Kriterium sein. Für Kinder und Jugendliche mit ausreichender "geistiger Reife" und Deutschproblemen gibt es nämlich den Status des außerordentlichen Schülers: Dabei werden Schüler nicht in allen Fächern benotet und erhalten spezielle Sprachförderung. Dennoch sind Kinder mit nicht-deutscher Umgangssprache in Vorschulklassen extrem überrepräsentiert, wie eine Auswertung der Statistik Austria zeigt.
Österreichweit spricht ein Viertel der Sechsjährigen daheim nicht Deutsch, in den Vorschulstufen haben hingegen 53,5 Prozent nicht-deutsche Umgangssprache. Während knapp zehn Prozent aller Sechsjährigen ihre Schulkarriere in der Vorschule starten, sind es bei Schülern mit Migrationshintergrund 21,2 Prozent.
Dabei lassen sich zwischen den einzelnen Bundesländern massive Unterschiede beobachten: Der Anteil an Sechsjährigen mit nicht-deutscher Umgangssprache, die in die Vorschule kommen, reichte dabei im Schuljahr 2011/12 von weniger als jedem zehnten (Steiermark: 5,5 Prozent, Burgenland: 7,0 Prozent) bis zu mehr als jedem dritten Schüler (Tirol: 34,3, Vorarlberg: 38,6, Salzburg: 43,4 Prozent). Zwischen diesen Extremen lagen Kärnten (11,8 Prozent), Wien (16,6 Prozent), Niederösterreich (20,3) und Oberösterreich (27,3 Prozent). Diese Daten erfassen allerdings nicht Kinder, die im Zuge der flexiblen Schuleingangsphase während des Schuljahres in eine andere Schulstufe - also von der Vorschule in die 1. Klasse oder umgekehrt - wechseln.
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